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Was wirklich dick macht

Medizin. - Leptos heißt dünn oder schlank auf griechisch. Deshalb nannte der New Yorker Forscher Jeffrey Friedman das Hormon, das seine Ratten dünn zu machen schien vor 10 Jahren "Leptin”. Schon jubelte er damals, er habe vielleicht sehr bald ein Medikament in der Hand, das Übergewichtigen beim Abnehmen hilft. Doch wie so häufig in der Forschung, führten spätere Studien und Experimente den Wissenschaftler auf einen ganz anderen Pfad. Leptin wird nun tatsächlich als Medikament getestet – aber nicht für Übergewichtige, sondern zum Beispiel für Athletinnen, die durch das harte Training keinen Menstruationszyklus mehr haben.

Von Grit Kienzlen |
    Sie sahen aus wie Dick und Doof im Tierreich, die beiden Mäuse, die vor 10 Jahren das Wissenschaftsmagazin nature zierten. Die dünne Maus auf dem Bild war eigentlich normal. Der dicken aber fehlte ein Gen. Sie konnte in ihrem Fettgewebe kein Leptin mehr produzieren. Doch der Körper braucht dieses Hormon, um schlank zu bleiben. Leptin erwies sich als der Botenstoff, der dem Gehirn signalisiert: "Es gibt viel Fett im Körper – Du kannst aufhören zu essen. Schalte den Appetit ab.” Übergewichtige Menschen, so die Idee damals, produzieren in ihren Fettzellen vielleicht ebenfalls zu wenig Leptin und werden deshalb dick. Wenn man das fehlende Leptin ersetzt, versteht ihr Gehirn plötzlich, dass genug Fett da ist und sie nehmen ab. So einfach, berichtet Jeffrey Friedman von der Rockefeller Universität in New York heute, war es dann aber nicht, denn:

    Die Übergewichtigen, denen es an Leptin mangelt, sind in der großen Minderheit. Die meisten dicken Leute produzieren sehr viel Leptin. Aber aus irgendwelchen Gründen hat es bei Ihnen nicht die Wirkung, die es haben sollte. Wir wissen nicht genau, warum das so ist.

    Deshalb hilft zusätzliches Leptin nur ganz wenigen Menschen beim Abnehmen. Als Adipositas-Pille scheidet das Hormon also aus. Dafür verstehen die Forscher inzwischen sehr viel besser, welche biologische Funktion Leptin für uns hat und die geht weit über die Kontrolle des Körpergewichts hinaus:

    Man macht sich das am leichtesten klar, wenn man Leptin als Hormon betrachtet, das in den Fettpolstern gemacht wird und dem Rest des Körpers signalisiert, wie es um den Proviant steht. Wenn der Leptin-Spiegel also hoch ist, heißt das für den Körper, dass er genug Kalorien auf Lager hat. Wenn der Spiegel dagegen niedrig ist geht das Signal an den Körper, dass die Kalorien knapp werden.

    Und diese Information ist für alle möglichen Systeme im Körper wichtig: Das Immunsystem muss wissen, wie viel Energie ihm für die Abwehr zur Verfügung steht und die Fortpflanzungsorgane brauchen Klarheit darüber, ob ein Kind versorgt werden könnte:

    Die Immunabwehr ist geschwächt, wenn der Leptin-Spiegel sehr niedrig ist, ebenso nimmt die Knochendichte ab, und bei Frauen wird die Fortpflanzung abgeschaltet. Man erklärt sich das damit, dass eine Frau, die hungert, eine Schwangerschaft nicht erfolgreich durchstehen kann. Man weiß ja zum Beispiel, dass bei sehr dünnen Frauen oft die Regelblutungen aufhören, so dass sie nicht schwanger werden können und jetzt vor kurzem wurde nachgewiesen: Wenn man diesen Frauen, die Langstreckenläuferinnen sein mögen oder Balletttänzerinnen, wenn man denen Letpin gibt, setzt der Menstruationszyklus wieder ein.

    Ebenso wirkt Leptin bei Magersüchtigen. Für die Behandlung von Übergewicht sieht Jeffrey Friedman dagegen eher schwarz. Die Natur hat den Körper mit mehreren Sicherheitssystemen gegen den Gewichtsverlust abgesichert, weil Fettpolster für unsere jagenden und sammelnden Vorfahren lebenswichtig waren. Und so wirkt auch Leptin an Zentren im Gehirn, die seit Jahrmillionen im Wesentlichen unverändert geblieben sind. Mit reiner Willenskraft, sagt er, sei es daher fast unmöglich mehr als 5 bis 7 Kilo dauerhaft, also für Jahre zu verlieren und illustriert das mit einem Beispiel:

    Wenn Sie jemandem vier Millionen Euro versprechen falls er es schafft fünf Minuten lang die Luft anzuhalten, das würde er gar nicht erst versuchen, weil er intuitiv weiß: So sehr er mit seinem Willen auch versucht, nicht zu atmen, es wird nicht klappen. Der elementare Antrieb dazu wird das Steuer übernehmen. Beim Übergewicht gibt es genau so einen elementaren Antrieb zur Nahrungsaufnahme, wenn Sie einfach aufhören zu Essen und Gewicht verlieren, nur dass diese Antrieb nicht innerhalb von Minuten, sondern von Monaten oder Jahren zum Tragen kommt. Deshalb erkennen die Leute nicht, dass es sich um einen elementaren Antrieb in ihrem Gehirn handelt und deuten ihn als ein Versagen der Willenskraft.

    Friedmans Empfehlung: Sich auf die fünf bis sieben Kilo konzentrieren, die sich der Körper gerade noch nehmen lässt, ohne mit unbezwingbarem Appetit gegenzusteuern. Denn diese fünf bis sieben Kilo senkten das Diabetes- und Herzinfarktrisiko schon enorm, wenn sie auch nicht zur Traumfigur führen.