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Wasserwandern auf der Warnow

Die Warnow ist einer der schönsten Flüsse Mecklenburg-Vorpommerns. Sie fließt durch idyllische Naturparks und ist auf einem Großteil ihrer 155 Kilometer Länge auch für weniger geübte Kanuten zu bewältigen.

Von Lottemi Doormann | 30.06.2013
    Der Fluss sieht eher aus wie ein rauschendes Bächlein, dicht gesäumt von Bäumen, Büschen und hohen Gräsern, dort, wo wir zum ersten Mal zu zweit in die Kanus steigen. Tourführer Sven-Erik Muskulus gibt den weniger Erfahrenen noch ein paar Tipps, wie man steuert und bremst:

    "Vorne denkt, hinten lenkt. Vorne denkt soll heißen: Auf den Weg gucken, wo sind die flachen Stellen, wo sind die anderen Boote, wo ist ein Hindernis, kurz drüber nachdenken und nach hinten durchgeben, weil die Steuerleute - ob Mann oder Frau - die müssen es ja irgendwie umsetzen. Und das Steuern ist eigentlich eine einfache Geschichte: Wenn das Boot fährt und ich bremse mal, merke ich sofort, das Boot bewegt sich zum Paddel hin. So könnte ich mein Boot steuern, immer dort, wo ich hin möchte, bremse ich. Aber das gibt irgendwann Diskussionen im Boot: Vorne wird gepaddelt wie verrückt und hinten wird immer nur gebremst wie verrückt. Von daher mal probieren, durch einen kräftigen Paddelschlag zu steuern, da merkt man nämlich: Das Boot bewegt sich weg vom Paddel auf die andere Seite. Plötzlich kann ich durch Bremsen oder durch Gas Geben von einer Seite aus in beide Richtungen steuern."

    Und los geht's, gleich um eine Kurve rum, es ist gar nicht schwer. Immer an den Außenkurven entlang, hat uns Sven eingeschärft. Jetzt sitzt er als Steuermann hinter mir. Vor uns schlängelt sich die Warnow so idyllisch durch unverbaute Natur, dass ich mich in Kindheitstage zurückversetzt fühle. Ein schmaler Fluss, mal schnell, mal langsam fließend, der zwischen bewachsenen Ufern Teppiche gelber Teichrosen ausbreitet. Blau gebänderte Prachtlibellen flirren von Blüte zu Blüte. Stockentenfamilien ducken sich unter weißen Holunderbüschen. Irgendwo im Schilf trällert ein Schilfrohrsänger. An einem steilen Uferhang brüten Eisvögel. Sogar den seltenen Wachtelkönig hört Svens geübtes Ohr. Als die Sonne schon tiefer steht, schwimmt etwas Dunkelbraunes rasch auf das Kanu zu, genau in Fahrtrichtung, so groß wie ein Hund, hebt den runden Kopf, erschrickt und taucht blitzschnell weg unter Wasser. "Ein Biber", sagt Sven. Still auf dem Fluss muss man sein, um so viel Glück zu haben!

    Die Warnow, einer der schönsten Flüsse Mecklenburg-Vorpommerns, entspringt in Grebbin östlich von Schwerin und mündet nach 155 Kilometern bei Rostock in die Ostsee. Knapp 120 Kilometer sind paddelbar, auch für weniger geübte Kanuten, jedenfalls auf den meisten Abschnitten. Es gibt aber auch wildwasserähnliche Strecken mit Stromschnellen, an die sich nur erfahrene Paddler wagen sollten. Das sind vor allem die Durchbruchstäler der Warnow, wo das Wasser mit starker Strömung durch Engpässe und Biegungen rauscht. Manche Strecken im Oberlauf des Flusses können im Laufe des Jahres wegen Wassermangels zeitweise gesperrt sein. Dann lohnt es sich, mal eine Etappe durch Naturparks zu wandern, die von der Warnow durchquert werden.

    Wir nutzen eine Niedrigwasserpause, um durch den Naturpark "Sternberger Seenland" von Kaarz nach Alt Necheln zu spazieren. Eine weite, wellige Wiesenlandschaft, wo etwas Mais und Futterklee angebaut wird und eine rotbraune Rinderherde der Rasse Salèrs in schönster Umgebung grast. Dass die Warnow in der Eiszeit entstanden ist, vor etwa 18.000 bis 12.000 Jahren, erzählt uns unterwegs der Naturschützer und Förster Volker Brandt:

    "Das war mal so eine alte Flutrinne. Das Eis taute hier ab, und das Flutwasser lief nach Süden weg. Und da wurde hier so eine Rinne geschaffen, in der das Gletscherwasser abfloss. "

    Pommersche Eisrandlage nennt sich die Gegend mit den mächtigen Moränen, die der Fluss einst durchbrochen hat.

