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Was zählt, ist auf dem Platz

Statistik.- Auf dem Fußballplatz kann ein Quäntchen Glück den Ausschlag darüber geben, ob ein Team als Sieger oder Verlierer vom Platz geht. Diese Unberechenbarkeit ist es, die das Spiel mit dem Leder so packend macht. Zu diesem Schluss kommt ein Physikprofessor aus Dortmund, der zahlreiche Spiele statistisch analysiert hat.

Von Ralf Krauter | 14.06.2010
    Für viele ist es die schönste Nebensache der Welt. Für den bekennenden Fußballfan Metin Tolan auch - aber nicht nur. Der Professor von der Universität Dortmund hat auch ein professionelles Interesse. Als Physiker geht er den Dingen gern auf den Grund und sucht nach verborgenen Gesetzmäßigkeiten. Und bei der statistischen Analyse von Fußballspielen wurde er fündig.

    "Wenn Sie sich Ergebnisse anschauen, Ergebnisverteilungen in der Fußballbundesliga, dann finden sie schon überraschende Strukturen. Wenn sie sich die Zahl der Tore, die in der Fußball-Bundesliga fallen, auftragen, dann haben Sie manchmal Null Tore, bei Null-zu-Null-Ergebnissen. Sie haben im Durchschnitt drei Tore, so zwei, drei sind die maximale Toranzahl, die fallen. Und sie haben relativ wenige Spiele mit vielen Toren. So zehn, elf Tore kommen selten vor. Dortmunder wissen, dass auch zwölf Tore vorkommen können, aber doch relativ selten. Und wenn sie diese Verteilung sich angucken, dann ist die relativ nahe an einer sogenannten Poisson-Verteilung. Das ist dieselbe Wahrscheinlichkeitsverteilung, die auch den radioaktiven Zerfall bestimmt."

    Der Grund für diese mathematische Analogie ist simpel. Die durchschnittliche Torrate pro Minute ist im Fußball ziemlich gering – genau wie die Zerfallsrate vieler strahlender Substanzen. Im langjährigen Mittel fallen pro Bundesligaspiel rund 2,7 Tore. Fans wünschen sich oft mehr, liegen aber falsch. Denn fielen im Durchschnitt mehr Tore, wären die Spiele in der Regel nicht spannender, sondern langweiliger, warnt der Fußballexperte.

    "Je mehr Tore fallen, desto wahrscheinlicher ist es, dass die stärkere Mannschaft sich auch durchsetzt. Nun könnte man sagen, das ist ja auch gerecht, die sind ja besser. Aber es ist natürlich nicht so interessant. Der Fußball lebt davon, dass auch eine Regionalligamannschaft eine Chance hat, gegen einen Bundesligisten – im Pokal. Und das ist direkt verknüpft mit der Tatsache, dass wenig Tore fallen. Dass man mal einen Glückstreffer macht und dann passiert halt nichts mehr. Wenn natürlich zehn Tore fallen und jetzt die schwächere Mannschaft einen Glückstreffer erzielt, dann setzt sich die stärkere eben doch durch."

    Metin Tolan hat Zigtausende Spielergebnisse, Torverhältnisse und Tabellen ausgewertet, die in einer Online-Datenbank dokumentiert sind. Er kommt zu dem Schluss, dass die Poissonverteilung der Ergebnisse in der deutschen Bundesliga seit Jahrzehnten konstant ist. Genau wie in der 1. Liga Italiens, Englands und anderer europäischer Anwärter auf den WM-Titel in Südafrika. Allerdings nur bei den männlichen Kickern. Im Frauenfußball liegen die Dinge anders. Dort fallen in den Profiligen im Mittel 3,5 bis 4 Tore pro Spiel, also deutlich mehr. Deshalb weicht die Ergebnisverteilung stark von der Poissonform ab: ein Zeichen, dass hier Mannschaften sehr unterschiedlicher Spielstärke aufeinander treffen.

    "Wenn Sie eine Kreisliga-Mannschaft eine Bundesligasaison mitspielen lassen, ist die Statistik auch im Eimer. Die verliert immer 20:0 und dann ist das nicht mehr Poissonverteilung. Und das sehen sie auch in der Damen-Fußballbundesliga. Da kommen Ergebnisse wie 10:0 zuhauf vor. Und für eine Profiliga ist das außerordentlich überraschend, dass sie da so ein großes Leistungsspektrum haben. Das macht diese Liga eigentlich uninteressant. Der Letzte kann eben nicht mehr den Ersten schlagen. In der Saison 2006/2007 hatte der Tabellenletzte null Punkte am Ende. Und der Meister ist ungeschlagen Meister geworden. Aber gehen sie zu den Weltmeisterschaften. Wenn Deutschland Weltmeister wird bei den Frauen, ohne ein Gegentor zu kassieren, dann kann man sich da natürlich drüber freuen. Es zeigt aber nur, dass alle anderen schlecht sind."

    Darauf darf die männliche Nationalelf in Südafrika freilich nicht hoffen. Ob Jogi Löws Team eine Chance hat, sich gegen gefährliche Gegner zu behaupten? Metin Tolan rät, als Frühindikator während der Gruppenspiele vor allem das Torverhältnis im Auge zu behalten. Denn das verrät mehr über die durchschnittliche Leistung einer Mannschaft als ihr aktueller Platz in der Tabelle. Und noch eins hat der Physikprofessor berechnet: Die Wahrscheinlichkeit, das Finale nach einer 1:0-Führung des Gegners doch noch zu gewinnen. 1954 gegen Ungarn und 1974 gegen Holland war das den Deutschen gelungen. Ob es nochmal klappt, ist zumindest fraglich. Nur in rund einem von fünf Spielen gelingt es einem zurückliegenden Team, das Ergebnis noch zu drehen.