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Wechsel im Amt des Generalinspekteurs -

Am 27.6.2002 übergab der Generalinspekteur der Bundeswehr, General Harald Kujat, sein Amt an seinen Nachfolger, General Wolfgang Schneiderhan. Kujat wird Vorsitzender des Militärausschusses der NATO, jenes Gremiums in der Atlantischen Allianz, in dem die Generalstabschefs der NATO-Staaten die militärischen und militärpolitischen Fragen beraten. Dieser Posten ist der höchste, den ein europäischer Soldat in der NATO erreichen kann. Schneiderhan war bis jetzt Leiter des Planungsstabes des Verteidigungsministeriums, damit einer der engsten Mitarbeiter von Verteidigungsminister Scharping. Vor zwei Jahren war Kujat ebenfalls vom Stuhl des Planungsstabchefs auf den des ersten Soldaten aufgerückt. General Kujat ist der Vater der Bundeswehrreform, deren Umsetzung zur Zeit im Zentrum der inneren Diskussionen und Probleme der Bundeswehr ist. Wir wollen heute eine Bilanz dieser Reform zwei Jahre nach ihrer Verabschiedung ziehen, weniger aus dem Mund der Politiker, sondern mehr aus der Sicht des Politikers Scharping und des Generalinspekteurs. Die Eckpfeiler dieser Reform beschrieb Kujat gegenüber dem Deutschlandfunk so:

Rolf Clement |
    Sie steht im wesentlichen auf zwei Säulen, eine ist die Struktur, das Personal, die andere ist das Material, die Ausstattung, Ausrüstung der Soldaten. Wir haben eine neue Reservistenkonzeption geschrieben, die auch den Bedingungen, wie sie nach dem 11. September eingetreten sind, Rechnung trägt. Wir haben ein Material- und Ausrüstungskonzept, wir haben ein Personalstrukturmodell. Die Struktur ist richtig angelegt, die Stationierungsentscheidungen sind getroffen. Das heißt, die konzeptionellen Grundlagen bestehen.

    Auf der Kommandeurtagung im April dieses Jahres beschrieb Kujat das militärische Ziel der Reform:

    Nach Abschluss der Reform wollen wir in der Lage sein, entweder eine sehr große, beziehungsweise eine große Operation, oder zwei mittlere Operationen mit jeweils bis zu 10.000 Soldaten parallel, sowie mehrere kleine Operationen durchführen zu können.

    Zentrales Element dieser Reform ist die Umwandlung der Bundeswehr von einer Armee, die optimiert war für die Aufgabe der Landesverteidigung, zu einer Einsatzarmee. Heute stehen größere oder kleinere Kontingente der Bundeswehr in Bosnien-Herzegowina, im Kosovo, in Mazedonien, in Afghanistan und in Georgien. Mit dem Kommando Spezialkräfte, einer Eliteeinheit für Kommandounternehmen, ist sie in Afghanistan im Kampf gegen die Taliban und die El Kaida eingesetzt. Ein Marineverband steht im Kampf gegen den internationalen Terrorismus am Horn von Afrika. Ein ABC-Abwehrverband steht ebenfalls im Rahmen des Anti-Terror-Kampfes in Kuwait. In Mazedonien hatte die Bundeswehr bis zu dieser Woche die Führung des dortigen Verbandes. Auch der internationale Marine-Verband am Horn von Afrika steht unter deutschem Kommando. Waren es vor vier Jahren rund 2.000 Soldaten, die in Auslandseinsätzen standen, sind es heute mehr als 10.000.

    Diese starke Belastung durch Auslandseinsätze, die sich in den letzten Jahren ergeben hat, machte die tiefgreifende Strukturreform erforderlich. Bisher war die Bundeswehr strukturell unterteilt in rund 50.000 Soldaten, die zu den sogenannten Krisenreaktionskräften gehörten und damit als erste für Auslandseinsätze ausgebildet und ausgerüstet waren, und die Hauptverteidigungskräfte, deren Aufgabe in erster Linie die Landes- und Bündnisverteidigung war. Diese Unterteilung war in den 90er Jahren ausreichend. Jetzt reicht dies nicht mehr. So wurde die gesamte Bundeswehr ausgerichtet an den jetzt aktuellen Aufgaben. Dies sind – formal an erster Stelle, in der Praxis aber weit hinten – die Landes- und Bündnisverteidigung, dann die Mitwirkung an internationalen Einsätzen, die Frieden schaffen oder sichern sollen. Bei diesen Einsätzen, so wird der Bundeswehr immer wieder bescheinigt, leistet sie einen sehr wertvollen Beitrag. Die Soldaten aus Deutschland sind gut ausgebildet, noch gut ausgerüstet und haben viel Einfühlungsvermögen in die Traditionen und Befindlichleiten der Einsatzregion. Das lobt Verteidigungsminister Scharping:

    Leistung und Engagement der Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr sind einzigartig. Vor Ort, bei den Menschen, für deren Sicherheit sie eintreten, bei den Menschen, denen sie helfen, genießen die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr hohes Ansehen. Sie genießen hohes Ansehen auch bei den Verbündeten und Partnern, mit denen sie gemeinsam ihre Aufgaben erfüllen.

    Kujat merkte dazu aber an:

    ...dass unsere Soldaten auch international zu den besten gehören, aber auch der beste Bogen nimmt Schaden, wenn er überspannt wird. Heute ist die Bundeswehr mit über 10.000 Soldaten und Soldatinnen im Einsatz. Die Beteiligung an einer erheblichen Zahl verschiedener Operationen in unterschiedlichen, teilweise weit entfernten Einsatzräumen ist eine enorme personelle, materielle und logistische Herausforderung.

    Minister Scharping kommt zu einer etwas anderen Bewertung:

    Das internationale Engagement hat die Bundeswehr, mir ist das sehr bewusst, an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit geführt. Die Bundeswehr konnte die anstehenden Aufgaben noch erfüllen - noch erfüllen - dank der hohen Motivation und der Professionalität ihres Personals.

    Die neue Bundeswehr soll von über 320.000 Soldaten auf 290.000 reduziert werden. Dies führte zu massiven Eingriffen in die Struktur und die Stationierung der Bundeswehr. Die Einnahme der neuen Struktur vollzieht sich in diesen Jahren – sie soll im wesentlichen bis 2006 abgeschlossen sein. Diese Umstrukturierung belastet das innere Gefüge der Bundeswehr weiter. Verteidigungsminister Scharping:

    Die Bundeswehr und ihre Angehörigen stehen im Spannungsfeld wachsender internationaler Anforderungen und einer tiefgreifenden Reform der Streitkräfte. Das setzt sie enormen Herausforderungen, auch Belastungen aus.

    Neu ist auch, dass eine neue Organisation geschaffen wurde, die Dienstleistungen und Logistikleistungen für alle Teilstreitkräfte, für Heer, Luftwaffe und Marine, gemeinsam organisieren soll. Bisher hatte jede Teilstreitkraft ihre eigene Logistikorganisation. Diese so genannte Streitkräftebasis stellt den gesamten Logistik- und Dienstleistungsbereich der Streitkräfte auf ganz neue, gemeinsame Beine. Minister Scharping:

    Diese Aufgaben in den Bereichen Führung, Aufklärung, Ausbildung und Unterstützung nehmen bereits seit dem ersten Oktober 2000 die Streitkräftebasis und der zentrale Sanitätsdienst wahr. Damit haben wir erreicht, dass Heer, Luftwaffe und Marine sich verstärkt auf ihren Kernauftrag konzentrieren können.

    Dagegen werden neben allgemeinen Widerständen gegen neue Regelungen auch Argumente angeführt, die sich aus Einsatzerfahrung ergeben. General von Senden, der stellvertretende Befehlshaber des Heeresführungskommandos:

    Je mehr Hände verantwortlich sind für den Einsatz, desto größer ist der Verlust an Autarkie. Und Autarkie ist notwendig, um Mittel und Fähigkeiten zusammenzuschnüren in kürzester Zeit, weil auch in Zukunft die Politik mit ihren Entscheidungen immer im letzten Augenblick kommt und das Militär innerhalb von Tagen nachzuholen hat, das kann nur funktionieren durch ein hohen Maß an Autarkie.