    Volker Brandt: "Schon im Mittelalter hat man versucht, die Warnow schiffbar zu machen. Und in den 60er-Jahren wurde die Warnow noch mal richtig kanalisiert und umgelegt, das Flussbett abgesenkt. Dann wurde auch die Landschaft ringsum, die Moorwiesen und alles entwässert, weil man ja Wiesen brauchte, die man bewirtschaften konnte als Viehweide."

    Nach der Wende hat man die gröbsten Eingriffe aus der DDR-Zeit wieder rückgängig gemacht, sodass sich Seeadler, Fischotter und Waldwasserläufer wieder ansiedelten, berichtet Brandts Kollege Jan Lippke:

    "Die Wehre an der Warnow sind alle zurückgebaut worden. Die sind ersetzt worden durch Fischtreppen und Sohlgleiten, und dadurch wird es wieder möglich für die ganzen Fischarten, vom Meer wieder hoch zu wandern, betrifft besonders die Meerforelle, die hier bei uns auch Laichgebiete hat."

    Der Höhepunkt unserer kleinen Wanderung durch den Naturpark "Sternberger Seenland" ist ein Besuch im "Haus Biber & Co". Wir erreichen die Naturschutzstation wenige Meter hinter der hölzernen Zweimännerbrücke, die den Fluss bei Alt Necheln überspannt. Projektleiterin Gabriele Frohberg, die einen Button mit dem Motto "Fleißig wie ein Biber" an der Bluse trägt, ist in diesem Gebiet zuständig für den Artenschutz von Fauna und Flora:

    "Der war ja ausgestorben, der Biber in unserer Region. Der letzte wurde 1819 in Döritz bei Dömitz geschossen. Und diese hier, die jetzt zurzeit im Naturpark existieren, die wurden wieder angesiedelt in den Jahren 1990 bis 1992. Das waren damals elf Biber, und die haben sich jetzt zu einer Population im Naturpark Sternberger Seenland entwickelt von 300 bis 400 Bibern, die sich immer weiter ausbreiten, da kommen fast wöchentlich neue Nachrichten."

    Stolz zeigt uns Frau Frohberg in der Stube das sogenannte Biorama, eine nachgestellte Szene mit ausgestopften Bibern beim Dammbau am Fluss. 42 Kilo, sagt sie, habe der große Nager zu Lebzeiten gewogen. Und dabei sind Biber reine Vegetarier:

    "Im Allgemeinen frisst der Biber - bei uns ist es der Elbebiber - 150 verschiedene Kräuter den Sommer über. Im Herbst fangen dann die Probleme an. Da möchte der Biber sich einen Wintervorrat anlegen. Er bevorzugt an den Bäumen oben die zarten Zweige, Knospen, Blätter. Da er nicht hochkommt, muss er den Baum fällen, damit er an das kommt, was ihm am besten schmeckt."

    Biberdämme aber baut der fleißige Nager, damit er geschützt unter Wasser in seinen Bau gelangen kann.

    Hier in Alt Necheln steigen wir wieder in die Boote. Es ist eine zauberhafte Strecke. Die Sonne scheint, Vögel zwitschern, Weiden und Pappeln neigen sich über das glitzernde Wasser. Die Warnow windet sich durch Auen, Wälder und Moore, mal mit Strömung, mal ganz ruhig. Bisher sind wir kein einziges Mal anderen Ruderern begegnet. Plötzlich taucht ein Hindernis auf: Ein mächtiger Baumstamm liegt quer über dem Wasser. Was tun? Das Gelände drum herum ist quietschnass, tief sackt man ein und auch dort versperrt der Baumstamm den Weg. Zehn Kanuten suchen nach einer Lösung. Die einen schaffen es, das schwere Boot im Fluss über den Stamm zu hieven. Die anderen nutzen eine Lücke zwischen Wasseroberfläche und Stamm, um sich flach im Kanu liegend unter dem Hindernis hindurch zu manövrieren. Eigentlich hat die abenteuerliche Herausforderung allen Spaß gemacht. Das wildromantische Durchbruchstal im Naturpark jedoch können wir wegen des Niedrigwassers nur zu Fuß am Hang entlang passieren.

