Unvergessen bleibt der einsame Gläubige, der einst vor dem Staatstheater in Kassel gegen das Gastspiel eines Stückes protestierte, das das letzte Abendmahl Christi als Gelage schwuler Hippies deutete und nicht vom Sterben am Kreuz, sondern vom Verrecken an AIDS erzählte. Mit einer Art Jahrmarktsglocke in der Hand bimmelte der arme Mann auf und ab vor dem Theater und jammerte liturgisch irgendwas von "Schande" und "Gotteslästerung".
Neulich in Hamburg, beim "Gólgota Picnic" des notorischen Theater-Provokateurs Rodrigo Garcia, stimmte ein Häuflein fundamental Gläubiger fromme Gesänge an gegen das Stück und das Hamburger Schmuddelwetter, während das Thalia Theater massiv Sicherheitskräfte einsetzte und die Pius-Brüder (ausgerechnet die Bande des Nazi-Bischofs Williamson) eine einstweilige Verfügung erwirken wollten. Da hat die Hamburger Justiz wohl herzlich gelacht.
Und gestern in Berlin, rund um die schmerzhafte Altenpflege-Performance von Romeo Castellucci, in der viel echter Kot auf der Bühne herumstinkt und gegen Ende ein überdimensionales Christus-Bild erst erfolglos mit Handgranaten beworfen und dann einigermaßen eklig demontiert wird? Nichts. Gar nichts. Keine Pius-Brüder im Anzug. Keine Bimmel vor der Tür.
Wir stehen sicher vor einem Theater-, aber mehr noch vor einem Medienproblem. Generell begeben sich die unterschiedlichsten Meinungsbildner hierzulande - und wir fassen uns dabei unbedingt auch die an die eigene Nase - viel zu eilig und unreflektiert mit hinein in den Trend zur Skandalisierung. Notfalls werden vollkommen idiotische Debatten vom Zaun gebrochen über "Ekel-Theater" oder die Frage, ob sich weißhäutige Schauspieler schwarz schminken dürfen.
Das Theater selber ist hilflos, zumal es Täter und Opfer zugleich sein muss. Weil es in dieser total überreizten Gegenwart mit beinahe jedem Mittel um die Aufmerksamkeit kämpft, die ihm über die Jahrzehnte abhanden kam, auch, aber nicht vor allem durch eigene Schuld.
Die Theatermacher an sich haben wenig bis gar kein Interesse am Skandal. Ihr Metier, Kern und Seele und Herz ihrer Arbeit ist die künstlerische Durchdringung eines Themas. Das mag sich in einem literarischen Text finden oder politisch auf der Straße liegen – der Skandal ist nicht nötig, um sich als Publikum gemeinsam mit Autoren, Regie-Teams und Ensembles in die Auseinandersetzung mit Thema und Text zu begeben.
Den Skandal lässt sich das Theater aus blanker Not von einer Welt aufzwingen, die von der langsamen, reflektierenden Erkenntnis- und Gemeinschaftsstiftung der Bühnenkünste nicht mehr sehr viel wissen will.
Fernsehen und Film sorgen für die stärkeren Reize. Das Internet liefert obendrein jederlei Exzess frei Haus. Was auf dem elektronischen Daten-Rummelplatz kaum jemanden mehr aufregt, entwickelt aber gelegentlich und zugleich praktisch nur noch im eher intimen Rahmen einer Theatervorstellung das angemessene Erregungspotenzial.
Künstlerinnen und Künstler, die sich dieser Ausweglosigkeit mehr oder minder bewusst sind, verstehen mit den physischen und psychischen Reiz- und Reaktionsmustern zu spielen. Castellucci mit der quälenden Erregung und Belästigung des höchst sensiblen menschlichen Geruchsnervs durch das mächtig stinkende Windelnwechseln des schicken Sohns am dementen, inkontinenten Vater.
Wenn es überhaupt einen Skandal gibt in Berlin, dann diesen: die Gegenwart der qualvoll-verzweifelten Hilflosigkeit gegenüber körperlichem und geistigem Verfall, hier hyperrealistisch, eklig und alltäglich abgebildet in einem Bild, das Millionen aus dem Alltag ihrer kranken, alten, hinfälligen Eltern sehr gut kennen. Wer da das Angesicht Christi sucht, und also eine Art Erlösung, der ist von "Schande" und "Gotteslästerung" weltenweit weg.
