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"Weg mit Studiengebühren!"

Die Vorsitzende des Bildungsausschusses des Deutschen Bundestags, Ulla Burchardt (SPD), erwartet eine politische Auseinandersetzung mit der CDU über die offenbar abschreckende Wirkung von Studiengebühren. Laut einer Studie des Hochschul-Informations-Systems werden durch die Kosten vier Prozent der Studierenden in spe entmutigt, die Akademikerlaufbahn einzuschlagen.

Ulla Burchardt im Gespräch mit Jörg Biesler |
    Jörg Biesler: Gerade haben wir über die Bemühungen gesprochen, junge Menschen an die Hochschulen zu holen, jetzt stehen die Hindernisse auf dem Programm. Vor zwei Wochen sickerten die Ergebnisse einer Studie des Hochschul-Informations-Sytems durch, die nachwies, dass die Studiengebühren ein Hindernis sind, ein Studium aufzunehmen. Nicht für alle, aber immerhin für vier Prozent der Studienberechtigten. Die Studie lag wochenlang fertig im Bundesbildungsministerium, veröffentlicht wurde sie erst am vergangenen Freitag, also deutlich nach dem Bildungsgipfel, dessen Stimmung wohl nicht getrübt werden sollte. Und die Bundesbildungsministerin Annette Schavan, CDU, fand am Freitag die Ergebnisse der Studie keineswegs besorgniserregend. Ich habe vor der Sendung mit der gesprochen, die auch nicht über die Ergebnisse informiert worden war, und habe sie gefragt, womit das Ministerium das eigentlich begründet hat.

    Ulla Burchardt: Also es wurde immer gesagt, es müsse noch bearbeitet werden im Ministerium und es gebe zwei Studien und man müsse die zusammenfassen und interpretieren. Und das war in der Tat schon ein bisschen merkwürdig, denn wir Abgeordnete im Bildungs- und Forschungsausschuss sind durchaus in der Lage, empirisches Material selber auch zu deuten.

    Biesler: Jetzt gibt es eine Pressemitteilung des Ministeriums dazu, das die Ergebnisse noch mal zusammenfasst und auch einschätzt, also interpretiert, so wie Sie es gerade gesagt haben. Und die Überschrift der Studie heißt "Studierende erwarten Qualität fürs Geld", und in der Unterzeile geht es dann gleich um die Studiengebühren, nämlich BMBF-Studien zeigen differenzierte Einstellung zu Studiengebühren, und bei der Entscheidung für oder gegen ein Studium spielen Gebühren eine untergeordnete Rolle. Ist das eine Auffassung, die Sie teilen?

    Burchardt: Nein, überhaupt nicht, denn die Zahlen sprechen eine eindeutig andere Sprache. Und selbst die Textinterpretation der Wissenschaftler ist eindeutig. Die Wissenschaftler formulieren im Text, und das gestützt anhand der Zahlen, die ja genauso veröffentlicht sind, dass durch die Einführung von Studiengebühren eine nennenswerte Zahl von Studienberechtigten auf das ursprünglich beabsichtigte Studium verzichtet, und es weist nach, dass es insbesondere Frauen und Studienberechtigte aus hochschulfernen Elternhäusern sind, die aufgrund von Studiengebühren kein Hochschulstudium wählen. Und das ist in der Tat erschreckend, und das bestätigt auch alle Sorgen, die verbunden waren mit Studiengebühren.

    Biesler: Die Ministerin stützt ihre Interpretation ja darauf, dass die Zahl gemessen an der Gesamtzahl der Studienberechtigten dann doch verhältnismäßig gering ist, bei denen Gebühren zu der Frage führen, ob sie überhaupt ein Studium aufnehmen sollen, denn die schwanken so zwischen 3,6 und 4 Prozent etwa.

