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Weg von den Provinzmorden

Er wolle zeigen, wie es zugeht auf der Welt, hatte Eric Ambler einmal gesagt. Das ist wohl auch der Grund dafür, warum sich der englische Schriftsteller thematisch früh von abenteurerlicher Unterhaltungsprosa abkehrte und die großen politischen Konflikte für sich entdeckte.

Von Christian Linder |
    Ein distinguierter, vermögender englischer Weltmann, der in Clarens bei Vevey am Genfer See seinen Lebensabend verbrachte – das war der erste Eindruck, den Eric Ambler seinen Besuchern gewährte. Aber man wusste natürlich, wer er war, und er selber wusste es auch. Denn dieser freundliche, bescheiden und höflich wirkende englische Thriller-Autor beschäftigte sich nicht mit unbedeutenden Morden aus privater Motivation in der Provinz, sondern mit politischen Konflikten in der ganzen Welt.

    "Ich denke, es sollte mehr politische Menschen geben. Das klingt schrecklich nach Pfandfindergeschrei, aber wenn wir auf die Politiker nicht aufpassen, könnten sie denken, dass es uns egal ist, und sie werden machen, was sie für das Beste halten. Das ist immer sehr gefährlich."

    Das ist natürlich keine Begründung für das Schreiben von politischen Kriminalromanen. Es muss einen anderen Anfang geben.

    "Ich kann diese Frage nicht beantworten, ich weiß es nicht. Manchmal beginnt es mit einem Charakter, oftmals ist es so, und diese Person bin normalerweise ich, in verkleideter Form."

    Über sich als Person hat der am 28. Juni 1909 in London geborene und dort 1998 gestorbene Ambler immer wenig geredet. Sogar in seiner Autobiografie ließ er nicht von seinem alten Grundsatz, es sei wichtig, "der Welt unbewegten Gesichtes gegenübertreten zu können", andererseits war er natürlich auch zu klug, um nicht zu wissen:

    "Nur ein Idiot glaubt, dass er über sich die Wahrheit schreiben kann."

    Eric Amblers größte politische Erfahrung war der Faschismus. Wer das Europa am Vorabend des Zweiten Weltkriegs besichtigen möchte, kann sich an den 1938 erschienenen Roman "Nachruf auf einen Spion" halten. Wer die Konflikte in Jugoslawien oder Bulgarien verstehen möchte, muss den 1951 erschienenen Roman "Der Fall Deltschev" lesen – die beste Einführung in die politischen Verhältnisse seit 1945 auf dem Balkan. Wer hinter die Militärputsche wo auch immer auf der Welt blicken möchte, dem gibt der Roman "Besuch bei Nacht" aus dem Jahr 1956 Auskunft.

    Zunächst war in den Büchern zwar das abenteuerlich-unterhaltsame Element auch noch stark dominierend, als Ambler etwa in dem 1962 herausgekommenen Roman "Topkapi" einen vom Journalisten zum Taxifahrer heruntergekommenen, ziemlich unglücklich agierenden Mann beschrieb. In den 70er-Jahren war der Schriftsteller aber ganz und gar bei der Politik angelangt. Etwa in dem auf den französischen Antillen spielenden Roman "Doktor Frigo" - darin war es ihm gelungen, einen Typ von Mensch ohne politische Ambitionen, mit dem Wunsch eigentlich nur nach einem schönen privaten Leben, darzustellen der aber in die politischen Verwicklungen hineingerät und bedroht wird. Kriminalromane, die - wie "Die Maske des Dimitrios" - immer auch tief in die Seele eines Menschen blicken lassen:

    "Das Gesicht schafft der Mensch sich selbst. Er trägt sein Gesicht wie eine Dämonenmaske. Nur wenige Menschen – große Maler – hatten die Fähigkeit, durch das Gesicht in die Seele zu sehen. Andere Menschen greifen, wenn sie sich ein Urteil bilden, zum Zeugnis des Wortes und der Tat, um sich die Maske, die sie vor sich sehen, zu erklären. Und wenn sie auch ahnen, dass die Maske nicht der Mensch ist, der hinter ihr steht, so sind sie in der Regel doch sehr betroffen, sobald diese Tatsache einmal klar zutage tritt."

    Er wolle zeigen, wie es zugeht auf der Welt, hat Ambler seinen Anspruch formuliert, auch auf der Suche nach dem Bild eines modernen Typs von Kriminellen. In dem Roman "Bitte keine Rosen mehr" lässt er einen auf Wirtschaftskriminalität spezialisierten Wissenschaftler dessen Porträt zeichnen:

    "Vom kompetenten Kriminellen darf angenommen werden, dass er einen hohen Intelligenzquotienten besitzt, emotional stabil und gut angepasst ist und keinem der vielberedeten Verbrechersyndikaten angehört, die den Romantikern in einigen unserer Strafverfolgungsbehörden so lieb sind."

    Die Welt ist dunkel und voller Verbrechen, aber ich sitze hier und zeige die Lösungen – das war die Geste Amblers hinter seinen Büchern. Insofern war dieser große Realist, der davon überzeugt war, es gebe kein Verbrechen, das er nicht in seinem nächsten Roman aufklären könne, auch selber immer noch ein Romantiker.