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"Was Wagner für die Musik war, bin ich für den Film!"

Er war vielleicht nicht der Begründer des Kinos, aber mit seiner Erfindung des Bioscops hat er noch vor den Brüdern Lumière die Bilder zum Laufen gebracht: Max Skladanowsky. Am 30. April 1863 wurde er in Pankow bei Berlin geboren.

Von Cornelis Hähnel | 30.04.2013
    "Mein über alles geliebtes, hoch verehrtes Berliner Publikum! Bewegliche Bilder in Lebensgröße habe ich Ihnen versprochen, eine Weltsensation. Und ich frage Sie: Haben Sie eine Weltsensation bekommen?"

    Ebenso begeistert wie der Direktor des Berliner Varietés "Wintergarten" zeigten sich am 1. November 1895 die 1500 Besucher, die soeben der ersten kommerziellen Filmvorführung beigewohnt hatten. Sie dauerte 15 Minuten und bestand aus acht kurzen Szenen. Dank eines speziellen Projektionsapparats konnte das Publikum ein boxendes Känguru auf der Leinwand in Lebensgröße bestaunen. Entwickelt hatte das sogenannte Bioscop Max Skladanowsky.
    Geboren am 30. April 1863 in Pankow bei Berlin, zeigte Skladanowsky schon früh Interesse für visuelle Medien, und er liebte es, handwerklich zu arbeiten. Seine Tochter Lucie Skladanowsky erinnerte sich, 91-jährig:

    "Er war Glasmaler, Fotograf und Bühnenapparate-Hersteller. Er musste doch die Kenntnis haben, um die Apparate zu machen. Das hat er alles selber hergestellt. Das hat ihm Spaß gemacht."

    Nach seiner Ausbildung arbeitete Max Skladanowsky mit seinem Bruder Emil im Betrieb des Vaters, wo er Nebelbilder, also bemalte Glasdiapositive, die mittels Überblendung den Anschein einer Bewegung suggerierten, herstellte und vorführte. Doch er suchte nach neuen Wegen für die perfekte Illusion. In einem Hörspiel von Walter Püschel offenbart Skladanowsky seiner Verlobten und Emil seine Idee der laufenden Bilder:

    Max: "Die Bewegung. Pauline, das ist es, worüber ich mir den Kopf zergrübele. Ein Foto ist tot. Auch wenn es vom Ausdruck her noch so lebendig ist. Weil es sich nicht bewegen kann. Was lebendig ist, bewegt sich."
    Emil: "Unsere Nebelbilder bewegen sich auch."
    Max: "Eben nicht. Wenn ich den Wachaufzug Unter den Linden zeige, genügt es mir nicht, wenn ich ihn einmal von vorne zeige, wie er von der Friedrichstraße anmarschiert und einmal bei der Wachablösung und einmal von hinten, wie er verschwindet, da möchte ich ihn marschieren sehen, die Linden entlang, und sehen, wie die Soldaten die Beine schmeißen und der Tambourmajor seinen Stock und die Schulkinder ihre Fähnchen schwenken."
    Pauline: "Maxe, Maxe, eines Tages werden deine Bilder laufen, bestimmt. Wie du so ausdauernd bist."

    Und in der Tat, es dauerte nicht lange und Skladanowsky konnte seine Vision realisieren. 1895 baute er einen Doppelprojektor, verband einzelne Filmbilder mit Schuhösen und brachte sie so "zum Laufen". Am Tag der umjubelten Premiere im Wintergarten ließ er sich das Bioscop patentieren. Doch am 28. Dezember 1895 nahm er in Paris an der Präsentation des Cinématographen der Gebrüder Lumière teil, der dem Bioscop technisch weit überlegen war. Skladanowskys Erfindung war bereits veraltet. Dennoch reiste er einige Jahre durch die Lande und versuchte, vom Aufstieg der Kinematografie zu profitieren, was ihm jedoch nur mit den Daumenkinos gelang, die er lukrativ vermarktete. Seine letzte Bioscop-Vorführung zeigte er am 31. März 1897 in Stettin.

    Um die Jahrhundertwende gerieten Max Skladanowsky und sein Bioscop immer mehr in Vergessenheit. Als jedoch Mitte der 1920er-Jahre das wissenschaftliche und populärwissenschaftliche Interesse an der Geburtsstunde der Kinematografie erwachte, meldete sich Skladanowsky wieder zu Wort. Er verkündete seinen Anspruch, als Erfinder des Kinos zu gelten, und löste damit einen Rechtsstreit aus. Der Filmwissenschaftler Jürgen Trimborn hat Teile des Skladanowsky-Nachlasses bearbeitet:

    "Sein einziges Ziel war wirklich, diesen Anspruch durchzusetzen, und da war ihm eigentlich jedes Mittel recht. Er hat sich bei den Nazis angebiedert, er hat ganz bewusst Fälschungen gemacht, er hat seine ganzen Apparaturen vordatiert, um eben zu suggerieren, dass er wirklich der Erste auf der Welt gewesen wäre, der das erfunden hat. Da hatte er wirklich überhaupt keine Probleme mit."

    1934 schrieb er eine Postkarte aus Bayreuth: "Was Wagner für die Musik war, bin ich für den Film! Von seinem und meinem Werk leben heute Hunderttausende!" Max Skladanowsky starb am 30. November 1939. Er war vielleicht nicht der Erfinder des Kinos, aber in seiner Person findet die deutsche Filmgeschichte ihren Anfang.