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Wassernixe im Brüsseler Regen

Antonin Dvorak hat mit "Rusalka" seine erfolgreichste Oper geschrieben. Uraufgeführt wurde das Stück über die Wassernixe um die vorletzte Jahrhundertwende in Prag. Nun deuten Stefan Herheim und Adam Fischer Dvorak an der Oper La Monnaie in Brüssel.

Von Jörn Florian Fuchs |
    Eine abendliche Reise mit dem Schnellzug nach Brüssel ist definitiv nicht jugendfrei. Kurz vor dem Erreichen des Nordbahnhofs und während der gemächlichen Weiterfahrt zum Hauptbahnhof verändert sich plötzlich die vorbeieilende Landschaft und gewährt dem ahnungslosen Passagier ungewöhnlich intime Einblicke. Man sieht nämlich den Damen des horizontalen Gewerbes buchstäblich ins bestens ausgeleuchtete Präsentierzimmer. Wenn man dann aussteigt, um sich kulturellen Genüssen hinzugeben, dann steht man meist im Brüsseler Regen und erlebt stracks das alltägliche Großstadt-Chaos.

    Das soeben Erlebte setzt sich auf der Bühne des Theatre de la Monnaie fort. Da steht doch wahrhaftig ein ganzer Straßenzug: Es gibt ein Eiscafe und eine Bar, große Wohnhäuser - teils mit, teils ohne Balkon. In der Mitte verweist ein leicht verwittertes "M” auf den Eingang zur U-Bahn, die in Belgien Metro heißt. Und dann ist da auch noch ein Kirchenportal, mächtig und mit sehr schöner Rosette. Fast zehn Minuten lang rauscht es elektronisch vom Band, Regen prasselt auf Bettler und Geschäftsleute, die sich mit Schirmen bewaffnet den Weg in die Bar oder zur Metro freikämpfen. Als der Regen aufhört, beginnt die Musik, doch über einem merkwürdigen Mann regnet es - gezielt - weiter. Es ist der Wassermann, der die Nixe Rusalka liebt, der versucht, sie von ihren Eskapaden in die Menschenwelt zurückzuholen, der sich mit der Hexe Jezibaba anlegt und der einerseits überzeitliche Liebe ersehnt, andererseits jedoch handfesten Sex will. Rusalka und auch eine Reihe von Kolleginnen sind in Stefan Herheims Inszenierung einerseits Fantasy-Wesen, die aussehen, als wären sie in die Glitzertonne gefallen, andererseits aber Menschen von heute, Sexobjekte, die verführen und selbst verführt werden wollen. Am Ende wird die Bühne der Monnaie zu CSI Brüssel, Polizisten führen den Wassermann ab, der Rusalka getötet hat. Dazwischen schwingen Herheims ausladender Bilderkosmos und das furiose Bühnenbild von Heike Scheele galant zwischen Real- und Traumwelt, zwischen Ernst und Komik und manchmal auch zwischen nachvollziehbarem Konzept und einem nicht leicht entschlüsselbaren Ideengestrüpp.

    Als Rusalka ihre Wasserwelt verlässt, um einen menschlichen Prinzen zu ehelichen, feiert man zunächst ein großes Fest, dann lässt sich der Prinz mit einer Ebenbürtigen ein, die Nixe, die für den Landgang ihre Stimme opfern musste, bleibt in einer Tagtraum-Wahnwelt zurück. Für die Superparty zieht Herheim alle möglichen und unmöglichen Bühnenregister, bunt wie in Walt-Disney-Streifen treten das adlige Paar und ihr umfangreiches Gefolge auf. Rasch mäandert die Fete in den Zuschauerraum, überall singt und musiziert es, auf einmal regnen Glimmerschnipsel vom Bühnenhimmel, während aus der Prozeniumsloge Trompeten brüllen.

    Brillant wechseln die Räume und Träume, ein Sexshop mit zuckendem Plastikpuppen-Interieur taucht auf, die Rosette der Kirche beginnt, sich psychedelisch zu drehen, Spiegel weiten die Szenerie und zu Rusalkas Lied an den Mond neigen sich sanft diverse Satellitenschüsseln und leuchten.

    Zu den übrigen szenischen Mitteln zählen Mädels im gefluteten Glastank, nixenjagende Nonnen oder ein wild gewordener Schlachter. Des Öfteren spielt Herheim auch mit Elementen aus seinen anderen Inszenierungen, vom "Don Giovanni” aus Essen bis zum Bayreuther "Parsifal”.

    Zurück bleiben zwar einige konfuse Momente und Einfälle, aber ungemein starke Bilder - und die Musik. Adam Fischer zeichnet Dvoraks farbige Partitur adäquat nach, Olga Guryakova überzeugt vokal wie figürlich, Willard White erfreut als Wassergeist, der zuweilen ein altes Nachthemd trägt. Doris Soffel verleiht der Hexe Jezibaba eine gar schreckliche Präsenz.

    Das Endergebnis des ganzen Aufwands: ungebrochener Jubel für den Märchenkönig Herheim nebst seinen zahlreichen Frauen und Mannen.