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Weg von der Romantik, hin zur Moderne

Der Tschaikowsky-Wettbewerb in Moskau gehört zu den bedeutenden Herausforderungen für Pianisten, Geiger, Cellisten und Sänger. Allerdings hat der Ruf des Wettbewerbs in letzter Zeit gelitten. Man tut nun alles, was man kann, um ihn zeitgemäß aufzupolieren.

Von Anastassia Boutsko | 02.07.2011
    So spielt er, der Gewinner des dreiwöchigen Musikmarathons: Danila Triffonov. Gerade zwanzig Jahr, halblanges Haar, verträumter Blick. Passt gut zu Chopin. Mit Danila – zweifelsohne begabtem und feinsinnigem, aber sehr jungem und sehr unreifem Musiker, - hat das System gesiegt. Das, was man im Westen beinahe nostalgisch unter der "russischen klassischen Musikausbildung" versteht. Danila ist in der Provinz geboren, von ambitionierten Eltern, die für die Ausbildung des Sohnes alles geopfert haben, nach Moskau gebracht. An der Gnessin-Schule, dieser berühmten Musik-Kaderschmiede für Ost und West, ausgebildet. Schon vor drei Jahren, als ich Danila (übrigens für eine Deutschlandfunk-Produktion) gesprochen habe, wurde er auf das "Tschaikowsky zwanzig-elf" gezielt getrimmt, mit mindestens acht Übungsstunden täglich. Nun siegte er. Herzlicher Glückwunsch ...
    Ziel erreicht? Von wegen!

    Der 14. Tschaikowsky-Wettbewerb war ein erneuter Versuch, dieser sich ideologisch überholten Institution ein modernes Image und so was wie einen neuen Sinn zu verpassen. Wobei die Image-Frage einfacher zu lösen ist, als die Sinnesfrage.
    Maestro Valery Gergiev, ein Musikunternehmer von karajanschem Ausmaß, war damit beauftragt. Er "has done his very best": Ein westliches Management sorgte für gute Organisation und Transparenz. Alle Wettbewerbsauftritte waren öffentlich und wurden live im Internet übertragen. Moskauer Konservatorium, das so was wie Gewohnheitsrecht auf "Tschaikowsky" für sich beanspruchte, wurde gnadenlos enteignet. Der Wettbewerb wurde gar in zwei Städten – Moskau und Petersburg – ausgetragen. Eine hochrangig besetzte internationale Jury strotzte nur so vor ehrenwerten Namen.

    Und trotzdem war es wieder "typisch Tschaikowsky": Alle wirklich interessanten und originellen Musiker (etwa der Geiger Jurij Favorin und Pianist Alexander Lubjanzev, der die Frechheit hatte, Chopin in einer Glenn-Gould-Manier zu spielen) flogen in den ersten Runden raus. Andere waren gar nicht zugelassen. Der Beste der fünf Klavier-Finalisten, Alexej Tschernov, landete eben auf Platz fünf.
    "Ja, die Meinungen der Jurys stimmten nicht mit denen des Publikums überein, auch von den Musikerkollegen habe ich einige verwunderte Fragen vernommen, - gab Maestro Gergiev zu Protokoll. Aber das habe nichts zu bedeuten. Vor allem hat der Wettbewerb große Emotionen geweckt, und das ist das Wichtigste."
    Der Blick auf die Namen der übrigen Siegerkategorien zeigt allgemeine Tendenz:
    Bei den Sängern waren wunderbare Koreaner Sunyoung Seo und Pongmin Park die Besten, zwei ihrer Landsleute belegten - virtuos, aber geistesleer – den zweiten und dritten Platz im Klavierfach. Bei Geige und Cello demonstrierte die "russische Schule" ihre gewohnte Stärke (wobei der erste Preis bei den Geigern gar nicht verliehen wurde, und das war richtig so). Es gibt auch einen deutschen Namen: Norbert Anger hatte den vierten Platz bei den Cellisten, gewonnen hat da Narek Akhnazarjan, der in der ersten Runde von dem Dirigenten Mark Gorenstein öffentlich erniedrigt wurde: es hieß etwa, die Tempi sind nicht sein Bier als Solist und er solle leiser spielen, sein Instrument heißt ja Cello, und nicht Trambon. Danach musste der stolze Armenier, der in Moskau ausgebildet wurde und zurzeit in Boston lebt, nur siegen.

    Der Dirigent wurde übrigens nach dieser Eskapade für die Zeit des Wettbewerbs abbestellt. Skandale und Skandälchen dieser Art sind aber nicht das große Problem, und eher gut im Sinne der öffentlichen Aufmerksamkeit.

    Das Sinnesproblem des Tschaikowsky-Wettbewerbs – wie auch anderer großer Musikwettbewerbe – besteht trotzdem. Es geht nicht etwa um "Identitätsverlust". Es geht darum, dass diese Identität nicht mehr aktuell ist. Die großpathetische Ästhetik – direkt dem Ersten Klavierkonzert von Peter Tschaikowsky entsprungen – hat nichts mit der Realität des Musiklebens, ja des heutigen Lebens überhaupt, zu tun. Alles wirklich Interessante in der Interpretationskunst der letzten 30 Jahre ist nun mal gar nichts dem romantischen Topos entsprungen. Einzig die Asiaten, die viel später dran waren, haben von dem romantischen Spielzeug noch nicht genug, und auch deswegen so gut.

    "Tschajkowsky-1", der Wettbewerb von 1958, gleich nach der Abfertigung des Stalinismus ausgerichtet, um den Vorsprung der sozialistischen Klassik-Pflege zu demonstrieren, markierte seinerzeit den Anfang des "Tauwetters". Zu den Sowjetzeiten war Tschaikowsky eine "Oase des Liberalismus". Heute bleibt es ein Monument der hoffnungslos vergangenen Epoche.