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"was zitterst blödes wort"

Ausgreifend und fragmentiert, elegisch und ironisch, mit erratischen Zeilensprüngen und spielerisch eingesetzten Reimen - so ergreift Elfriede Czurdas Sprache den Leser. Die Werke der Kunsthistorikerin und Schriftstellerin verdienen noch die Bezeichnung Sprachkunst. In dem Prosabüchern "Krankhafte Lichtung" und "ich, weiß" zeigt sie, welche Kraft Worte besitzen.

Von Dorothea Dieckmann | 14.08.2008
    In den neunziger Jahren, als Elfriede Czurdas bekannteste Romane bei Rowohlt erschienen, entstand im literarischen Diskurs der Ruf nach leicht konsumierbaren Erzählprodukten, die Schluss machen mit dem künstlerischen Anspruch der Literatur, die Sprache aus ihrer sozialen und medialen Abnutzung zu befreien. Bekanntlich hat sich dieser Trend zum Verkaufserfolg durchgesetzt. Unter dem Quotendiktat sind Charakteristika wie "experimentell" oder gar "avantgardistisch" längst Synonyme für "elitär" oder "hermetisch" geworden.

    Sucht man heute im deutschsprachigen Raum nach Literatur, die den Namen Sprachkunst verdient, so wird man am ehesten in Österreich fündig - etwa in dem diesjährigen Büchnerpreisträger Josef Winkler, dessen Wahl als "rückwärtsgewandt" angeprangert wurde, oder in Peter Handke, der in seinem jüngsten Buch "Die morawische Nacht" einen der neuen Literaten gegen die originären Schriftsteller wettern lässt:

    Die dichterische Sprache ist tot, es gibt sie nicht mehr ... Hättest du doch beizeiten das Arrangieren gelernt. Arrangement ist alles, merk dir das ... Deine Schreibersprache kam und zitterte aus einer Sprachlosigkeit ... Ohne diese primäre Sprachlosigkeit, so deine Überzeugung, kein Schreiben. Aber Sprachlosigkeit heute? Als Grund des Schreibertums? Ein alter Hut, Schnee vom vergangenen Jahr, kein Thema. Jedes Wort und jeder Satz, sie stehen heutzutage von vornherein zur Verfügung, gleichsam als Fertigteile.

    Diese sarkastisch gewendete Verteidigung der Würde des Schreibens passt präzise auf das Werk von Elfriede Czurda, die mit ihrer Landsmännin Elfriede Jelinek nicht nur den Vornamen und das Geburtsjahr gemeinsam hat. Wie diese hat Czurda in ihren früheren Romanen, aber auch in den vor einem Jahr im Berliner Verbrecher Verlag erschienenen Erzählungen "Krankhafte Lichtung - 3 wahnhafte Lieben" ihre poetische Stimme Frauen gegeben, die keine andere Sprache kennen als die der physischen, psychischen und sozialen Gewalt.

    Die Arrangements und Fertigteile, die Peter Handke im heutigen marktgerechten Literarisieren entdeckt, sind Bestandteil dieser Gewalt, mit der die Protagonistinnen zugerichtet werden - eine namenlose Kranke im Kontext von Hiroshima, die Ehefrau Hannah und die Dichterin Anna Na. Sprachkritik und Sprachwitz, Sprachzertrümmerung und Neuschöpfung sind eins in Czurdas Sprachuniversum.

    Wir wolln uns nicht mehr so kahl kastein, Frau Hannah. Selend hat viele falsche Splitter in unser Fleisch gerammlt. Wir werdn die Wundn salzn und pfeffern, damit wir wissen, was Schmerzn heißt. Wir werdn das schon zurichtn. Natur Gewaltn wie Blitz und Feuer beeindruckn immer. Ein fescher Hut und ein Paar Stockings mit und ohne Grapschn. Du Alabaster Weiber Body mit beweglichn Gelenkn wirst schon noch hopsn. Dein Hirn entsaftn wir durch Dach und Traufe. Wir werdn schließlich nicht ein ordntlich reguliertes System wegn ein paar Flausn fliegn lassn.

    Czurdas neuestes Buch dagegen, ein Gedichtband, verdankt sich einer ungewöhnlichen Versuchsanordnung: Vom 21. Juli 2003 bis zum 20. Juli des Schaltjahrs 2004 hat die Autorin täglich ein zwölfzeiliges Gedicht geschrieben. Wie die kleinen Fenster eines Kinder-Weihnachtskalenders öffnen die 366 sogenannten Mikro-Essays gleichsam Ausblicke nach innen, Einblicke nach außen.

