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Weg zum Abitur
Viele Einwände gegen eine flexible Oberstufe

Ein neuer Vorschlag für Gymnasien sieht vor, dass Schüler die Oberstufe in zwei, drei oder vier Jahren durchlaufen können sollen. In den Schulen stößt das aus unterschiedlichen Gründen auf Ablehnung. Einer der Einwände: Vergleichbare Standards für das Abitur würden damit unterlaufen.

Von Hilde Weeg | 16.04.2019
Eine Schülerin schreibt am 20.05.2015 in einem Klassenzimmer des Gymnasiums in Esslingen (Baden-Württemberg) den Buchstaben R des Wortes Abitur mit einer Kreide nach.
Das Abitur benötige vergleichbare Standards - eine Flexibilisierung der Oberstufe wirke dem entgegen, so die Kritik am Vorschlag der GEW (dpa / Marijan Murat)
Die Erziehungsgewerkschaft GEW schlägt vor, die Zeiten für die gymnasiale Oberstufe bundesweit zu flexibilisieren. Das Abitur solle nach zwei, drei oder sogar vier Jahren gemacht werden können. Der Vorsitzende des niedersächsischen Philologenverbands Horst Audritz hat dazu eine klare Meinung:
"Wir halten gar nichts von dem Vorschlag. Dieser Vorschlag läuft darauf hinaus, immer mehr individuelle Möglichkeiten zum Abitur zu eröffnen. Das kann es nicht sein. "
Organisatorisch nicht zu leisten
In Niedersachsen sei man froh, gerade wieder zu G9 zurückgekehrt zu sein:
Das stärkt natürlich am besten den Weg zum Abitur, weil Schüler ein Jahr mehr Zeit haben in der Tat sich auf das Abitur vorzubereiten beziehungsweise die Schulen Zeit haben, darauf hin zu arbeiten.
Für die Rückkehr seien die gesamten Lehrpläne überarbeitet worden. Man habe mit der Stufe 11 eine Einführungsphase geschaffen, die beiden Stufen 12 und 13 bilden jetzt die Qualifikationsphase. Im nächsten Jahr werden die Ersten nach der neuen Ordnung das Abi machen. Eine weitere Flexibilisierung sei schon organisatorisch nicht zu leisten. GEW-Bundesvorstandsmitglied Ilka Hoffmann zeigt Verständnis für diese Situation:
"Auch die Rückkehr zu G9 ist ja eine große Sache und bedarf vieler Umsteuerungen. Unsere Forderung ist ja eine nicht, die jetzt morgen direkt umgesetzt wird, auch noch bundesweit. Was wir fordern ist, dass überhaupt mal die Möglichkeit besteht, dass einzelne Bundesländer oder einzelne Schulen diesen Weg gehen können."
Mehr Freiheiten für den Weg zum Abitur
Ihr Hauptargument für die Flexibilisierung:
"Man müsste das Schulsystem insgesamt gerechter machen. Die Schere zwischen den Bildungsverlierern und den Bildungsgewinnern wird immer größer und das kann sich eigentlich eine Demokratie auf Dauer nicht leisten."
Die GEW möchte damit stärker auf die individuellen Kompetenzen und Ressourcen jedes einzelnen Lernenden eingehen. Deshalb benötigten die Schulen auch mehr Freiheiten, die Wege bis zum Abi zu gestalten. Die Bemühungen des Philologenverbandes gehen da in eine andere Richtung: Man müsse vergleichbare Standards anlegen, die Wissensvermittlung komme zu kurz.
"Ohne Wissen, ohne klare Anforderungen – auch am Beispiel Mathematik und Fremdsprachen – geht das eben nicht."
Wichtiger: Einheitliche Standards - mehr Wissen
Bundesweit solle es einheitliche Maßstäbe für Wissensqualität im Abitur geben, man ist aber gegen ein Einheitsabi. Dafür seien die Unterschiede zwischen den Ländern zu groß. Kooperationen für die Abiturprüfungen gibt es aber bereits:
"Man hat einen Aufgabenpool entwickelt, das ist sinnvoll. Man muss aber natürlich darauf achten, auf den Weg zum Abitur hin. Auch da muss man mehr Vergleichbarkeit schaffen, bezogen auf den Unterricht."
Ilka Hoffmann wendet sich gegen die Vereinheitlichung der Anforderungen:
"Wir befinden uns in einer technologisch extrem schnell wandelnden Welt. Es ist fast schwindelerregend, wie sich die Anforderungen gesellschaftlicher aber auch wirtschaftlicher Art wandeln werden – und dann von einem allgemeingültigen Standard oder Kanon auszugehen, scheint mir eine veraltete Sicht zu sein."
Verfällt die Qualität mit dem Massenabitur?
Die Gewerkschafterin möchte möglichst vielen Menschen den Weg zum Abitur ebnen, Audritz dagegen sieht in der hohen Abschlussquote einen Verfall der notwendigen Standards:
"Je höher die Zahl der höherwertigen Abschlüsse ist, desto weniger sicher kann man sagen, dass Qualität dahinter steht."
Was beide eint, ist die Forderung nach besserer Ausstattung der Schulen, vor allem mit Personal. Und die Kritik an Bildungspolitikern, die sich zu stark auf die Noten konzentrierten. Ilka Hoffmann:
"Es war durchaus richtig, mal auf den Output zu gucken und nicht nur auf den Input. Aber man hat das jetzt völlig übertrieben, ein völlig einseitiges Bild auf Notendurchschnitt, auf Outputs in irgendwelchen Tests und guckt nicht mehr auf das Ganze der Schule."
Was fehlte, seien qualitative Studien darüber, wo Kinder später landeten und welche Lernerfahrungen für sie tatsächlich hilfreich gewesen seien.