    Sven-Erik Muskulus: "Also der Fluss hat durch die Endmoräne ein relativ tiefes Tal geschnitten und fließt dort mit ordentlich Geschwindigkeit und Rauschen durch. Und das ist eben die Leistung aus der Eiszeit, und die ist immer noch zu sehen. Und das macht die Gegend hier so besonders. Eigentlich sind wir in Mecklenburg ja eher flach und sanft gewellt. Und hier ist noch mal eine Stelle, da kann man so ein bisschen von Gebirge sprechen. Sprich: steile Hänge, schnell fließendes Wasser, große Steine, hohe Bäume. Paar Gebirgsvögel haben sich hier eingestellt - die Wasseramsel oder die Gebirgsstelze und andere, die es sonst in der Landschaft eher nicht gibt. Die Warnow als Besonderheit hat drei dieser Durchbruchstäler, also dreimal durchbricht der Fluss eine Endmoräne."

    Etwas ganz Besonderes ist auch die Kleine Bachmuschel, die nur in sauberen Fließgewässern lebt und in Europa fast ausgestorben ist. Hier in der Warnow ist die bis zu sieben Zentimeter große braune Muschel noch in den schnell durchströmten, sauerstoffreichen Gewässerabschnitten verbreitet, vor allem in den Durchbruchstälern. Bei Niedrigwasser würden die Kanus aufsetzen und die Gewässersohle zerstören, in der die Bachmuscheln leben. Deshalb versuchen Umweltschützer und Bootsverleiher mit einer freiwilligen Vereinbarung, solche Strecken zu sperren und die Meldungen weiterzugeben. Mitmachen müssen aber auch die Kanuten, indem sie sich vorher über die Wasserstände informieren und die Naturschutzbestimmungen respektieren.

    Auf unserer nächsten Kanuetappe flussabwärts von Baumgarten nach Rühn hat die Warnow bereits einen ruhigeren Charakter.

    Sven-Erik Muskulus: "Sie bleibt da so vom Charakter, wie wir das jetzt hier sehen. Langsam strömend, mehr vom Wind beeinflusst, ja weniger abwechselnd, aber immer noch sehr schön, mit Flussbiegungen und unterschiedlichen Landschaften verbunden. - Gruppen können hier auch schön mal nebeneinander fahren. - Genau. Das ist ja meistens so, dass man auch miteinander sich unterhalten und Spaß haben will, und das geht hier einfach viel besser."

    Schwarzerlen säumen das Ufer, ein Kuckuck ruft, ein Raubvogel - ein Schwarzmilan - fliegt über die dicht belaubten Wipfel.

    Sven-Erik Muskulus: "Und hier sieht man jetzt einen Ort. - Das ist der Ort, der so heißt wie der Fluss. Das ist Warnow, ein etwas größeres Dorf. Sogar mit kleinem Bahnanschluss. Und irgendwelchen Neubauten. Sogar einer Schule. Zu DDR-Zeiten eines der wichtigen Dörfer, wo die Landwirtschaft, die LPG, gesessen hat."

    Gerade als es zu regnen beginnt, erreichen wir Rühn. Eine gute Gelegenheit, das ehemalige Zisterzienserinnenkloster aus dem 13. Jahrhundert zu besuchen. Wie ein großer Gutshof wirkt das uralte Backsteinensemble aus Klosterkirche, Klosterschenke und Biomanufaktur. Klosterführerin Karin Bus schließt die schwere Kirchentür für uns auf.

    "Bisschen frisch hier drinnen." - "Ooh! Riesig! Groß, nicht? Ja, als Klosterkirche!" - "Da freue ich mich jedes Mal, wenn wir Gäste hier haben. Die kommen hier rein, und dieser Satz fällt. Das ist groß, und das ist ja unwahrscheinlich." - "Selbst für eine Dorfkirche! Macht ja mancher Stadtkirche Konkurrenz!" - "Sie ist in der Tat 43 Meter lang und zehn Meter breit, und sie ist einschiffig."

    Von der wechselhaften Geschichte dieses Klosters durch die Jahrhunderte weiß Gabriele Bus viel zu erzählen. Zur DDR-Zeit hat sie hier 25 Jahre als Sozialpädagogin gearbeitet, als im Kloster ein Heim für schwer erziehbare Jugendliche untergebracht war. Im Herbst 2008 hat ein Klosterverein unter dem Vorsitz des Bürgermeisters und unterstützt von Sponsoren die Gebäude gekauft und ringt seither um Restaurierung und finanzierbare neue Verwendung.