Die Kirche kann sich wieder schlafen legen: Wenn noch irgendetwas "skandalös" wirken kann auf einer Theaterbühne, dann das wirkliche Leben. Aber welches Medium interessiert sich schon dafür?
Neulich in Hamburg, beim "Gólgota Picnic" des notorischen Theater-Provokateurs Rodrigo Garcia, stimmte ein Häuflein fundamental Gläubiger fromme Gesänge an gegen das Stück und das Hamburger Schmuddelwetter, während das Thalia Theater massiv Sicherheitskräfte einsetzte und die Pius-Brüder (ausgerechnet die Bande des Nazi-Bischofs Williamson) eine einstweilige Verfügung erwirken wollten. Da hat die Hamburger Justiz wohl herzlich gelacht.
Und gestern in Berlin, rund um die schmerzhafte Altenpflege-Performance von Romeo Castellucci, in der viel echter Kot auf der Bühne herumstinkt und gegen Ende ein überdimensionales Christus-Bild erst erfolglos mit Handgranaten beworfen und dann einigermaßen eklig demontiert wird? Nichts. Gar nichts. Keine Pius-Brüder im Anzug. Keine Bimmel vor der Tür.
Wir stehen sicher vor einem Theater-, aber mehr noch vor einem Medienproblem. Generell begeben sich die unterschiedlichsten Meinungsbildner hierzulande - und wir fassen uns dabei unbedingt auch die an die eigene Nase - viel zu eilig und unreflektiert mit hinein in den Trend zur Skandalisierung. Notfalls werden vollkommen idiotische Debatten vom Zaun gebrochen über "Ekel-Theater" oder die Frage, ob sich weißhäutige Schauspieler schwarz schminken dürfen.
Das Theater selber ist hilflos, zumal es Täter und Opfer zugleich sein muss. Weil es in dieser total überreizten Gegenwart mit beinahe jedem Mittel um die Aufmerksamkeit kämpft, die ihm über die Jahrzehnte abhanden kam, auch, aber nicht vor allem durch eigene Schuld.
Die Theatermacher an sich haben wenig bis gar kein Interesse am Skandal. Ihr Metier, Kern und Seele und Herz ihrer Arbeit ist die künstlerische Durchdringung eines Themas. Das mag sich in einem literarischen Text finden oder politisch auf der Straße liegen – der Skandal ist nicht nötig, um sich als Publikum gemeinsam mit Autoren, Regie-Teams und Ensembles in die Auseinandersetzung mit Thema und Text zu begeben.
Den Skandal lässt sich das Theater aus blanker Not von einer Welt aufzwingen, die von der langsamen, reflektierenden Erkenntnis- und Gemeinschaftsstiftung der Bühnenkünste nicht mehr sehr viel wissen will.
Fernsehen und Film sorgen für die stärkeren Reize. Das Internet liefert obendrein jederlei Exzess frei Haus. Was auf dem elektronischen Daten-Rummelplatz kaum jemanden mehr aufregt, entwickelt aber gelegentlich und zugleich praktisch nur noch im eher intimen Rahmen einer Theatervorstellung das angemessene Erregungspotenzial.
Künstlerinnen und Künstler, die sich dieser Ausweglosigkeit mehr oder minder bewusst sind, verstehen mit den physischen und psychischen Reiz- und Reaktionsmustern zu spielen. Castellucci mit der quälenden Erregung und Belästigung des höchst sensiblen menschlichen Geruchsnervs durch das mächtig stinkende Windelnwechseln des schicken Sohns am dementen, inkontinenten Vater.
Wenn es überhaupt einen Skandal gibt in Berlin, dann diesen: die Gegenwart der qualvoll-verzweifelten Hilflosigkeit gegenüber körperlichem und geistigem Verfall, hier hyperrealistisch, eklig und alltäglich abgebildet in einem Bild, das Millionen aus dem Alltag ihrer kranken, alten, hinfälligen Eltern sehr gut kennen. Wer da das Angesicht Christi sucht, und also eine Art Erlösung, der ist von "Schande" und "Gotteslästerung" weltenweit weg.
Die Kirche kann sich wieder schlafen legen: Wenn noch irgendetwas "skandalös" wirken kann auf einer Theaterbühne, dann das wirkliche Leben. Aber welches Medium interessiert sich schon dafür?