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Wasser als Druckmittel

Israel hat weltweit die höchste Recyclingrate beim Trinkwasser. Trotzdem ist Wasser rar und kostbar. Das israelisch-palästinensische Gebiet gehört zu den wasserärmsten Regionen der Erde – außerdem ist die Ressource ungleich verteilt. Seit Israel im Sechstagekrieg 1967 Westbank und Gaza eroberte und die Golan-Höhen besetzte, kontrolliert es alle Grundwasserspeicher westlich des Jordan und zum größten Teil auch das Jordanbecken. Doris Bulau berichtet.

05.11.2005
    Der Weg ist lang von Jerusalem nach Bethlehem im Westjordanland. Der Checkpoint des israelischen Militärs, das heißt erst mal warten, warten und nochmals warten bis zur Kontrolle durch die Soldaten. Erst danach ist der Weg frei über lange, staubige und zerklüftete Straßen ins Zentrum Bethlehems an der Geburtskirche Christi. Keine Touristen, geschlossene Souvenirläden. In einem der kleinen Cafes am Platz sitzt Faten Mukarka, Mutter von vier Kindern. Sie erzählt aus ihrem Alltag:

    "Bei uns kommt das Wasser nicht fließend, sondern es wird gesammelt auf dem Dach in Wassertanks und kommt auch nicht jeden Tag sondern im Sommer auch höchstens alle zehn oder zwölf Tage einmal in einer Nacht und dann wird es hochgepumpt in die Wasserkanistern auf den Dächern und das ist so in ganz Palästina."

    Faten Mukarka lebt in Beit Jala, einem Nachbarort von Bethlehem. Seit dem Bau der so genannten Sicherheitsmauer durch Israel fließt das Wasser noch spärlicher, denn ein Teil der Brunnen liegt jetzt auf israelischem Gebiet

    Kein Wasser zu haben, das beeinträchtigt nicht nur die Lebensqualität, sondern auch Gesundheit und Hygiene, es geht auch um die Würde.

    "Es kann sein, dass man morgens aufsteht man will sich die Zähne putzen, es röchelt so verdächtig und dann ist Totenstille, das Wasser ist leer geworden in den Wasserkanistern und am allerschlimmsten sind die Toiletten, wenn man nicht nachspülen kann und bei Großfamilien reicht oft schon ein Tag, um das Leben unerträglich zu machen."

    Alltag in Palästina. Von Bethlehem fällt Har Homar ins Auge, eine jüdische Siedlung, die auf dem gegenüberliegenden Hügel thront. Das Bild mutet geradezu bizarr an: eine grüne Insel erhebt sich aus der kargen Westbank.

    "Und dort haben sie vor ihren Häusern dunkelgrünen Rasen, genauso dunkelgrün wie in Deutschland und bei der Hitze, die dort herrscht im Hochsommer, so einen Rasen dunkelgrün zu halten, muss man Tag und Nacht besprenkeln."

    So wird Wasser zum Privileg - einem Privileg der Besatzer, mit dem sie Druck ausüben. Denn den Palästinensern ist es nicht erlaubt, eigene Brunnen zu bohren. Genehmigungen erteilen ausschließlich die israelischen Behörden, sie tun es in der Regel nicht. Also müssen Tankwagen kommen, wenn das Wasser mal wieder nicht reicht. Doch oft werden sie an den Checkpoints angehalten, zurückgeschickt oder sie müssen ihr kostbares Nass an Ort und Stelle ablassen - " aus Sicherheitsgründen", heißt es lapidar. An Aimann Scharrar, einem leitenden Angestellten der Wasserbehörde von Ramallah im Westjordanland, sind solche Erfahrungen im ständigen Kampf um das Wasser nicht spurlos vorbei gegangen. Er fühlt sich gedemütigt:

    "Es ist schwierig über Wasser emotionslos zu sprechen. Die Israelis nutzen 85 Prozent des Wassers aus der Westbank. Deshalb haben sie es nicht nötig zusätzliche Brunnen in der Westbank zu bohren. Sie versorgen ihre Siedlungen in der Westbank, aber es ist palästinensisches Wasser, dass uns zusteht. Die Orte der meisten israelischen Siedlungen in der Westbank sind so gewählt, dass sie direkten Zugriff auf Wasser haben."

    Durchschnittlich verbrauchen palästinensische Haushalte etwa 60 Liter Wasser pro Person und Tag. Israelischen Familien steht circa sechs Mal so viel zur Verfügung, nämlich 350 Liter. Streitpunkte zwischen Israelis und Palästinensern. Shimon Tal, oberster Wasserkommissar der israelischen Regierung, kann das allerdings nicht verstehen.

    "Heute steht man mit den Palästinensern in festen Verträgen und sie bekommen genau die Menge, die wir vertraglich ausgehandelt haben. Es stimmt, sie brauchen mehr Wasser als jetzt, aber wenn wir eine Entsalzungsanlage haben, dann bekommen die Palästinenser von dort Wasser – sicher, das ist etwas teurer, aber dann müssen andere Länder die Palästinenser finanziell unterstützen, besonders Deutschland, dann werden die Palästinenser das Wasser auch bezahlen können."