    Ein weiteres Element der Bundeswehrreform ist die Einführung wirtschaftlicher Verfahren in die Bundeswehr. Dies wird gemeinhin unter dem Schlagwort der Privatisierung beschrieben. Dazu gehört z.B. die Schaffung eines neuen Fahrzeugmanagements. Die Bundeswehr verfügt zur Zeit über rund 100.000 Fahrzeuge, die bis zu 40 Jahren alt sind, aber nur eine minimale Laufleistung aufweisen. Nun wurde eine Gesellschaft gegründet, an der die Bundeswehr zu 25 Prozent und die Deutsche Bahn zu 75 Prozent beteiligt sind. Diese neue Gesellschaft beschafft Fahrzeuge auf Leasing-Basis und stellt sie der Bundeswehr aufgrund konkreter Anforderungen zur Verfügung. Dadurch sollen mit der Zeit jährlich dreistellige Millionenbeträge eingespart werden. Das Fahrzeugmanagement wird zur Zeit aufgebaut. In zwei weiteren Bereichen steht diese Art der Privatisierung noch aus: Das Bekleidungswesen der Bundeswehr und das Liegenschaftswesen, also das Betreiben der Kasernenanlagen und – wo möglich – das Verkaufen. Gegenüber der Privatisierung gibt es große Zweifel. Kann dies gelingen bei einer Armee, die einsatzbereit sein muss? Die militärischen Kernbereiche sind von der Privatisierung ausgenommen.

    In der Praxis stößt die Bundeswehrreform auf erhebliche Probleme. Dreh- und Angelpunkt dieser Reform ist ihre Finanzierung. Verteidigungsminister Scharping zu den finanziellen Rahmenbedingungen der Reform:

    Nun kann man sagen, damit sei die Bundeswehr das investitionsstärkste Unternehmen in Deutschland, das stimmt auch, man kann sagen, der Haushalt 2002 gewährleistet, dass die Reform der Bundeswehr weiter umgesetzt werden kann. Man kann sogar hinzufügen, dass die Bundesrepublik Deutschland als einziges Land nach dem 11. September innerhalb der NATO neben den Vereinigten Staaten die Investition in die innere und äußere Sicherheit erhöht hat, was international respektiert wird, in Deutschland jedoch wenig zur Kenntnis genommen wurde. Das alles könnte man sagen. Ich sage aber genauso deutlich, angesichts der Herausforderung, die die Bundeswehr, die die deutsche Sicherheitspolitik gemeinsam zu bewältigen hat, gibt es auf keinem dieser Bereiche auch nur den geringsten Spielraum nach unten. Nichts desto trotz, die finanziellen Grundlagen sind nicht komfortabel aber sie sind hinreichend, wenn es um die Verwirklichung der selbst gesteckten Ziele geht.

    Etwas skeptischer fällt die Bilanz des scheidenden Generalinspekteurs aus:

    Es gibt einen bestimmten finanziellen Bedarf, der erforderlich ist, um unsere Planungen, ganz konkret die sich im jeweiligen Bundeswehrplan niederschlagen, in die Realität umzusetzen. Und diese Planungen sind so ausgelegt, dass damit die Reform, die Konzeption dieser Reform realisiert werden kann. Das, was wir im Bundeswehrplan immer für notwendig erachtet haben, ist finanziell nicht bereitgestellt worden, das wissen wir doch. Die Risiken bestehen darin, dass diese Differenz entweder überhaupt nicht geschlossen wird, oder sie eben dazu führt, dass die Reform sich so weit in die Zukunft erstreckt. Das heißt, wir würden diese operativen Fähigkeiten, wenn das so weiter ginge, erst weit nach dem Jahr 2012 erreichen. Die Streitkräfte, die aber heute schon durchaus in die Nähe dieser künftigen Anforderungen kommen, müssen eindeutig in ihren Fähigkeiten überlastet werden, was zu ernormen Rückwirkungen auf die Motivation und die Materialbelastung und vieles andere führt. Das ist doch das Dilemma, in dem wir uns befinden.

    Ein weiterer Teil der Bundeswehrreform ist die Ausrüstungsplanung. Verteidigungsminister Scharping:

    Das Fähigkeitsprofil der Bundeswehr weist ausrüstungsbedingte Lücken auf, die für Streitkräfte im Einsatz nicht hinzunehmen sind. Darauf reagiert das Material- und Ausrüstungskonzept aus dem Jahre 2001. Es ist fähigkeitsorientiert, reflektiert unsere internationalen Verpflichtungen in NATO und Europäischer Union. Und auf seiner Grundlage sind eine Fülle von Entscheidungen getroffen worden, um zielgerichtet fehlende Schlüsselfähigkeiten zu erwerben.

