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"Was wirklich zählt, ist auf der Bühne zu stehen"

Der Krakauer Mariusz Kwiecien widmet sich auf seinem CD-Erstling einigen bekannten und vielen unbekannten Heldenfiguren aus dem slawischen Opernrepertoire. Kwiecien hat seine professionelle Karriere nach einem Studium in Warschau vor allem durch das Nachwuchsprogramm der New Yorker Metropolitan Opera gefestigt.

Von Jochen Hubmacher |
    "Eugen Onegin", Oper in drei Akten
    K: Peter Tschaikowski
    "Uzhel'ta samaya Tatyana" (Ist das noch dieselbe Tatjana?)


    Eugen Onegin aus Peter Tschaikowskis gleichnamiger Oper. Das ist eine der zwei Paraderollen des polnischen Baritons Mariusz Kwiecien. Die andere: ein vor Testosteron strotzender Don Giovanni wie aus dem Bilderbuch, mit dem er in den vergangenen Jahren Opernfans in New York, London, Wien oder München begeistern konnte. Beim Label harmonia mundi ist nun die erste CD von Mariusz Kwiecien erschienen. "Slavic Heroes", also slawische Helden lautet ihr Titel und natürlich darf Tschaikowskis Eugen Onegin da nicht fehlen, auch wenn der eigentlich mehr ein Antiheld ist. Die meisten Bühnenheroen, denen Kwiecien seine prachtvolle Stimme leiht, tauchen allerdings eher selten in westeuropäischen Musiktheatern auf. So zum Beispiel der Peter Vok aus Friedrich Smetanas letzter Oper "Certova stena"- "Die Teufelswand".

    "Jen jediná" ("Einer einzigen Frau schönes Gesicht"), Arie des Vok, 1.Akt
    aus: "Certova stena", Oper in 3 Akten
    K: Friedrich Smetana
    Tr. 4


    Mariusz Kwiecien wird 1972 in Krakau geboren. Nach seinem Studium an der Warschauer Musikakademie verlässt er Polen in Richtung USA. Mit Anfang 20 schafft er es, in das Nachwuchsprogramm der New Yorker Metropolitan Opera aufgenommen zu werden. Doch bevor ihn das Publikum erstmals auf der Bühne des weltberühmten Opernhauses erlebt, zeigt der Bariton an einem fast ebenso legendären Ort Manhattans sein Können. Im Café Taci, Treffpunkt und Auftrittsmöglichkeit für viele tatsächliche Opernstars und noch mehr verhinderte Opernsternchen. Von einem Journalisten einmal auf diese Karrierestation angesprochen, verwies Mariusz Kwiecien auf ein paar Drinks, die dort schnell sämtliche Hemmungen über Bord spülten und dazu führten, dass er plötzlich russische Opernarien wie diese aus Tschaikowskis "Jolanthe" vor den anwesenden Dinnergästen zum Besten gab.

    "Kto mozhet sravnit'sya s Matild'doy moyey" (Wer kommt meiner Mathilde gleich?), Arie des Robert
    aus: "Jolanthe", Oper in einem Akt, op. 69
    K: Peter Tschaikowski
    Tr. 2


    Sein Debüt an der New Yorker Met gibt Mariusz Kwiecien 1999. Er singt eine kleine Rolle in Janaceks Katja Kabanova. Doch für Nebenrollen war er nicht nach New York gekommen, erinnert sich der Bariton in einem Interview mit dem englischen Fachmagazin "Opera". Sein Ehrgeiz und seine Zielstrebigkeit sollten sich auszahlen. Inzwischen gehört er zu den Stars nicht nur der Metropolitan Opera und tritt mit den Netrebkos und Garancas dieser Welt auf. Ende letzten Jahres schien ein Traum für Mariusz Kwiecien wahr zu werden, als er ausgerechnet in New York den Don Giovanni, also eine seiner Paraderollen singen sollte. Doch ein unglücklicher Sprung während einer Bühnenprobe löste einen Bandscheibenvorfall aus. Etwas überehrgeizig stand der Sänger nur wenige Tage nach der notwendig gewordenen Operation wieder als leidenschaftlicher Verführer auf der Bühne der Met. Zu früh, wie Kwiecien heute einräumt. Die fürs Singen wichtige Rückenmuskulatur hatte sich noch nicht ausreichend regeneriert, und so waren nicht nur die Kritiker, sondern am allermeisten er selbst unzufrieden mit seiner Leistung.