    Burchardt: Ja, das ist also statistische Zahlenspielerei. Um mal ein ganz drastisches Beispiel zu nennen: Wenn man eine Hand auf die kalte Herdplatte legt und eine auf die heiße, dann hat man eine angenehme Durchschnittstemperatur, sagt aber nichts über das wirkliche Schmerzempfinden aus und über die Wirkungen. Also, um das auf diese Zahl zu übertragen: Wir wissen ja aus anderen Untersuchungen, dass nahezu 100 Prozent aller jungen Leute aus Akademikerfamilien auch ein Studium aufnehmen. Für die ist es ziemlich egal, ob es Studiengebühren gibt oder nicht, das hängt auch mit dem finanziellen Hintergrund der Eltern zusammen und ob man sich eine persönliche Rendite verspricht. Spannend ist doch der Bereich der Familien, wo es selber niemanden gab und gibt, der studiert hat, also die berühmten hochschulfernen Schichten. Dazu zählen Eltern, die eine abgeschlossene Lehre haben, aber beispielsweise weist die Studie auch nach, dass auch da, wo eine Meisterqualifikation bei einem Elternteil vorliegt, auch selbst da noch Studiengebühren abschreckend wirken. Und der Anteil aus diesen Familien steigt überproportional, wo junge Leute sagen, nein, es sind die finanziellen Gründe, die mich vom Studium abhalten.

    Biesler: Das würde also bedeuten, dass bei dieser hochschulfernen Gruppe die Studiengebühren, obwohl es nur 4 Prozent am Gesamtanteil sind, mit einem viel höheren Prozentsatz durchschlagen?

    Burchardt: Ja. Und wenn wir sagen, wir müssen alle Potenziale ausschöpfen, alle, die wirklich in der Lage sind, ein Studium aufzunehmen, denen dürfen keine Hürden in den Weg gestellt werden, weil wir ja den Fachkräftemangel bekämpfen wollen und allen die gleiche Chance geben wollen, dann muss man sagen, ist das Ergebnis der Wissenschaftler eindeutig: weg mit Studiengebühren!

    Biesler: Jetzt sind Sie ja zusammen mit der CDU in eine Koalition, Sie gehören ja der SPD an, sind Vorsitzende des Bildungsausschusses im Deutschen Bundestag. Wird es denn jetzt Konsequenzen geben innerhalb der Koalition, werden Sie der Ministerin noch mal Ihre Meinung sagen?

    Burchardt: Na ja, also da können Sie schon von ausgehen, dass wir da eine deutliche Auseinandersetzung führen. Faktisch ist es ja, dass die Länder, also die unionsgeführten Länder Studiengebühren eingeführt haben und das auch in den Bereich der Länderkompetenz fällt und wir jetzt insofern auf Bundesebene überhaupt nicht entscheiden können. Hier stehen klare Positionen gegeneinander. Die Bildungsministerin hat selbst gesagt, wenn sie entscheiden könnte, würde es überall und flächendeckend Studiengebühren geben, und die SPD sagt, mit uns gibt es keine Studiengebühren. Und in den SPD-regierten Ländern gibt es sie ja tatsächlich auch nicht. Insofern wird es da eine Frage der politischen Auseinandersetzung beispielsweise auch in Landtagswahlen sein, und das ist dann auch immer eine Frage, wie eine öffentliche Debatte wirkt, ob irgendwann unionsgeführte Länder zu der grundsätzlichen Einsicht kommen, politisch wie volkswirtschaftlich motiviert zu sagen, wenn wir mehr Fachkräfte mobilisieren wollen, müssen wir Studiengebühren abschaffen. Aber ich glaube, mit dieser Studie hat diese Debatte eine neue Nahrung bekommen, einen neuen Zündstoff.

    Biesler: Ulla Burchardt, Vorsitzende des Bundestagsausschusses für Bildung und SPD-Mitglied mit einer anderen Interpretation der HIS-Studie zu den Studiengebühren und ihre Auswirkungen auf die Berufswahl.