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Wasser mit Gedächtnis?

Die Medizin des achtzehnten Jahrhunderts gilt heute als rabiat, Medikamente wurden nach dem Motto "Viel hilft viel" wie Rosskuren verabreicht. Da hatte um 1800 der Arzt Samuel Hahnemann die Idee, Wirksubstanzen mittels eines ansprechenden Schüttelrituals zu verdünnen und diesen Vorgang "Potenzieren" zu nennen. Wer nun, wie Hahnemann - der Vater der Homöopathie - meinte, viel Potenzieren hülfe viel, verdünnte die Tinkturen schon einmal ins Ungiftige. Das war ein Fortschritt. Wer aber lange genug potenziert, sollte am Schluss kein einziges Molekül der Wirksubstanz zum Wirken mehr übrig haben, was wieder gewisse Zweifel an der Methode aufkommen lässt. Deshalb sind Homöopathen stets auf der Suche nach einem Gedächtnis des Wassers, das die Heilkraft der nicht mehr vorhandenen ursprünglichen Tinktur bewahren kann.

    Von Mathias Schulenburg

    "Ist das der Beweis für ein Gedächtnis des Wassers ?", fragte die englische Wissenschaftszeitschrift New Scientist und zitierte eine Veröffentlichung des Schweizer Chemikers Louis Rey, wonach Lösungen von Lithiumchlorid und Natriumchlorid auch dann noch Spuren in sogenannten Thermolumineszenz-Spektren von Eis hinterlassen, wenn eigentlich kein einziges Atom der Substanzen mehr beteiligt sein kann.

    Thermolumineszenz bringt Kristalle zum Leuchten, deren Atom- oder Molekülgitter etwa durch Strahlung so gestört wurde, dass die Störungen durch Erwärmen wieder ausheilen können. Die Bausteine des Kristalls nehmen dabei energetisch günstigere Plätze ein; die Energiedifferenz zum alten Zustand wird in der Form von Strahlung, kleiner Lichtblitze, abgegeben, daher Thermo-Lumineszenz, Leuchten durch Erwärmung.

    Das geht auch mit Eiskristallen; die halten über Wasserstoff-Brückenbindungen zusammen, die durch Strahlung gestört werden können und bei Erwärmung des Eises wieder zusammenfinden, wobei Licht in messbaren Mengen abgegeben wird. Louis Rey ließ nun Wasser gefrieren, dem Lithium- und Natriumchlorid beigegeben war; beide Salze beeinflussen Wasserstoffbrücken, was sich wie erwartet in deutlich weniger Licht äußerte. Jetzt der Clou: Louis Rey verdünnte die Lithium- und Natriumchlorid-haltigen Wässer nach Art des Homöopathen so, dass eigentlich keinerlei Substanz mehr hätte da sein sollen, trotzdem sahen die Thermolumineszenz-Spektren des daraus gefrorenen Eises so aus, als seien Lithium- und Natriumchlorid vorhanden. Also muss Wasser ein Gedächtnis haben.

    Oder nicht? Martin Chaplin, ausgewiesener Wasserexperte und Professor an der Londoner South Bank University, kann sich das Ganze nur als Verunreinigungs-Effekt erklären:

    Die einzige Erklärung, die ich habe, sind kleine Mengen an Verunreinigungen. Die würden sich da anreichern, wo die Eiskristalle aneinander stoßen und hätten so auch dann einen Effekt, wenn die Verunreinigungen unter der Nachweisgrenze der üblichen Methoden liegen.

    Können Homöopathen eigentlich sicher sein, dass am Ende der Schüttelei ins Höchstverdünnte keine Wirksubstanzen mehr da sind ?

    Ich glaube nicht, dass sie sicher sein können, und es können auch durch das Schütteln Produkte entstehen wie reaktive Sauerstoff-Verbindungen.

    Martin Chaplin, der lange Jahre an Wasser geforscht hat und eine überreiche Publikationsliste aufweisen kann, hätte gerne einen Dreckeffekt als Erklärung für die Spektren Louis Reys. Dieser wiederum wird von der Homöopathischen Industrie gerne als Zeuge für ein Gedächtnis des Wassers in Anspruch genommen, und das schon seit Jahren.

    Dabei findet auch Martin Chaplin Wasserstrukturen im Wasser, die viele Eigenschaften des Wassers erklären können, so auch das Dichtemaximum bei vier Grad Celsius. Für ein Gedächtnis im homöopathischen Sinne aber reicht das nicht:

    Meine Theorie geht von Wassermolekül-Anhäufungen aus, sogenannten Clustern; eine häufige Wassermolekülzahl ist 280, es kommen auch kleinere vor, aber das ist das bevorzugte Arrangement, aber das fluktuiert ständig. Diese Vorzugskonfigurationen verleihen dem Wasser seine speziellen Eigenschaften.

    Die von der etablierten Wissenschaft wahrgenommenen Wasserstrukturen, die ein Gedächtnis ja tragen müssten, sind also ausgesprochen flüchtig. Die deutschen Behörden dagegen schreiben Wasser ein solides Langzeitgedächtnis zu, so sieht die deutsche Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Registrierung homöopathischer Arzneimittel eine Haltbarkeitsdauer von fünf Jahren vor, so weit müsste bei hochpotenzierten Homöopathika also auch das Gedächtnis des Wassers reichen.

    Ein langes Wassergedächtnis hätte nicht nur Vorteile, so müsste das Rheinuferfiltrat, das vielen Rheinländern als Trinkwasser dient, dann eine Menge Aufregendes zu erzählen haben, wie die häufig im Wasser nachweisbaren Bestandteile von Antibabypillen und Betablockern vermuten lassen. Ob am Rhein nicht ein kurzes Gedächtnis des Wassers von Vorteil sei ? Martin Chaplin bejaht und wundert sich: Ja, das sei schon merkwürdig, wie da ein Atom im ganzen Atlantik Wirkung zeigen soll.