    Der deutschen Wasseringenieur und Geologe Clemens Messerschmidt lebt schon über zehn Jahre in Ostjerusalem und Ramallah. Er hält für den Deutschen Entwicklungsdienst palästinensischer Wasserleitungen instand und wartet Kläranlagen und Brunnen.

    Stolz zeigt er eine neue Kläranlage, die nahe Ramallah mit deutscher Hilfe gebaut wurde. Damit hofft er, zumindest der Landwirtschaft mehr Wasser zur Verfügung stellen zu können. Clemens Messerschmidt erlebt täglich die Folgen der ungleichen Wasserverteilung zwischen Israels und Palästinensern und er kennt die Ursachen.
    "In der Tat, was die Wasserteile des Oslo II-Abkommens betrifft, haben sich die Palästinenser sehr über den Tisch ziehen lassen. Ein sehr wichtiger Grund ist zunächst einmal, dass die Palästinenser zu Beginn des gesamten Oslo-Prozesses selber über keine handfesten Daten verfügt haben. Wenn über 35 Jahre lang Brunnenanlagen in israelischer Hand sind, dann haben die Palästinenser auch nicht die genauen Daten und schon gar nicht die Daten aus innerhalb Israels, die ja in einem gemeinsamen hydrologischen Grundwasserbecken genauso wichtig sind."

    Auch in Ramallah lassen sich die Folgen dieser Politik besichtigen – hier markiert der israelische Betonwall eine soziale Wasserscheide. Die knapp neun Meter hohe Sicherheitsmauer teilt die Stadt. Auf der einen Seite versteckt sich der Beton hinter einer parkähnlichen Anlage mit üppigen Rasen und Kletterpflanzen. Die palästinensische Seite erinnert hingegen in ihrer Brutalität an die Berliner Mauer. Überall Stacheldraht, Sicherheitsgräben, Wachposten und Pisten für das Militär. Die Mauer, die sich sehr willkürlich entlang der Demarkationslinie zieht, bewirkt Konsequenzen, die weit über Wasserversorgung hinausgehen, erzählt Clemens Messerschmidt:

    "Bereits der im Norden gebaute Abschnitt hat etwa 50 Prozent der palästinensischen Brunnenversorgung jetzt auf die israelische Seite fallen lassen. Das heißt, dass die Palästinenser darüber die Kontrolle entweder richtig verloren haben oder jederzeit verlieren können,. Und wenn man jetzt über das Land fährt, sieht man Männer im besten arbeitsfähigem Alter arbeitslos auf der Straße stehen."

    Ortswechsel: Gaza am Mittelmeer. Auch dieser übervölkerte, dreckige und ausgetrocknete Landstrich ist nur über einen israelischen Checkpoint zu erreichen. Bulldozer haben alles platt gewalzt, wo einst Olivenhaine standen – auch hier heißt es: "Sicherheitsgründe". Gaza verfügt zwar über eigenes Grundwasser, doch das nutzt über einer Million Palästinensern in dem elenden Streifen Land wenig, denn...

    "...das Wasser in Gaza ist von ganz schrecklicher Qualität. Jeder, der auch nur ein Einkommen hat, wird es seinen Kindern nicht zu trinken geben, auch leiden wieder die Armen darunter. Es gib auch hier viele Krankheiten auf Grund von schlechtem Trinkwasser, Wasser was verseucht ist durch Meerwasser, durch Abwasser, durch Müll, Pestizide, Dünger usw. und durch Überpumpen dieser geringen Wassermenge. Leute, die dadurch richtig krank geworden sind."

    Wieder sind es Frauen und Kinder, die darunter leiden. Ihre Hoffnung, nach Israels Abzug aus Gaza im letzten August die Wasserleitungen der verlassenen Siedlungen nutzen zu können, hat sich im wahrsten Sinne des Wortes im Sande verlaufen.
    Die Deutsche Ina Fuchs arbeitet in Gaza für die Heinrich-Böll-Stiftung mit palästinensischen Frauen. Sie erlebt ihren Alltag voll quälender Belastungen, in dem Wasser nach wie vor eine kostbare Mangelware bleibt.

    "Und da soviel abgepumpt worden ist, ist es jetzt verschmutztes Wasser, es hat einen irren hohen Salzgehalt, und dass wiederum bedeutet, dass es ein Phänomen gibt, das Phänomen der so genannten blauen Babys und das bedeutet, dass die Kinder blau anlaufen, weil sie Atemnot haben und diese Atemnot wird dadurch verursacht, dass das Blut einen zu hohen Gehalt an Nitrat hat."

    Für die palästinensischen Familien in Gaza und im Westjordanland bleibt die ausreichende Versorgung mit sauberem und bezahlbarem Wasser weiter ein Traum. Kaum anzunehmen, dass Israel das Besatzungsrecht lockert und das Wasser uneingeschränkt durch die Leitungen fließen lässt.