    Per Kanu vom Kloster zur Kunst - auch das geht in Mecklenburg auf der Warnow. Man kann mit dem Boot fast bis vor die Haustür der Kunstmühle Schwaan paddeln und dort die Gemäldesammlung einer der wichtigsten Künstlerkolonien Europas anschauen. 2002 ist das Museum in der alten Wassermühle von Schwaan eröffnet worden. Auch ein reizvolles Ziel für Paddler, meint der Leiter Heiko Brunner:

    "Sie fahren dann erst so zwei, drei Stunden mit dem Kanu schön sich auspowern, um dann das, was Sie auf der Warnow gesehen haben, hier in den Bildern, den Gemälden wieder zu finden, was die Künstler so vor 100, 150 Jahren gemalt haben. Und dann zu sehen, was sich eventuell verändert hat und was gleich geblieben ist, wo man das so nachvollziehen kann."

    Um 1890 ist Mecklenburgs einzige Künstlerkolonie entstanden, zu der vor allem die gebürtigen Schwaaner Franz Bunke, Rudolf Bartels, Peter Paul Draewing und der Hamburger Alfred Heinsohn zählten, Maler, die man heute kaum noch kennt. Das Neue an ihrer Malerei war, dass sie aus dem Atelier raus in die freie Natur gingen und vor Ort malten, Motive wie "Schwaan im Morgennebel" oder "Ziegelverladung auf der Warnow".

    Heiko Brunner: "Bis Anfang der 80er-Jahre sind noch Bilder von diesen Künstlern auch hier in Schwaan weggeschmissen worden. Weil die Geschichte nicht aufgearbeitet war, weil man die Künstler nicht kannte, die Künstlerkolonie nicht kannte und sie einfach in Vergessenheit geraten sind. Nach dem Motto: Och, was willst du mit dem Schiet. Kennt sowieso keiner, schmiert den Kram man weg. 1990 hatten wir zwölf Bilder im Bestand der Stadt. Jetzt haben wir über 130 Gemälde aus der Schwaaner Künstlerkolonie, die wir so nach und nach aus Privatbesitz aufgekauft, teilweise auch durch Schenkungen oder durch Zustiftung bekommen haben. Und so hat sich der Bestand dann doch ganz gut entwickelt."

    Und weiter geht's. Samstagnachmittag, der Regen hat aufgehört. Es ist warm geworden, und auf dem Fluss sind wir nicht mehr die einzigen Paddler.

    Sven-Erik Muskulus: "Wir haben jetzt die letzte Kanuetappe vor uns auf der Warnow, bevor sie Rostock und damit den Hafen erreicht hat. Sie wird dann breiter, von großen Schiffen befahrbar und ändert damit nochmals ihren Charakter, wird dann wirklich zur Flussmündung. Wenn man jetzt wirklich von der letzten Schleuse vom Hafenbereich bis nach Warnemünde fährt, sind es jetzt doch noch mal zehn oder zwölf Kilometer, und dann ist man draußen auf der Ostsee. An der Schleuse fahren wir vorbei. Da kommt noch eine öffentliche Badeanstalt, sehr schönes Gelände, das Flussbad. Also es ist ein sehr sauberer Fluss auch hier, besonders hier. Weil Rostock bezieht sein Trinkwasser zu 100 Prozent aus diesem Fluss. Zeigt eben auch, wie intakt die Natur und der Fluss hier ist. Und man kann also auch baden. Und unmittelbar dahinter eine kleine Station, Steg, paar Ruderboote und Kanus sehr ihr dort liegen, das ist die Station, wo wir erwartet werden. Da wird jemand winken, am Steg hochspringen."

    Endstation Rostock. Vier Tage sind wir auf der Warnow unterwegs gewesen und haben ihre vielen Gesichter erlebt. Wer die ganze paddelbare Strecke des Flusses erkunden möchte, sollte sechs bis sieben Tage einplanen. Geeignete Unterkünfte von einfach bis komfortabel findet man in Dörfern und Höfen am Rande der Warnow. Schon ein Wochenende mit dem Kanu in der Abgeschiedenheit dieses Flusses ist Auszeit und Abenteuer - und das mitten in Mecklenburg.
    Kanutour auf der Warnow in Mecklenburg
    Wasswerwandern zu zweit (Lottemi Doormann)