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Wegbereiter eines Erregers

Medizin. - Seit 1999 hat sich das West-Nil-Virus in den USA ausgebreitet und fest etabliert. Seither hat es über 1000 Menschenleben gefordert. Vergangenes Jahr traten auch in Südeuropa erste West-Nil-Erkrankungen auf. Ein US-Forscher hat jetzt untersucht, warum das Virus neues Terrain so erfolgreich erobern konnte. In "Science" berichtet er über seine Erkenntnisse.

Von Volkart Wildermuth | 21.10.2011
    Die toten Krähen in New York, das war für den Ökologen Marm Kilpatrick von der Universität von Kalifornien in Santa Cruz, erst einmal eine Meldung auf den bunten Seiten der Tageszeitungen. Schnell starben aber zehntausende Vögel und längst nicht mehr nur in New York.

    "Es war verblüffend, wie schnell das Virus die Westküste der USA erreichte. In Kalifornien wurde es 2002 nachgewiesen. Das ist 3000 Meilen von New York entfernt, das ist bemerkenswert."

    3000 Meilen in nur vier Jahren. Ein rasantes Tempo. Genetische Vergleiche zeigen, dass das West-Nil-Virus wohl über einen infizierten Moskito oder einen infizierten Vogel aus dem Nahen Osten nach New York kam. Die Vögel und auch die Menschen in den USA hatten keine Abwehrkräfte gegen das für sie neue Virus. In Folge der Ausbreitungswelle wurde eine ganze Reihe von Vogelarten erheblich dezimiert. Vor allem erkrankten auch viele Menschen. Den Grund entdeckte Marm Kilpatrick, als er systematisch Mücken und Vögel auf das West-Nil-Virus untersuchte.

    "Das West-Nil-Virus infiziert in den USA Moskito- und Vogelarten, die die Nähe von Menschen suchen, die auf landwirtschaftlichen Flächen und in Siedlungen leben. Deshalb hat dieses Virus einen so großen Effekt."

    Unter den Vögeln trägt besonders das amerikanische Rotkehlchen zur Verbreitung des Virus bei. Denn dieser Vogel wird bevorzugt von den Moskitos gestochen, viel häufiger als andere, zahlenmäßig stärkere Arten. Rotkehlchen sind aber Kulturfolger, finden sich also häufig in den Gärten und Parks. Da ist es nicht unwahrscheinlich, dass eine Mücke erst ein infiziertes Rotkehlchen und dann einen Menschen sticht und so das West-Nil-Virus überträgt. Für die rasante Ausbreitung des Erregers ist aber auch die Evolution des Virus selbst verantwortlich. In den USA entwickelte sich schon nach zwei Jahren eine neue Virenvariante. Kilpatrick:

    "Das Virus musste sich an andere Moskitoarten anpassen. Die neue Variante ist viel ansteckender und verstärkte so die Epidemie. Verblüffenderweise findet man heute keine Spur der alten Variante, wenn man Mücken oder Vögel untersucht. Das neue Virus hat ganz Nordamerika erobert."

    Die größten Infektionswellen bei Vögeln und Menschen gab es beim ersten Kontakt mit dem West-Nil-Virus, besonders in den Jahren 2002/2003. Danach sank die Zahl der Infizierten und auch der Todesfälle. Fast sah es so aus, als ob sich in den USA auf niedrigerem Niveau ein neues Gleichgewicht zwischen Erreger, Mücke, Vogel und Mensch eingependelt hätte. Doch dann kam es 2010, elf Jahre nach der Ankunft des Virus, zu einem großen Ausbruch in New York.

    "Die jährlichen Schwankungen in Klima und Wetter haben einen großen Einfluss auf die Übertragung des Erregers. Wir sollten uns nicht darauf verlassen, dass die großen West-Nil-Epidemien hinter uns liegen."

    In heißen, feuchten Jahren gibt es viele Vögel, viele Mücken und damit viele Infektionen. Darauf werden sich die Amerikaner einstellen müssen. Marm Kilpatrick hat die Ausbreitung des West-Nil-Virus genau studiert. Er ist davon überzeugt, dass sich seine Einsichten auf andere tropische Erreger übertragen lassen, die über den globalen Handel auch die westliche Welt erreichen können. Ein Beispiel ist das Rifttalfieber.

    "Es kommt darauf an, welche Mücken das Virus übertragen können, und welche Tiere sie bevorzugt stechen. Wenn wir das wissen, können wir begründete Vermutungen zum Risiko des Rifttalfieber für die USA machen."

    Oder zum West-Nil-Virus in Europa. 2010 konnte sich der Erreger im Mittelmeerraum ausbreiten. In Deutschland gibt es zwar passende Mücken und Vögel, aber hier ist es für eine eigenständige Vermehrung des West-Nil-Virus zu kalt – zumindest bislang.