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Was von Quelle übrig blieb

Im Oktober letzten Jahres stand fest: kein Investor für Quelle in Sicht. Harte Konsequenz für die Quelle-Mitarbeiter. Etwa 900 ehemalige Quelle-Mitarbeiter in der Region suchen immer noch einen Job.

Von Eleonore Birkenstock | 02.09.2010
    Die Fürther Straße verbindet Nürnberg und Fürth. Sie wird überragt vom Quelle-Turm. Groß und grau wie ein Fabrikschornstein, mit einem Block an der Spitze: darauf ein weißes Q auf blauem Grund. Hier steht auch das ehemalige Versandhandels- und Einkaufszentrum von Quelle. Ein riesiger Gebäudekomplex. Die Schaufenster sind leer geräumt. Der graue Linoleum-Boden ist staubig. Ein umgekippter Stuhl liegt verloren im Raum. Jahrzehntelang ist die ehemalige Quelle-Mitarbeiterin Ursula Schopf hier vorbei gegangen.

    "Das war einmal die Schmuckabteilung da. Die haben sicherlich alles verkauft, was Geld gebracht hat, was logisch ist. Äußerst traurig. Ich könnt mir vorstellen, das ist so wie die Vertriebenen im Krieg, die dann das erste Mal Bilder von der Heimat sehen, so komme ich mir auch vor."

    Ursula Schopf betrachtet die Reste eines Unternehmens, das Anfang der 80er-Jahre 14.000 Menschen in der Region Nürnberg beschäftigte. Über 21 Jahre hat sie bei Quelle gearbeitet, in der Abteilung Großhandel.

    "Da hab ich mir gedacht, Quelle, was kann Quelle schon passieren – da arbeite ich bis zum Ende, meine Kollegen haben das auch gedacht und jetzt ist alles kaputt."

    Quelle galt als sicherer Arbeitgeber, ganze Familien waren hier beschäftigt. Viele haben 10, 20, 30 Jahre beim Versandhändler gearbeitet. Und sich auf bestimmte Bereiche spezialisiert. Kaminkarrieren nennt das Elsa Koller-Knedlik, die Leiterin der Nürnberger Agentur für Arbeit. Da ist zum Beispiel der Controller, der sich nur auf einen Unternehmensbereich konzentriert hatte.

    "Das bedeutet, dass durch die Größe des Konzerns intern eine Spezialisierung und damit eine Einschränkung des Tätigkeitsfeldes zu tun hat. Das ist in der weiteren Vermittlungsarbeit ein Hemmnis und es ist auch ein Hemmnis, welche Entlohnung kann ich denn auf dem üblichen Arbeitsmarkt für diese Tätigkeiten erwarten."

    Wie viele Menschen in der Region tatsächlich von der Quelle Insolvenz betroffen waren und noch sind, lasse sich schwer schätzen, sagt Elsa Koller-Knedlik. Im vergangenen Oktober, als klar war, dass Quelle abgewickelt wird erklärten Arbeitsmarktexperten: Bis zu 10.000 Menschen würden im Zuge der Pleite ihre Jobs verlieren und die Arbeitslosenquote würde auf über zehn Prozent steigen. Auch der Fürther Oberbürgermeister, Thomas Jung hatte schlimmste Befürchtungen.

    "Wir hatten die Erfahrung aus der Grundig-Zeit. Da war es nach der Firmen-Insolvenz ebenso verheerend. Die Arbeitslosigkeit lag vorher bei 7,6 Prozent nur am Höchsttag im Februar auf 8,6 Prozent und im Augenblick liegen wir bei 7,4 Prozent. Eine erstaunliche Entwicklung, die wir nicht für möglich gehalten haben."

    Von den entlassenen Quelle-Mitarbeitern haben sich 2600 bei der Agentur für Arbeit als arbeitssuchend gemeldet. Viele haben inzwischen einen Job gefunden oder haben sich selbstständig gemacht, einige sind in eine andere Stadt gezogen. Anders als bei der Grundig-Pleite oder bei der Schließung des AEG-Werkes hatten die meisten Quelle-Mitarbeiter einen Berufsabschluss. Außerdem habe es im vergangenen Jahr eine beispiellose Solidarität von Unternehmen und Politikern gegeben, berichtet die Chefin der Nürnberger Arbeitsagentur.

    "Auch ehemalige Quelle Kollegen, die woanders untergekommen sind, haben sich bemüht. So kommt es, dass vielen ein nahtloser Übergang von Quelle woandershin gelungen ist, ohne sich arbeitslos zu melden. Die tauchen in unserer Statistik gar nicht auf."

    Nach Angaben der Nürnberger Agentur für Arbeit suchen jedoch immer noch etwa 900 ehemalige Quelle-Mitarbeiter in der Region einen Job. So wie eine 61-jährige Grafikerin, ihren Namen will sie nicht nennen. Dass es die Quelle nicht mehr gibt, hätte die 61-Jährige nie für möglich gehalten. 27 Jahre hat sie dem Unternehmen die Treue gehalten. Nun muss sie sich noch einmal neu orientieren. Etwa 60 Bewerbungen hat sie schon geschrieben – bisher ohne Erfolg.

    "Als letzter Rettungsanker bleibt die Rente. Das ist etwas relaxter als vor zehn Jahren. Ich würde mich nicht scheuen, nicht in dem Gewerbe zu arbeiten. Aber jetzt könnte ich sagen, jetzt hab ich so viel Erfahrung. Und kein Mensch will diese Erfahrung!"

    Die Grafikerin will sich weiter umschauen, sich weiter bewerben. Evi Bürner muss das nicht mehr. Sie hat Glück gehabt, erzählt sie. Sie ist eine von siebzehn ehemaligen Quelle-Mitarbeitern, die beim Landesamt für Statistik eingestellt wurden. Das Amt hat Räume in der ehemaligen Quelle-Hauptverwaltung in Fürth bezogen. In dem Gebäude, in dem Evi Bürner gut zwei Jahrzehnte gearbeitet hatte.

    "Am Anfang war es komisch. Man kennt das Gebäude, seltsames Gefühl."

    Anfang des Jahres hat sie hier noch gearbeitet und bei der Abwicklung ihres eigenen Arbeitgebers geholfen.

    "Es war seltsam. Ich war im Februar hier – und wenn dann das Räumkommando kommt und Ordner rauswirft. Ist schon etwas irreal, wenn man da dabei sitzt."

    Seit August sitzt Evi Bürner zusammen mit ihren Kollegen nun in der ehemaligen Quelle Vorstandsetage und bereitet den Zensus, die Volkszählung vor. Etwas völlig Neues sei das, erzählt sie. Und das sei auch gut so.

    "Es ist schon eine große Portion Glück dabei, unter 1000 Bewerbungen rausgefischt zu werden. Wie ein Lottogewinn."

    Einige Teile von Quelle gibt es nach wie vor – sie wurden an Investoren verkauft – wie Küchen-Quelle. Die fränkische Investorengruppe will die Sparte wieder neu beleben. Auch die Marken Quelle und Privileg gibt es weiterhin – sie gehören jetzt dem Konkurrenten Otto. Kaum Trost für viele Menschen im Großraum Nürnberg Fürth. Sie trauern um einen Arbeitgeber, der in der Region verwurzelt war. Der für viele Mitarbeiter Heimat und Familie war. Doch dieses Traditionsunternehmen gibt es nicht mehr. Diese Quelle ist bereits Geschichte.