Stefan Luft, bereits vor einigen Jahren bekannt geworden durch sein Buch "Ausländerpolitik in Deutschland", schließt mit dem Buch "Abschied von Multikulti. Wege aus der Integrationskrise" daran an.
Jürgen Liminski: Herr Luft, Sie haben Ihr neues Buch mit fast 500 Seiten drei Gruppen gewidmet und zwar, ich zitiere etwas verkürzt: "den Lehrerinnen und Lehrern in den ethnischen Kolonien, den Polizeibeamtinnen und -beamten, die mit Klugheit, Konsequenz und Verständnis ihren Beitrag in den ethnischen Kolonien leisten, und jenen Zuwanderern, die sich als positive Vorbilder für eine gelungene Integration und ein friedliches Zusammenleben einsetzen". Dem Laien fällt der Begriff ethnische Kolonie auf, er kommt in den Titeln von mehreren Kapiteln vor und scheint ein Schlüsselbegriff in Ihrem Buch zu sein. Wie würden Sie ihn definieren?
Stefan Luft: Wenn Pioniere als Erste in ein neues Land ziehen, sich dort bereits umgesehen haben, Erfahrungen gesammelt haben, sich vielleicht schon, was den Arbeitsmarkt angeht, unter andere soziale Strukturen niedergelassen haben, dann können sie denen, die nachziehen, ihre Erfahrungen vermitteln, und dies geschieht in der Regel in ethnischen Kolonien, die zumindest in vielen Fällen in den USA, beispielsweise im 19. und 20. Jahrhundert, durchlässige Systeme waren, weil sie den Menschen, den Zuwanderern, die Möglichkeit gab, im Laufe der Jahre aufzusteigen und damit dann auch diese ethnischen Kolonien zu verlassen.
Liminski: Das heißt, der große Unterschied zu den berühmten Parallelgesellschaften wäre dann die Transparenz oder die Durchlässigkeit, wie Sie das sagen?
Luft: Der Unterschied besteht darin, dass ethnische Kolonien durchlässige Systeme sind und Parallelgesellschaften sich zunehmend abschließen. Wir müssen eben feststellen, dass im Laufe der Jahre und Jahrzehnte sich die Strukturen aus vielfältigen Gründen in der Bundesrepublik in diesen ethnischen Kolonien zunehmend verfestigt haben, so dass man heute, zumindest in Teilen, wohl von parallelgesellschaftlichen Strukturen sprechen muss.
Liminski: Was sind denn, Herr Luft, die Hauptbarrieren der Integration?
Luft: In der Bundesrepublik haben Gastarbeiter hier, die Niedriglohnbereiche besetzt haben, den Arbeitgebern die Notwendigkeit erspart, die Löhne und die Arbeitsbedingungen in diesem Bereich anzuheben, und sie haben den einheimischen Arbeitnehmern die Möglichkeit gegeben aufzusteigen.
Diese Arbeitsplätze sind im Laufe der Jahre im Zuge der Automatisierung, im Zuge struktureller Umbrüche in der Wirtschaft zunehmend weg rationalisiert worden, so dass einmal seit Anfang der 70er Jahre eine überdurchschnittliche Arbeitslosigkeit bestand. Hinzu kommt eine Integrationspolitik oder eine Ausländerpolitik, die nicht ausgerichtet war bis weit in die 90er Jahre hinein auf die Forderung an Zuwanderer, die dauerhaft in der Bundesrepublik leben wollen, gewisse Anpassungsleistungen zu erbringen.
Man hat immer gesagt, man muss die Identität der Zuwanderer wahren. Das heißt, man hat den Kindern beispielsweise sehr starken muttersprachlichen Ergänzungsunterricht angedeihen lassen. Das hat dazu beigetragen, dass die Kinder sich einerseits in Richtung Herkunftsland orientieren sollten - sie sollten bei einer möglichen Rückkehr sich in das Bildungssystem des Herkunftslandes unmittelbar wieder eingliedern können -, sie sollten aber andererseits auch im Aufnahmeland erfolgreich sein können. Und das hat sie einer widersprüchlichen Erwartung ausgesetzt und in vielen Fällen überfordert. Das ist einer der wesentlichen Gründe für die enormen Bildungsdefizite, die wir bei Zuwandererkindern festzustellen haben.
Liminski: Kann man denn sagen: Mehr Bildung! - und dann wird alles gut?
Luft: Bildung ist eine zentrale Voraussetzung. Es gilt der Grundsatz: Geringe Qualifikation, hohes Arbeitsmarktrisiko. Man kann also sagen, dass die soziale Integration wesentlich mit der Bildung zusammenhängt. Trotzdem kann man natürlich nicht sagen: Bildung gut - also wird sich in jedem Einzelfall auch die Integration positiv vollziehen. Sie werden sich erinnern, dass die Gruppe um Mohammed Atta, den Hamburger Unterstützer dieser Attentäter vom 11. September, dass in dieser Gruppe zum Teil fließend Deutsch gesprochen wurde - das waren ja auch Akademiker. Also, da gibt es eine Vielzahl zusätzlicher Aspekte, die dazukommen müssen. Grundlegend bleibt es aber, dass die Bildung der Schlüssel ist.