    Zu den Schwerpunkten der Ausrüstungsplanung der Generalinspekteur Kujat:

    In Übereinstimmung mit den in der NATO identifizierten Fähigkeitsdefiziten, wollen wir vorrangig die Leistungsfähigkeit und Interoperablität der Führungs- und Kommunikationssysteme, die strategische Verlegfähigkeit und die weltweite Aufklärung verbessern. Die Materialplanung wird vorrangig an den wahrscheinlichsten Aufgaben der Konfliktverhütung und Krisenbewältigung ausgelegt. Das heißt aber nicht, dass die Landesverteidigung im Rahmen des Bündnisses als existenzbegründende, verfassungsgemäße Aufgabe der Bundeswehr in Frage gestellt würde.

    Von diesen neuen Ausrüstungserfordernissen sind einige schon auf den Weg gebracht. So beteiligt sich Deutschland z.B.an einem europäischen Aufklärungssatelliten. Für den strategischen Transport wird der Airbus A 400 beschafft. General Kujat begrüßt diese Schritte, weist aber darauf hin, dass damit andere Projekte verdrängt und Fähigkeiten nicht oder erst später erworben werden können. Viele in der Bundeswehr kritisieren, dass die Reform zu technokratisch angepackt und umgesetzt wird. General Kujat sieht die Soldaten noch motiviert, aber:

    Diese Motivation gilt es zu erhalten. Ich sehe allerdings mit Sorge, dass die Stimmung in der Truppe schlechter wird und Leistungsbereitschaft, Motivation und Berufszufriedenheit bleiben.

    Auch in anderen Bereichen drückt die Bundeswehr der Schuh. Einige Aspekte nannte Kujat auf der Kommandeurtagung:

    Immer mehr Soldaten gehen mit erheblichem Risiko in die Einsätze, und parallel wird die Witwenrente gekürzt. Die Bundeswehr wird in den nächsten Jahren zu einer Vielzahl von Versetzungen führen, der Umzugsurlaub wird reduziert. Noch mehr als bisher müssen Soldaten aus finanziellen Gründen an den Wochenenden zwischen Wohn- und Dienstort pendeln und die Anzahl der Familienheimfahrten wird reduziert. Wer soll das verstehen?

    Bislang galt, dass die Einsatzverbände mit erster Priorität ausgerüstet wurden. Langsam kommen aber die ersten Nachrichten, dass es auch dort bei der Ausstattung nicht mehr zum Besten bestellt ist. Und die Verbände, die zu Hause stehen, sind gänzlich unterversorgt. Der Generalinspekteur:

    So wurden beispielsweise auch im vergangenen Jahr in der Marine Ersatzteile durch gesteuerten Ausbau aus Schiffen gewonnen. Das führt nicht nur zu Kopfschütteln bei den Besatzungen. Unverständnis und sinkende Motivation, steigender Materialaufwand und eine knappe Ersatzteillage bei Kampfflugzeugen führte in nahezu allen Luftwaffenverbänden im vergangen Jahr dazu, dass die Jahresflugstundenprogramme nicht erfüllt werden konnten. Auch der Zustand der Kasernenunterkünfte hat unmittelbare Auswirkung auf die Berufszufriedenheit. In zunehmendem Maße ist in den sogenannten alten Bundesländern ein Investitionsstau entstanden.

    Besonders die Personallage der Bundeswehr macht dem ersten Soldaten Probleme, und zwar in allen Bereichen. Er beginnt mit den freiwillig länger dienenden Grundwehrdienstleistenden, den FWDL:

    Die Zahl der FWDL ist im vergangenen Jahr um rund 1500 Soldaten hinter unseren Planungen zurückgeblieben. In allen Organisationsbereichen fehlen Unteroffiziere. Im Heer können 500 Zugführeroffizierdienstposten nicht besetzt werden. Das Bewerberaufkommen für den Offizierberuf ist um drei Prozent gesunken. Für die Laufbahn der Sanitätsoffiziere ging die Zahl der Bewerbungen erneut zurück.

    Zwei Berichte, einer vom General für Ausbildung und Erziehung und der des Wehrbeauftragten, haben diese kritische Bilanz aufgeschrieben und damit Aufsehen erregt. Verteidigungsminister Scharping will diese Berichte nicht als Befunde für die Bundeswehr gelten lassen:

    Der Staatsbürger in Uniform, die innere Führung hat sich bei allem Wandel in diesen Jahren für die Bundeswehr nicht verändert sondern bewährt. Das wird besonders gefordert und bewährt sich auch dort, wo unsere Soldaten einzigartig auch für die westliche Demokratie die Möglichkeit haben, ohne Nachteile Beschwerden zum Ausdruck zu bringen, gegenüber Vorgesetzten, dem Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages oder auch gegenüber ihrem Minister. Wir sollten uns diesen Vorzug nicht vergällen lassen durch jene, die diese notwendige Information über Defizite oder Mängel fälschlicherweise gleichsetzen mit dem gesamten Zustand der Bundeswehr.

