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Weg mit den "Orchideenfächern"

Gab es in Italien vor zehn Jahren noch knapp 3000 Studiengänge, sind es heute knapp 6000. Zuviel, befinden die politischen Bildungsgremien und haben mit dem Kürzen sogenannter Orchideenfächer begonnen. Nicht nur inländische Studierende fürchten um das Ansehen der italienischen Hochschulen.

Von Thomas Migge |
    "Ich bin in keiner Weise damit einverstanden. Ich bin ja hier nach Italien gekommen, um genau dieses Fach zu studieren, dass es bei uns nicht gibt. Jetzt weiß ich noch nicht einmal, ob ich hier überhaupt meinen Abschluss machen darf."

    Mara Kamin kommt aus Georgien. In Mailand studiert sie Weinkunde und Önologie. Ein Spezialfach, das in ihrer Heimat nicht angeboten wird, weshalb sie nach Italien gekommen ist. Ob sie aber wirklich in Italien ihren Abschluss machen kann, das steht auf einem anderen Blatt. Die Weinfakultät der Uni Mailand soll geschlossen werden. Auch Karina aus Aserbaidschan studiert in Italien. In Rom, Geographie:

    "Es geht doch wohl nicht, dass diese Person, die Bildungsministerin, jetzt einfach mein Studienfach aufgeben will. Ich weiß wirklich nicht, was die Bildungspolitiker da wollen. Sie versuchen alles Mögliche, um das Studienangebot zu kürzen. Ein Unding!"

    Um zu sparen. Das alte Thema in Italien. Bildungsministerin Maria Stella Gelmini entschied, dass bis Ende 2010 sogenannte Studienfächer gestrichen werden. Das Studienangebot soll gekürzt werden. Wegfallen sollen vor allem die so genannten "unnützen Fächer". Unnütz heißt: mit zu wenig Studierenden und zu wenig Aussichten auf einen zukünftigen Beruf. In Deutschland würde man sagen: Orchideenfächer. Ausgerechnet jene Fächer, die vor allem von ausländischen Studierenden frequentiert werden.

    Silvio Mariani, Bildungsexperte an der Universität Rom:
    "Ich arbeite nun schon lange in diesem Forschungsbereich und so etwas habe ich noch nie erlebt. Gut, Unikurse und Studienfächer mit extrem wenig Studierenden, die sich hoch verschuldete Hochschulen eigentlich gar nicht leisten könnten, die sollte man vielleicht streichen. Aber die Bildungsministerin will das Studienangebot komplett ausdünnen. Ich verstehe nicht, wie man zum Beispiel in einem Weinland wie Italien Weinkunde aufgeben will."
    Viele Hochschulen sind schon dabei, ihr Unterrichtsangebot zusammenzustreichen – wahrscheinlich aus Furcht vor dem erhobenen Zeigefinger der Ministerin. Während einige wenige Rektoren ganz offen erklärten, dass sie die Bildungsministerin herausfordern werden und keinen ihrer Kurse und Studiengänge aufgeben wollen, schreitet das Gros schon jetzt zur Tat – ein Jahr vor Ablauf der von der Ministerin gesetzten Frist. In Mailand zum Beispiel wird es ab kommendem Semester an der Università Cattolica kein Studienfach Ingenieurwesen für industrielle Sicherheit mehr geben. Und das in einem Land, in dem es mit der Sicherheit am Arbeitsplatz europaweit am schlechtesten bestellt ist. Im mittelitalienischen Macerata wird das traditionelle und hoch angesehene Studienfach Antike Philologie gestrichen – ein Fach, das ebenfalls von vielen ausländischen Studierenden belegt wird.

    Dem Bildungsministerium zufolge sollen bis Ende kommenden Jahres 20 Prozent aller Unikurse wegfallen. Darunter auch an verschiedenen Hochschulen der Studiengang Kunstgeschichte, der in Italien eine lange Tradition hat und großes Ansehen genießt. Rund 15 Prozent aller Studierenden in Kunstgeschichte kommen aus dem Ausland.

    "Sicherlich hat man in der Vergangenheit viele Fehler gemacht. Zum Beispiel die vielen wirklich unnützen Zweigstellen von Hochschulen, an denen nur wenige Studierende unterrichtet werden. Wir dürfen aber nicht vergessen, dass viele Fächer in Italien eine lange Wissenschaftstradition haben und dass viele ausländische Studierende zu uns kommen, weil sie wissen, dass diese Fächer großes Ansehen genießen. Wenn die jetzige Politik nicht gestoppt wird, führt das zu nicht wieder gutzumachenden Schäden für das Image unserer Unis."

    Einige Zahlen: Im Studienjahr 1999 gab es in ganz Italien rund 2400 Studiengänge. In diesem Jahr sind es zirka 5900. Heute studieren mehr junge Leute als vor zehn Jahren. Rund zehn Prozent kommt aus dem Ausland. Die jetzt ansetzende Schere trifft alle Studierenden gleichermaßen: italienische wie ausländische. Die Ministerin verteidigt ihr Projekt mit dem Hinweis auf zu viele Studiengänge, die in letzten Jahren entstanden seien und dem Steuerzahler viel Geld kosten würden. Anstatt auf einer Rektorenkonferenz das Thema "zu viele Studienfächer" zu diskutieren und zu gemeinsamen Entscheidungen zu kommen wird "von oben" vorgeschrieben. Anstatt einer konstruktiven Debatte wird drauflos gekürzt. Zum Leidwesen vieler Studierender, der Lehre und der Forschung.