Liminski: Sie sind in Ihrem letzten Kapitel einigermaßen optimistisch und nennen es ja auch "Wege aus der Integrationskrise". Welches sind denn die Hauptwege? Oder sagen Sie ganz bündig vielleicht: Glauben Sie, dass die Integration in Deutschland noch oder überhaupt gelingen kann?
Luft: Zu sagen, wir haben keine Chance, würde die Konflikte, die zweifellos da sind, die auch latent vorhanden sind, sicher verstärken und wäre nicht zutreffend - wäre auch unverantwortlich. Tatsache ist zunächst einmal, dass diese ethnischen Kolonien sich nicht als Durchgangsstationen erwiesen haben, sondern als Integrationsbarrieren, als Mobilitätsfallen, vor allem mit der zunehmenden institutionellen Vollständigkeit, die sie entwickelt haben.
Das Problem ist auch, dass zunehmend positive Vorbilder in diesen ethnischen Kolonien fehlen. Wir müssen also zunächst einmal davon ausgehen, dass es einen ganz klaren negativen Zusammenhang zwischen ethnischer Konzentration im Wohnumfeld und dem Erwerb der Zweitsprache gibt. Das heißt, je ausgeprägter die ethnische Konzentration im Wohnumfeld ist, desto mangelhafter ist der Erwerb der Zweitsprache.
Die Konsequenz daraus muss aus meiner Sicht lauten, dass die hohen Konzentrationen an Kindern nichtdeutscher Herkunftssprache in den ethnischen Kolonien nicht so beibehalten werden dürfen. Wir müssen in den Städten meines Erachtens Schwellenwerte festlegen. Wenn diese Schwellenwerte überschritten sind, muss abgeschmolzen - und das heißt innerbezirklich, aber auch über die Stadtbezirke hinaus - verteilt werden.
Die sozial Schwachen können nicht auf Dauer die Integrationslast alleine tragen. Integration ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, und an diesem Feld ließe sich dieses Diktum, das in keiner Sonntagsrede fehlen darf, ganz klar unter Beweis stellen. Wir müssen auch den Beitritt der Türkei, mit seinen spezifischen Konsequenzen für die Bundesrepublik Deutschland, stärker als bisher kritisch diskutieren.
Wenn ein Gutachten des Südosteuropa-Instituts in München im Auftrag des Bundesfinanzministeriums zu dem Ergebnis kommt, dass es ein Wanderungspotential im Falle eines EU-Beitritts der Türkei von 4,4 Millionen Menschen gibt, dann müssen wir uns darüber im Klaren sein, dass der größte Teil dieser Gruppe aufgrund der Kettenwanderung in die Bundesrepublik Deutschland kommen würde. Und deshalb müssen wir dieses Thema kritischer als bisher diskutieren. Es besteht sehr wohl ein Zusammenhang zwischen Integrationsfähigkeit und Zuwanderungsbegrenzung.
Liminski: Das war Stefan Luft zu seinem Buch "Abschied von Multikulti. Wege aus der Integrationskrise", erschienen im Resch-Verlag in Gräfelfing, das Buch hat 477 Seiten und kostet 19 Euro 90.
Jürgen Liminski: Herr Luft, Sie haben Ihr neues Buch mit fast 500 Seiten drei Gruppen gewidmet und zwar, ich zitiere etwas verkürzt: "den Lehrerinnen und Lehrern in den ethnischen Kolonien, den Polizeibeamtinnen und -beamten, die mit Klugheit, Konsequenz und Verständnis ihren Beitrag in den ethnischen Kolonien leisten, und jenen Zuwanderern, die sich als positive Vorbilder für eine gelungene Integration und ein friedliches Zusammenleben einsetzen". Dem Laien fällt der Begriff ethnische Kolonie auf, er kommt in den Titeln von mehreren Kapiteln vor und scheint ein Schlüsselbegriff in Ihrem Buch zu sein. Wie würden Sie ihn definieren?
Stefan Luft: Wenn Pioniere als Erste in ein neues Land ziehen, sich dort bereits umgesehen haben, Erfahrungen gesammelt haben, sich vielleicht schon, was den Arbeitsmarkt angeht, unter andere soziale Strukturen niedergelassen haben, dann können sie denen, die nachziehen, ihre Erfahrungen vermitteln, und dies geschieht in der Regel in ethnischen Kolonien, die zumindest in vielen Fällen in den USA, beispielsweise im 19. und 20. Jahrhundert, durchlässige Systeme waren, weil sie den Menschen, den Zuwanderern, die Möglichkeit gab, im Laufe der Jahre aufzusteigen und damit dann auch diese ethnischen Kolonien zu verlassen.
Liminski: Das heißt, der große Unterschied zu den berühmten Parallelgesellschaften wäre dann die Transparenz oder die Durchlässigkeit, wie Sie das sagen?