    Dem entgegnet Kujat, wobei er besonders den General für Ausbildung und Erziehung in Schutz nimmt:

    Der Mann und seine Mitarbeiter besuchen ja etwa 70 bis 80 Verbände jedes Jahr. Sprechen mit rund 3000 einzelnen Soldaten, jedes Jahr. Wenn da jemand sagt, dass sei nicht symptomatisch, dann weiß ich nicht, wie wir sonst Statistiken, die veröffentlicht werden, zu bewerten hätten.

    Kujats einstmals gutes Verhältnis zu Minister Scharping ist über der Frage, wie die Bundeswehr finanziell ausgestattet wird, zerbrochen. Hat der Minister wirklich um mehr Mittel in ausreichender Intensität gekämpft? Oder hat er sich zu schnell in die Kabinettsdisziplin nehmen lassen?

    Auch in der Truppe ist Kujat nicht mehr beliebt. Er wird mit den Missständen in Verbindung gebracht. Er selbst scheint seit einiger Zeit resigniert zu haben. Seine Mahnungen, die Privatisierung schnell voranzutreiben, blieben ebenso ungehört wie der Vorschlag, dort, wo es politisch möglich ist, die Einsätze zurückzufahren. In Bosnien könnten, so Kujat, die deutschen Soldaten von 1.700 auf rund 1.000 reduziert werden. Auch im Kosovo reichen für Kujat zwei Drittel der dort stationierten Bundeswehrsoldaten aus, um die Aufgaben zu erfüllen. Die NATO hat in beiden Bereichen eine Reduzierung beschlossen, aber ob sie ausreicht, um die Bundeswehr personell und finanziell zu entlasten, bezweifelt Kujat. Den Afghanistan-Einsatz hätten beide, Scharping und Kujat, am liebsten gar nicht angetreten. Alle Reserven sind nun ausgeschöpft. Aber konzeptionelle Mängel sieht der scheidende Generalinspekteur nicht:

    Wir haben den Einstieg in die Erneuerung der Bundeswehr geschafft. Es gibt kein Zurück in die alte Struktur, die Reform ist unumkehrbar.

    In dieser Frage ist er mit dem Minister einig:

    Wir konnten seit 1998 auch unter den Bedingungen eines wachsenden internationalen Engagements die entscheidenen Meilensteine auf dem Weg zur Bundeswehr der Zukunft setzen. Ich räume freimütig ein, dass wir dabei Verzögerungen in Teilbereichen, zum Teil schwer nachvollziehbare politische Auseinandersetzungen und gelegentlich auch Rückschläge hinnehmen mussten.

    Einige Fortschritte hat die Bundeswehr bei der Reform schon gemacht. Rudolf Scharping nennt einen davon:

    Die Strukturen der Bundeswehr sind gestrafft und ihre Führungsorganisation für den Einsatz optimiert. 1998 war die Bundeswehr nicht in der Lage, nationale Teilstreitkräfte, gemeinsame Einsätze zu planen und zu führen. Heute haben wir die Kernfähigkeit nationale Führung mit dem Einsatzführungskommando und wir haben sie in weniger als zwei Jahren und damit schneller als geplant aufgebaut.

    Aber eines bleibt: Die Bundeswehr fühlt sich mit ihren politisch vorgegebenen Aufträgen alleine gelassen. Der Kommandeur der Führungsakademie, General Hans-Christian Beck, an die Adresse Kujats:

    Sie haben das offene Verhältnis der politischen Führung zu unseren Streitkräften so hervorgehoben. Die politische Führung hat uns den Staatsbürger in Uniform vorgegeben. Wir leben ihn, und deswegen meine ich, ist ein offenes Verhältnis ganz natürlich und selbstverständlich. Ob die politische Führung ein inneres Verhältnis zu diesen Streitkräften hat, das ist eine ganz andere Frage.

    Der Vater dieser Reform bleibt Harald Kujat. Jetzt, da deren Umsetzung zwei Jahre lang versucht wird, verspürt er viel Gegenwind – in den letzten Wochen hat er die Probleme deutlich angesprochen, so deutlich, dass er damit auch seinen Kredit beim Minister verspielt hat. Wie wird er bewertet, wenn das alles einmal funktioniert?