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Wegbereiter der Sintflut

Umwelt. - Im Mittleren Westen der USA schieben sich die Wassermassen den Mississippi hinunter nach Süden und hinterlassen einen beträchtlichen Schaden in der Kornkammer der USA. Forscher sehen darin eine Naturkatastrophe, die nicht nur natürliche Ursachen hat.

Von Arndt Reuning |
    Kamyar Enshayan arbeitet an der University of Northern Iowa in Cedar Falls. Das Hochwasser hat er quasi direkt vor der eigenen Haustür gehabt.

    "Die letzten eineinhalb Wochen sind wirklich dramatisch gewesen. Das ist hier eine Stadt von 36.000 Einwohnern am Cedar River, einem Nebenfluss des Mississippi. Der Scheitelpunkt der Flut ist gut zwei Meter über die höchste Flutmarke gestiegen, die hier jemals aufgezeichnet worden ist Die Innenstadt konnte gerettet werden durch die Arbeit von Tausenden von Freiwilligen, die Sandsäcke aufgeschichtet haben. Aber etliche Wohnhäuser auf der anderen Seite des Flusses sind überschwemmt worden. Dabei sind wir gar nicht so stark von der Flut betroffen gewesen wie die Gemeinden weiter flussabwärts. Es ist einfach unbegreiflich. Das ganze Farmland unter Wasser. Das ist kein schöner Anblick."

    Ursache für das Hochwasser war lange anhaltender, intensiver Regen. Kein Wunder also, dass die Flüsse über ihre Ufer stiegen. Allerdings glaubt Enshayan, dass die Situation durch menschengemachte Faktoren verschärft worden ist. Durch seine Arbeit am Zentrum für Energie und Umwelterziehung erlebt der Ökologe, wie sich die Landwirtschaft im nördlichen Iowa verändert. Das tut sie aber nicht erst seit gestern.

    "Im Laufe der vergangenen sechzig Jahren, seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs, haben wir schrittweise aber dauerhaft ein System der Landbestellung aufgegeben, das durch eine große Vielfalt gekennzeichnet war. Es gab einst viel mehr Wiesen, es gab mehrjährige Pflanzen, Gründüngung und Fruchtwechsel. Das alles haben wir aufgegeben, und stattdessen unterstützen wir nur einige wenige Feldfrüchte, vor allem Mais und Bohnen."

    Böden, auf denen solche Kulturen wachsen, können allerdings Wasser nicht mehr so gut zurück halten. Hinzu kommt, dass immer mehr Flächen versiegelt werden, und dass auch andere wichtige natürliche Wasserspeicher allmählich verschwinden, zum Beispiel Feuchtgebiete und Vegetationszonen am Flussufer entlang. Sie werden immer mehr zurück gedrängt, weil dieses Land zu Ackerflächen umgewandelt wird, oft geschützt von Deichen. Diese Deiche haben dann oft auch den Effekt, dass Gebäude nahe am Fluss errichtet werden, weil die Menschen sich dahinter in Sicherheit wähnen. Eine falsche Sicherheit, wie sich im Mittleren Westen gezeigt hat.

    "Die Bauunternehmer stellen die Häuser einfach auf die Überflutungsflächen. Vorher füllen sie die Ebenen ein wenig auf – dreißig Zentimeter über der Höchstmarke einer Flut, wie sie durchschnittlich einmal in hundert Jahren auftritt. Sie denken, dann seien sie auf der sicheren Seite. Bei uns hier sind unzählige Häuser überflutet worden, die nach den Vorschriften der Katastrophenschutz-Behörde FEMA errichtet worden waren. Das Wasser dort stand vier Fuß hoch im Wohnzimmer."

    Hinzu kommt, dass die Deiche entlang des Mississippi verschiedenen Behörden, Gemeinden oder sogar einzelnen Landwirten gehören – und von ihnen mehr oder weniger gepflegt werden. Ein Flickenwerk aus Zuständigkeiten und Vorschriften, das sich in der Architektur der Deiche widerspiegelt: Manche sind hoch gebaut, aus Erde, andere wiederum bestehen zum Großteil aus Sand. Nach den verheerenden Überflutungen im Jahr 1993 hatte die Clinton-Regierung ein Gutachten zu diesem Problem in Auftrag gegeben. Die Experten hatten damals dazu geraten, den Hochwasserschutz am Mississippi und seinen Nebenflüssen zu vereinheitlichen und unter die Oberhoheit des Pionierkorps der US-Armee zu stellen. Gerald E. Galloway Jr., ehemals bei der Armee, heute an der Universität von Maryland, hatte damals gewarnt, dass ähnlich starke Fluten folgen würden. Aber als die Pegel wieder sanken, gerieten diese Warnungen in Vergessenheit – bis sie vor gut zwei Wochen leider wieder aktuell wurden.