    Zu seinem Heimatland Polen hat Mariusz Kwiecien in all den Jahren eine sehr ambivalente Haltung entwickelt. Einerseits meint er, dass sein Herz immer an seiner Geburtsstadt Krakau hängen werde. Und dennoch hört es sich bisweilen etwas verbittert an, wenn er in Interviews wie kürzlich in der Zeitschrift "Fono Forum" über Polen spricht. Seine Landsleute würden besonders begabte Künstler zu wenig respektieren. Die ästhetische Erziehung in seinem Heimatland sei für ihn die falsche gewesen. Erst in der Fremde sei es ihm gelungen seinen eigenen künstlerischen Weg zu finden, oder wie er es ausdrückt: "richtig fliegen zu können". Dass es sich mit seiner Muttersprache Polnisch gut "fliegen" lässt, möchte Mariusz Kwiecien auch auf seiner jetzt beim Label harmonia mundi herausgekommenen CD zeigen.

    Drei der Arien darauf stammen vom Chopin-Zeitgenossen Stanislaw Moniuszko. Vor allem mit dem sozialkritischen Operndrama "Halka" hat Moniuszko seinen Ruf als Schöpfer der polnischen Nationaloper begründet. Die Oper erzählt von dem Bauernmädchen Halka, das in Gutsherr Janusz die große Liebe sieht, während sie für ihn nur eine Episode bleibt. Als Janusz standesgemäß heiratet, ertränkt sich die verzweifelte Halka mit ihrem ungeborenen Kind im Fluss.

    "Skad tu przybyla mimo mej woli" (Warum ist sie gegen meinen Willen gekommen?), Arie des Janusz, 1. Akt
    aus: "Halka", Oper in 4 Akten
    K: Stanislaw Moniuszko
    Tr. 5


    ""Ich hasse CDs, ich hasse DVDs. Was wirklich zählt ist auf der Bühne zu stehen und glaubhaft zu agieren"."

    Markige Sätze wie diese lässt Mariusz Kwiecien gerne in Interviews verlauten. Starker Tobak und gleichzeitig reichlich inkonsequent für einen Bariton, der gerade seine erste CD veröffentlicht hat. Und dennoch sind diese Aussagen durchaus aufschlussreich, wenn man ergründen möchte, warum dem polnischen Bariton im Studio nicht so recht gelingen will, was ihm auf der Bühne bei Kritikern und Publikum so große Anerkennung eingebracht hat. Nicht nur einfach schön zu singen, sondern seinen Opernhelden eine beeindruckende emotionale Tiefe und Eindringlichkeit zu verleihen. Mariusz Kwiecien hat zweifellos eine großartige Stimme, doch bei seinem CD-Debüt konzentriert er sich zu sehr aufs vokale Schaulaufen. Hinzu kommt die nicht immer vorteilhafte, da sehr hallige Akustik des Warschauer Lutoslawski Konzertsaals, in dem die Aufnahme entstand. Dem Klang des Polnischen Rundfunk-Sinfonieorchesters unter Lukasz Borowicz fehlt es oft an der nötigen Transparenz und Tiefenschärfe.

    Tugenden, die gerade bei einem Stück wie dem finalen Hymnus an Apollo aus der Oper "König Roger" dringend nötig sind, um den Regenbogen an Klangfarben, den Karol Szymanowski in seiner Partitur entworfen hat, auch in all seiner Pracht aufleuchten zu lassen.

    Schlussszene 3.Akt, Hymnus an Apollo
    aus: "König Roger", Oper in drei Akten, op. 46
    K: Karol Szymanowski
    Tr. 13


    Auf seinem CD-Erstling widmet sich der polnische Bariton Mariusz Kwiecien einigen bekannten und vielen unbekannten Heldenfiguren aus dem slawischen Opernrepertoire. "Slavic Heroes" lautet daher der Titel seiner Debüt-CD, die jetzt beim Label harmonia mundi erschienen ist und die ich Ihnen heute in der neuen Platte vorgestellt habe. Am Mikrofon bedankt sich für Ihr Interesse Jochen Hubmacher.

    Slavic Heroes
    Mariusz Kwiecien, Bariton
    Polish Radio Symphony Orchestra
    Leitung: Lukasz Borowicz

    Label: harmonia mundi
    Bestell-Nr.: HMW 609101
    LC: 07045