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Wasser statt Säure

Auf dem 2. Europäischen Chemie-Kongress in Turin spielt auch die sogenannte Grüne Chemie eine große Rolle. Sie sucht nach Wegen, chemische Produkte auf umweltfreundlichere Weise herzustellen. So lässt sich zum Beispiel die bei der Produktion von PET-Kunststoff normalerweise nötige Essigsäure durch einen sauberen Stoff ersetzen: heißes Wasser.

Von Hellmuth Nordwig | 17.09.2008
    Weltweit 40 Millionen Tonnen pro Jahr: Das ist für ein Chemieprodukt eine stolze Menge. So viel wird vom Kunststoff PET produziert. Immer mehr Getränke werden in Flaschen aus diesem Material abgefüllt, konnte der britische Chemiker Martyn Poliakoff erst heute Morgen wieder beobachten.

    " Hier im Hotelrestaurant in Turin bekommt man sogar die Frühstücksmilch aus diesen Plastikflaschen. "

    Um PET herzustellen, braucht die Industrie Essigsäure. Und auch diese nicht gerade in kleinen Mengen: Fast ein Fünftel der Weltproduktion an Essigsäure werden allein für Getränkeflaschen verbraucht. Martyn Poliakoff, der die Abteilung für Grüne Chemie an der Universität Nottingham leitet, hat eine Alternative entwickelt: Er ersetzt die Essigsäure durch Wasser. Mehr als 300 Grad heißes Wasser, das dennoch kein Dampf ist, weil es in einem speziellen Behälter auf sehr hohen Druck gebracht wird. In diesem Zustand verändert das Wasser seine bekannten Eigenschaften.

    " Wasser verdankt seine besonderen Eigenschaften so genannten Wasserstoffbrückenbindungen. Wenn man Wasser erhitzt, beginnen sich diese Bindungen zu lösen. Dadurch bekommt Wasser einen anderen Charakter, als wir ihn kennen: Organische Verbindungen lösen sich darin immer besser, und Kochsalz und andere Salze zusehends schlechter. Wenn man also Wasser sehr hoch erhitzt, lösen sich organische Verbindungen so gut wie in Aceton, und wenn man es wieder abkühlt, trennen sie sich von selbst wieder von dieser Lösung. Das erleichtert es ungemein, solche Verbindungen abzutrennen - ohne Destillation oder andere aufwändige Prozesse. "

    Das ist ein weiterer Vorteil des so genannten überkritischen Wassers - so heißt dieser ganz besondere Zustand in der Fachsprache. Dazu kommt, dass Wasser nicht brennt, anders als viele organische Lösungsmittel wie Aceton. In überkritischem Wasser lassen sich sogar Müll und selbst Giftstoffe zu ungefährlichen Substanzen umwandeln. Das ist zwar deutlich teurer, als sie zu verbrennen, ist aber fürs Militär interessant.

    " Zum Beispiel Nervengase militärischer Herkunft. Und das Verfahren wird auch an isolierten Standorten verwendet, wie zum Beispiel auf Flugzeugträgern der USA. So ein Flugzeugträger ist eine kleine Stadt mit 5000 Menschen, die eine Menge Abfall produzieren. Häufig wird er einfach ins Meer gekippt, aber auf einigen Schiffen nutzt man bereits die Reaktion mit überkritischem Wasser, was die Umwelt viel weniger belastet. "

    Nylon könnte ebenfalls umweltfreundlicher hergestellt werden, wenn überkritisches Wasser verwendet wird. Bei dem bisherigen Verfahren entstehen dabei enorme Mengen Abfall. Die alternative Umsetzung funktioniert bisher im Labor - doch die Übertragung in den industriellen Maßstab steht noch aus. Bei den Getränkeflaschen ist der britische Chemiker Martyn Poliakoff da schon weiter: Kleinere Anlagen produzieren bereits PET nach seinem Verfahren. Und das Interesse der Industrie wird immer größer.

    " Nachdem der Ölpreis so stark gestiegen ist, nimmt auch das Interesse an der Grünen Chemie deutlich zu. Denn nun wird es für die Chemieunternehmen immer teurer, wenn eine Reaktion wenig effektiv ist und viel Abfall produziert. Ich beobachte jedenfalls, dass die Industrie der Grünen Chemie gegenüber immer aufgeschlossener ist. "

    Noch zögert die Industrie allerdings damit, Prozesse zu verändern, die seit Jahrzehnten bewährt sind. Neue Lösungsmittel wie das überkritische Wasser werden sich also nur durchsetzen, wo sich das auch rechnet. Beim jetzigen Ölpreis ist es, von Einzelfällen abgesehen, noch nicht soweit.