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Weg von der Straße

Im Dezember 2011 begannen die Menschen in Russland ihren Ärger und ihre Wut auf der Straße kundzutun. Sie protestierten gegen Manipulationen bei der Dumawahl, gegen Putin und gegen die Regierungspartei Einiges Russland. Inzwischen haben sich aus der Bewegung heraus die ersten Parteien gegründet.

Von Gesine Dornblüth | 14.12.2012
    Ein Designzentrum in Moskau vor wenigen Tagen. Gut hundert Menschen haben sich versammelt. Viel haben tragbare Computer dabei und fotografieren. Auf einem Tresen liegen Croissants für alle. Die Männer und Frauen gründen eine Partei, die Partei des 5. Dezember, benannt nach dem ersten Tag der Proteste gegen die manipulierte Parlamentswahl vor einem Jahr. Sie seien liberal und europäisch orientiert, sagt Sergej Davidis, einer der Parteigründer und von Anfang an bei den Protesten dabei.

    "Wenn wir uns als Partei zur Wahl stellen, können wir besser für uns werben. Wer überzeugend nachweisen möchte, dass dieses System ein System von Gaunern ist, der muss das System von innen kennen. Nur wenn wir an Wahlen teilnehmen, können wir beweisen, dass sie manipuliert werden. Außerdem können wir nicht immer nur kritisieren. Wir müssen Vorschläge machen, wie es weiter geht. Wir müssen konstruktiv sein. Daher gründen wir eine Partei."

    Ein Jahr nach Beginn der Proteste in Moskau und anderen russischen Großstädten bildet die Protestbewegung Strukturen aus. Und es zeichnen sich verschiedene Richtungen ab. Die Anhänger des Bloggers und Nationalisten Alexej Nawalny wollen eine eigene Partei gründen, ebenso die Umweltaktivistin Jewgenija Tschirikowa.

    "Wir müssen das tun, wir müssen Forderungen formulieren, damit die Leute endlich verstehen, wofür wir kämpfen."

    Das war lange das Problem der Protestbewegung. Viele Russen sagen zu Recht, sie wüssten nicht, wofür die Menschen in Moskau auf die Straße gehen. Zusätzlich zu den Parteien hat die Bewegung im Herbst einen Koordinationsrat gewählt. Rund 82.000 Menschen nahmen an der Wahl im Internet teil. Der Koordinationsrat tagt monatlich und soll über die allgemeinen Strategien der Protestbewegung beraten. Das 45-köpfige Gremium hat für viel Spott gesorgt. Es sei handlungsunfähig, sagen Kritiker. In dem Rat sitzen Nationalisten ebenso wie extreme Linke und Liberale. Auch Sergej Davidis, Mitgründer der Partei des 5. Dezember, ist Mitglied in dem Rat. Er räumt ein:

    "Besonders unter den Nationalisten gibt es natürlich Hitzköpfe. Aber die Mitglieder des Koordinationsrates wollen sich mit dem beschäftigen, was uns verbindet, und das ist ziemlich viel: Wir alle fordern unabhängige Gerichte, ehrliche Wahlen, Freiheit für die politischen Gefangenen. Die Leute halten sich mit extremen Forderungen zurück, um den Koordinationsrat nicht zu gefährden."

    Kremltreue Kommentatoren haben die Protestbewegung bereits für tot erklärt, es sei nicht mehr "modern" zu protestieren. Präsident Putin sagte diese Woche bei einem Treffen mit seinen Unterstützern:

    "In jedem Land steigt die Protestaktivität vor Wahlen. Ich glaube nicht, dass der Rückgang dieser Aktivität mit irgendeinem Anziehen von Daumenschrauben zu tun hat. Die überwältigende Mehrheit der Bürger will keine Revolution. Sie will Veränderungen, bestimmt, je schneller, desto besser. Aber sie will keine Revolution."

    Eine Revolution war allerdings auch nicht die Forderung der Massen auf den Straßen.

    Die Behörden arbeiten seit Monaten daran, die Protestbewegung zu kriminalisieren. Seit eine Großdemonstration am 6. Mai in Gewalt umschlug, ermitteln die Strafverfolger wegen angeblicher Anstiftung zu Massenunruhen. Etwa zwanzig Personen sitzen in Untersuchungshaft. Die Ermittler gehen zunehmend auch gegen prominente Anführer der Protestbewegung vor, durchsuchen ihre Wohnungen, laden sie zu Verhören vor. Sergej Udalzow von der Linksfront darf Moskau nicht verlassen, zwei seiner Assistenten sitzen in Haft. Der Vorwurf: Vorbereitung eines gewaltsamen Umsturzes.

    Und die Behörden erhöhen den Druck auf die Regierungskritiker. Eine ursprünglich für morgen angekündigte Großdemonstration in Moskau wurde nicht genehmigt. Behörden und Veranstalter konnten sich nicht auf Route einigen. Einige Aktivisten wollen morgen dennoch vor die Lubjanka, den Sitz des Geheimdienstes, in Moskau ziehen. Die Behörden haben angekündigt, das mit aller Härte zu verhindern.

    Vor diesem Hintergrund scheint der Weg über Parteigründungen tatsächlich der einzig gangbare. Die Möglichkeiten, sich dort angesichts der derzeitigen Dominanz der kremltreuen Parteien zu etablieren, sind zwar gering. Das haben die Regionalwahlen im Oktober gezeigt. Dort gewannen fast überall Vertreter der Kremlpartei Einiges Russland. Doch Denis Stjaschkin aus Krasnojarsk in Sibirien, Mitgründer der liberalen Partei des 5. Dezember, ist dennoch optimistisch.

    "Nächstes Jahr im September gibt es in vielen Regionen Regionalwahlen, auch in Krasnojarsk. Da werden wir bestimmt gut abschneiden und zumindest ein paar Abgeordnete stellen."