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Weder Tragödie, noch Witz

Mit der Oper "Tancredi" stieg der junge Rossini auf in die erste Riege der Opernkomponisten. Bei der Inszenierung am Theater an der Wien versprach Regisseur Stephen Lawless "Eine Tragödie mit Witz", stattdessen gab es pflegeleichte Durchschnittsware.

Von Frieder Reininghaus |
    Die "Tancredi"-Ouverture aus dem frühen 19. Jahrhundert hat mit der ihr folgenden Handlung so viel zu tun wie heute ein Musikstück, das zu Beginn einer Fernsehunterhaltung unterlegt wird mit den Themen der Sendung. Kaum signalisiert diese Sinfonia Rossinis, dass es des weiteren um Leben und Tod geht und um den Auftakt einer durchaus patriotisch getönten Geschichte - in die Zeit, in der diese "Melodramma eroico" entstand -, fallen die ersten Anfänge des Risorgimento. Die aber bekamen ein Brio mit auf den Weg, das René Jacobs eher betulich und keineswegs forciert ansteuert. Manches gerät deftig bis zur Ruppigkeit - und gerade hinsichtlich Gioacchino Rossinis luzider Tonkunst bedeutet dies keineswegs eine Annäherung an den mutmaßlichen Originalklang.

    Der belgische Countersänger René Jacobs ist ein fleißiger Philologe, Experte für Gesangsverzierungen und verdienstvoller Bearbeiter früher Opern. Dirigent ist er nicht - dazu fehlt es an elementarem Handwerkszeug und Einsicht ins musiktheatrale Ganze. So vermag er zum Beispiel mit seinen beiden Vorderextremitäten nur synchron agieren. Tief hängt er mit der Nase in den Noten, kümmert sich nicht um einzelne Sänger oder Instrumentalgruppen, hebt und senkt die Arme wie ein putziger Pinguin und ist eigentlich nur fürs halbwegs gemeinsame Anfangen und Aufhören von Belang. Bei der sogenannten "Barockmusik", die in der Regel keine Dirigenten benötigt, fallen solche Defizite kaum ins Gewicht. Bei Rossini durchaus - da ist ein anderer Professionalitätsgrad vonnöten, damit die Musik wieder zu flirren, zu schweben und zu charmieren beginnt. Da die Reaktivierung der 'Alten Musik' und die sie stützende "Bewegung" nun aber von Anfang an viel mit Prestige, also substanziell mit den kulturindustriell vermarkteten Namen zu tun hat, funktioniert die inzwischen kaum mehr glänzende Marke Jacobs, als ob sie die Krönung wäre.

    Dabei hat er durchaus fähiges Stimmmaterial über sich; zum Beispiel den südafrikanischen Tenor Colin Lee, dem als makelndem, mäkelndem, verzweifeltem und am Ende beglücktem Familienvater zwar manche hohen Töne ausrutschen, der aber insgesamt eine brauchbare Leistung liefert. Oder die aus Alaska stammende Mezzosopranistin Vivica Genaux, die aber wegen Indisposition ihren Patriotismus außer Konkurrenz beisteuerte.

    Da war es dann für die als Püppchen herausgeputzte Aleksandra Kurzak als liebende und leidende Armenaide nicht allzu schwer, kräftig zu punkten. Zumal ihre Partie singulär mit Koloraturen geschmückt wurde. Und wenn diese Sopranistin in Dialog mit dem von Erwin Ortner vorzüglich vorbereitete Arnold Schoenberg Chor tritt, dann kommt es - trotz René Jacob - zu ausgesprochen stimmig-schönen Stellen.

    "Eine Tragödie mit Witz" hatte der Regisseur Stephen Lawless in einer der Packungsbeilagen zur Aufführung versprochen. Eine Tragödie aber konstituiert die Musik beileibe nicht - und den Witz blieb er restlos schuldig. Zur Ouverture ließ Lawless eine alte Landkarte der Insel Sizilien verbrennen - virtuell. Dann ging ein tiefer Riss durchs Vaterland - im Boden unter dem majestätischen Schreibtisch, der in freier Landschaft postiert wurde, klafft ein klaftertiefer Spalt, aus dem auch Feuer aufsteigen oder in den einer der Protagonisten verschwinden kann. Die Soldaten sind Schwarzhemden aus der italienischen ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts - und genauso chic und sauber wie alles andere auf der Bühne. Selbst die Trümmer des ehernen Pferdes, das zu Beginn als gewaltiges Kavalleriesymbol aufragt. Fürs Wohlbefinden sorgen vor allem auch die einprojizierten schönen Aussichten aufs Tyrrhenische Meer sowie Siziliens Hain und Flur. Die britischen Herrenausstatter haben sich beim "Durchstellen" ihrer pflegeleichten Inszenierung wenig mit Gedanken oder gar Einfällen beschwert. Es geht auch anders, aber so funktioniert es offensichtlich auch. Der Beifall überwog die Buhs deutlich.