Freitag, 03. Mai 2024

Archiv

Wave 3.0
Debütalbum von "Petite Noir"

Es gibt viele "Waves": New Wave, Cold Wave, Dark Wave und mehr. Der in Belgien geborene und in Kapstadt lebende Musiker Yannick Ilunga versucht, eine neue Variante des Wave zu erfinden: die Noir Wave. Weil der 24-Jährige die Wave-Spielarten der 1980er-Jahre nicht am eigenen Leib erfahren hat, orientiert er sich an einer Variante, die sich der Rapper Kanye West ausgedacht hat.

Von Christoph Reimann | 12.09.2015
    Petite Noire zum Album "La vie est belle/Life is beautiful"
    Der Musiker Yannick Ilunga will eine neue Wave-Form etablieren, dabei orientiert er sich an einer bekannten Platte von Kanye West. (Travys Owen / Kent Andreasent)
    "Jeder hat seine eigenen Gründe, weshalb er Musik macht. Mir geht es darum, den Kopf frei zu bekommen – und nicht um einen bestimmten Sound."
    Das sagt Yannick Ilunga und lässt sich – übermüdet wie er ist – wieder zurück in seinen Sessel fallen. Als Petite Noir macht er energiegeladene Musik. Heute sieht er aber so aus, als könne er auf der Stelle einschlafen. Und obwohl er hinter seinen Songs mehr eine Geisteshaltung denn ein bestimmtes Genre sieht, hat er doch einen Namen gefunden, der auf beides passt: Noir Wave.
    "Noir Wave ist eine neue Bewegung aus Afrika, bei der die Hautfarbe jedoch keine Rolle spielt. Jeder kann Noir Wave machen. Es heißt ja immer, dass Black Music für Schwarze gemacht sei und White Music für Leute mit heller Hautfarbe. Noir Wave soll das Bindeglied zwischen beiden sein."
    Konkret treffen in der Musik von Petite Noir musikalische Elemente aus vielen Teilen Afrikas auf westliche Popmusik. Vor allen Dingen vertrackte Rhythmen auf flächige Synthesizer. So entsteht ein spannender musikalischer Hybrid, den es ohne die Globalisierung wohl nicht gegeben hätte.
    Neu ist die Idee, traditionelle Klänge aus afrikanischen Ländern mit westlicher Popmusik zu mischen, aber nicht. Ende der 70er arbeiteten etwa die amerikanischen Talking Heads an einem ganz ähnlichen Sound.
    Petite Noir dürfte von den Talking Heads und anderen Bands der New Wave durchaus beeinflusst sein. Neu ist bei ihm und vielen anderen Musikern seines Alters aber die Selbstverständlichkeit, mit der sie musikalische Stile miteinander verbinden.
    Mit der Musik das Leben feiern
    Der Mittzwanziger entspricht damit ganz seiner Generation, die vor allem mit Popmusik sozialisiert wurde, und zwar unabhängig vom Wohnort. Yannick Ilunga ist in Belgien auf die Welt gekommen, aufgewachsen ist er in Südafrika. Seine Mutter kommt aus Angola, der Vater ist Kongolese:
    "In der kongolesischen Kultur richtet man sich nach dem Vater. Also bin ich in einem Haushalt groß geworden, der sehr von dieser Kultur geprägt war. Als Teenager in Südafrika war das wegen der Fremdenfeindlichkeit dort nicht immer leicht. Erst in den letzten vier, fünf Jahren habe ich verstanden, wie großartig und bedeutsam es ist, ein Kongolese zu sein."
    Geholfen hat ihm dabei auch ein Klassiker des kongolesischen Films: "La vie est belle" aus dem Jahr 1987, die Geschichte eines Musikers, der in Kinshasa Karriere machen will. Nach diesem Film hat er sein Debütalbum benannt.
    "Als Kind hat mein Vater oft die Lieder aus dem Film gesungen. Ich habe den Streifen aber erst vor zwei oder drei Jahren gesehen – da hat er mich wirklich umgehauen: zum Beispiel die Szene, in der der Hauptdarsteller mit seiner Band anfängt, Musik zu machen, und alle Leute um ihn herum mitsingen. Man sieht da diese armen Menschen, in einer Gegend, die nicht sehr entwickelt ist, und trotzdem singen sie, dass das Leben schön ist. Obwohl die Welt so verrückt ist, sollte man also auf die gute Seite blicken. Dann läuft es schon."
    Auch Yannick Ilunga möchte mit seiner Musik das Leben feiern, selbst wenn es nicht nur Gutes bereithält. Aber wenn er die Zeile "la vie est belle" singt, klingt es so, als müsse er zuallererst sich selbst davon überzeugen.
    In der Verbreitung einer positiven Grundhaltung jedenfalls sieht er seinen Auftrag – und sogar eine politische Botschaft. Das zeugt, gelinde gesagt, von einem großen Selbstbewusstsein. Denn zum einen ist stark zu bezweifeln, ob man mit Popmusik heute noch gesellschaftliche Veränderungen herbeiführen kann. Zum anderen bestehen die Texte von Petite Noir zum Großteil aus Phrasen, so unkonkret, dass man Vieles in sie hineininterpretieren kann. Den musikalischen Genuss kann das allerdings nicht schmälern. Die Platte ist vielseitig, kraftvoll, gleichermaßen zeitgeistig urban und traditionsbewusst folkloristisch.