    Es sind Momente äußerster Gegenwart, die in ihrer Entwicklung motivische Wellen bilden: Tages- und Jahreszeiten, Landschaften, Reisen, Krankheiten und Lektüren. Und immer wieder wird jene Sprachlosigkeit reflektiert, aus der die dichterische Arbeit entsteht und die sie zu überwinden sucht - wie in dem Gedicht zum 11. April:

    was zitterst blödes wort
    du im versteck wo ich
    dich doch nicht finde
    du arten reiches spiegel
    land je silbe stehst
    du jedem grad und jedem
    krumm bist dumm und
    ganz nuancen reich du
    zufluchts ort du schlangen
    gleich verschobenes
    verrutschtes zeichen
    fundament hockst im exil


    Gerade die strenge Struktur macht die Freiheiten kenntlich, die sich die Sprache nimmt - sei es, dass sich im Verlauf thematische Zyklen bilden, sei es, dass die Tagesgedichte formal miteinander kommunizieren. Das zeigen auch die Gedichttitel. Am unteren Seitenrand stehend, bilden sie eine eigene Linie, die wie ein Fließtext mitläuft. Von Ende Juli bis in den August lesen sich diese Untertitel etwa folgendermaßen:

    schwemmen - schwemmen/krank - schwimmen/krank - schwimmen/gesund - schwimmen - schwingen - lichten - lotsen - nicht,

    wobei sich einige dieser Titel mehrfach wiederholen. Die gefüllte Zeit eines Jahres bekommt auf diese Weise ein so komplexes wie analytisch präzises Gesicht: Augenblick und Dauer, Thema und Horizont, Zufall und Bedingtheit. Die Zwölf-Zeilen-Vorgabe, die übrigens ihrerseits einmal durchbrochen und zehn fortlaufende Tage lang durch vier Zeilen ersetzt wird, unterstreicht dabei sowohl die Unerbittlichkeit als auch die Beliebigkeit, zu der uns die Zeit selbst als existenzielle Vorgabe verurteilt.

    In den wohldefinierten Ausschnitten zwischen Freiheit und Notwendigkeit tanzt, schreit, weint, zappelt, lacht und klagt Czurdas Sprache ausgreifend und fragmentiert, elegisch und ironisch, mit erratischen Zeilensprüngen, spielerisch eingesetzten Reimen und meist ohne Versmaß. Jandlsche Spiellust und todnahe Bitterkeit liegen nah beieinander. "tante mathilde stirbt" heißt das Gedicht zum 18. Oktober:

    zählt dazu was lange währt
    rechnet ab was elend war und kurz
    dividiert die zahl der sonnentag
    durch den kopfschmerz und das
    magendrücken und was sonst noch
    nachhallt auf der habenseite der
    bilanz das addierte glück sodann
    ins stundenglas ausgetrunken noch
    einmal zu kosten wie es schmeckt
    und sodann die ganze rechnerei einer
    krähe in den rachen die vom dachfirst
    flattert auf hinüber in den park


    Zusammen mit vielen anderen ihrer, aber auch der nachfolgenden Schriftstellergeneration entwickelt Elfriede Czurda in ihrem gattungsübergreifenden, aber auch die Kunstdisziplinen verbindenden Werk die Erkenntnis der Moderne weiter, dass in der Literatur die Sprache selbst erforscht werden kann und muss, um zu erfassen, was die Welt im Innersten zusammenhält - oder im Innersten zerstört. "Was auf den Tisch kommt, wird verdaut", heißt es in einem der Gedichte.

    Im Widerspruch zu den Parolen für eine leicht verdauliche Freizeit-Lesekost, die auch in Feuilletons, institutionellen Schriftstellerschmieden und Preisjurys ertönen, lassen sich Czurdas Texte durchaus verdauen - vorausgesetzt, man hat weder das Kauen verlernt noch den Hunger verloren.

    Elfriede Czurda: Krankhafte Lichtung. 3 wahnhafte Lieben
    Verbrecher Verlag, Berlin 2007, 111 Seiten

    Elfriede Czurda: ich, weiß. 366 Mikro-Essays für die Westentasche
    Edtion Korrespondenzen, Wien 2008, 370 Seiten