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Wassernixe vor Holzvertäfelung

Antonin Dvorák war ein Freund der Oper, denn, so der Komponist: "Diese Musik hören breite Schichten, und zwar sehr oft". So erklärt sich auch, warum er wenige Jahre vor seinem Tod auf einen Stoff zurückgriff, der das Undine-Motiv von der Meerjungfrau verwendet. Bei den Salzburger Festspielen wurde Dvoráks nostalgische gefärbte Oper "Rusalka" nun vom Regieduo Jossie Wieler und Sergio Morabito gründlich gegen den Strich gebürstet.

Von Frieder Reininghaus |
    Antonín Dvořáks Rusalka gehört nicht eben zur Fortschrittsgeschichte des Musiktheaters. Als das "Lyrische Märchen" op. 114 im Jahr 1901 in Prag zur Uraufführung kam, wirkte dieser Zugriff auf deutsch-dänische Feen-Romantik und deren Eingemeindung in die allzu sentimental und national geprägte tschechische Kulturbewegung bereits ziemlich anachronistisch. Dvořák kredenzte ein Singspiel mit teilweise dezidiert volksliedhaften Melodien und entsprechend schlichten dreiteiligen Liedformen. Er wollte aus kulturpolitischen Erwägungen nun einmal die "breitesten Schichten" erreichen.

    Eingelagert in den retrospektiv konzipierten Grundton der Musik finden sich immer wieder Rheingold-, Walküre- oder Tristan-Zitate, überhaupt zahlreiche charakteristische harmonische Wendungen, die aus Richard Wagners Partituren abgekupfert wurden. Diese Melange und der Reiz des zunächst nostalgisch-naturalistisch inszenierten Märchens bildeten die Basis einer Rezeptionsgeschichte, die allein in Prag zu mehr als 1.500 Aufführungen dieser Oper führte. Und vom Nostalgie-Potential her speiste sich auch die Erwartung des Salzburger Festspiel-Intendanten Jürgen Flimm, dass sich mit Rusalka neuerdings ein satter Erfolg einfahren lässt.

    Franz Welser-Moest sorgte dafür, dass dieses Kalkül zu mehr als der Hälfte aufging. Er präsentierte mit dem Cleveland Orchestra eine mehr als achtbare Leistung, servierte die musikalische Hausmannskost von anno dazumal als Delikatesse. Sieht man von ein paar Horn-Gigsern ab, dann steuerten die amerikanischen Gäste mit Spielfreude und Engagement einen solide gewirkten und farbenfrohen Klangteppich. Auf ihm konnten die durchweg vorzüglichen Solisten in Bodenturnübungen, Sitzgruppen und Standbildern abheben: Birgit Remmert als Hexe Ježibaba, Alan Held als Wassermann, Emily Magee als "die fremde Fürstin" - insbesondere aber der fürstliche Prachttenor Piotr Beczala und Camilla Nylund in der Titelpartie.

    Wuchernde naturalistische Details taugen heute kaum mehr dazu, die denkwürdige Märchenwelt der Wassernixe Rusalka zu deuten. Barbara Ehnes baute für das Regie-Duo Jossi Wieler/Sergio Morabito einen repräsentativen Wohnraum, der an die Ästhetik des realen Sozialismus erinnerte - in dessen Jahren der "Normalisierung". Holzpaneel-Wände spielten auf die Wälder an, die der auf die Jagd hinausgezogene Prinz besingt. Eingefasst von ihnen waren drei Sitzgruppen mit fetten Ledersofas, Schränke mit etwas Nippes und die charakteristisch hässlichen Lampen der 70er Jahre.

    Aus einer Luke im Boden dringen die Geister der Tiefe nach oben ans Licht: Der Wassermann (als Ordnungshüter der dunkel-feuchten Sphären) und Rusalka. Sie, frisch verliebt, sucht eine neue Lebensform und nimmt das Sterben in Kauf. Um in der neuen Kultur- und Wirtschaftssphäre, eben der höheren des Prinzen, ankommen zu können, bedient sich Rusalka der Mittel der lebenserfahrenen alten Ježibaba. Deren dauergeiler schwarzer Kater bietet die heiterste Transposition aus der alten in eine neue Märchenwelt an - mit Pillen und Drogen. Freilich um den Preis, dass Rusalka ihre Stimme verliert.

    Dies Verstummen verdeutlicht nun wieder alles andere als eine bloß fern-märchenhafte Problematik. Rusalka wird die Geliebte des Prinzen, der sie sogar heiraten will. Aber da kommt die fremde Fürstin dazwischen, die nicht nur kräftigen körperlichen Reiz zu bieten hat, sondern auch eine imposante Stimme. Gezeigt wurde sie, passend zu den Wagner-Zitaten, als Wagner-Heroine.

    Im Märchen geht es zu wie im wirklichen Leben: dem Liebesverrat folgt Rusalkas Absturz. In ihre alte Welt kann sie nicht zurück und die neue ist perdü. Bleibt nur mehr Selbstzerstörung und blutige Rache. Die am Gap zwischen den Kulturen gescheiterte Nixe sticht sich mit dem Messer in den Bauch, sorgt aber noch für Tod und Entsorgung des Prinzen, der ohnedies bereits als psychisches Wrack durch den dritten und letzten Akt kriecht. So haben die Dramaturgie-Regisseure Morabito und Wieler nach ihrer anfechtbaren Produktion von Halévys "La Juive" in Stuttgart nun wieder eine grundordentliche Interpretation vorgelegt. Die Kenner waren durchaus angetan; denkfaule Teile des Publikums blökten.