Luft: Der Unterschied besteht darin, dass ethnische Kolonien durchlässige Systeme sind und Parallelgesellschaften sich zunehmend abschließen. Wir müssen eben feststellen, dass im Laufe der Jahre und Jahrzehnte sich die Strukturen aus vielfältigen Gründen in der Bundesrepublik in diesen ethnischen Kolonien zunehmend verfestigt haben, so dass man heute, zumindest in Teilen, wohl von parallelgesellschaftlichen Strukturen sprechen muss.
Liminski: Was sind denn, Herr Luft, die Hauptbarrieren der Integration?
Luft: In der Bundesrepublik haben Gastarbeiter hier, die Niedriglohnbereiche besetzt haben, den Arbeitgebern die Notwendigkeit erspart, die Löhne und die Arbeitsbedingungen in diesem Bereich anzuheben, und sie haben den einheimischen Arbeitnehmern die Möglichkeit gegeben aufzusteigen.
Diese Arbeitsplätze sind im Laufe der Jahre im Zuge der Automatisierung, im Zuge struktureller Umbrüche in der Wirtschaft zunehmend weg rationalisiert worden, so dass einmal seit Anfang der 70er Jahre eine überdurchschnittliche Arbeitslosigkeit bestand. Hinzu kommt eine Integrationspolitik oder eine Ausländerpolitik, die nicht ausgerichtet war bis weit in die 90er Jahre hinein auf die Forderung an Zuwanderer, die dauerhaft in der Bundesrepublik leben wollen, gewisse Anpassungsleistungen zu erbringen.
Man hat immer gesagt, man muss die Identität der Zuwanderer wahren. Das heißt, man hat den Kindern beispielsweise sehr starken muttersprachlichen Ergänzungsunterricht angedeihen lassen. Das hat dazu beigetragen, dass die Kinder sich einerseits in Richtung Herkunftsland orientieren sollten - sie sollten bei einer möglichen Rückkehr sich in das Bildungssystem des Herkunftslandes unmittelbar wieder eingliedern können -, sie sollten aber andererseits auch im Aufnahmeland erfolgreich sein können. Und das hat sie einer widersprüchlichen Erwartung ausgesetzt und in vielen Fällen überfordert. Das ist einer der wesentlichen Gründe für die enormen Bildungsdefizite, die wir bei Zuwandererkindern festzustellen haben.
Liminski: Kann man denn sagen: Mehr Bildung! - und dann wird alles gut?
Luft: Bildung ist eine zentrale Voraussetzung. Es gilt der Grundsatz: Geringe Qualifikation, hohes Arbeitsmarktrisiko. Man kann also sagen, dass die soziale Integration wesentlich mit der Bildung zusammenhängt. Trotzdem kann man natürlich nicht sagen: Bildung gut - also wird sich in jedem Einzelfall auch die Integration positiv vollziehen. Sie werden sich erinnern, dass die Gruppe um Mohammed Atta, den Hamburger Unterstützer dieser Attentäter vom 11. September, dass in dieser Gruppe zum Teil fließend Deutsch gesprochen wurde - das waren ja auch Akademiker. Also, da gibt es eine Vielzahl zusätzlicher Aspekte, die dazukommen müssen. Grundlegend bleibt es aber, dass die Bildung der Schlüssel ist.
Liminski: Sie sind in Ihrem letzten Kapitel einigermaßen optimistisch und nennen es ja auch "Wege aus der Integrationskrise". Welches sind denn die Hauptwege? Oder sagen Sie ganz bündig vielleicht: Glauben Sie, dass die Integration in Deutschland noch oder überhaupt gelingen kann?
Luft: Zu sagen, wir haben keine Chance, würde die Konflikte, die zweifellos da sind, die auch latent vorhanden sind, sicher verstärken und wäre nicht zutreffend - wäre auch unverantwortlich. Tatsache ist zunächst einmal, dass diese ethnischen Kolonien sich nicht als Durchgangsstationen erwiesen haben, sondern als Integrationsbarrieren, als Mobilitätsfallen, vor allem mit der zunehmenden institutionellen Vollständigkeit, die sie entwickelt haben.
Das Problem ist auch, dass zunehmend positive Vorbilder in diesen ethnischen Kolonien fehlen. Wir müssen also zunächst einmal davon ausgehen, dass es einen ganz klaren negativen Zusammenhang zwischen ethnischer Konzentration im Wohnumfeld und dem Erwerb der Zweitsprache gibt. Das heißt, je ausgeprägter die ethnische Konzentration im Wohnumfeld ist, desto mangelhafter ist der Erwerb der Zweitsprache.
Die Konsequenz daraus muss aus meiner Sicht lauten, dass die hohen Konzentrationen an Kindern nichtdeutscher Herkunftssprache in den ethnischen Kolonien nicht so beibehalten werden dürfen. Wir müssen in den Städten meines Erachtens Schwellenwerte festlegen. Wenn diese Schwellenwerte überschritten sind, muss abgeschmolzen - und das heißt innerbezirklich, aber auch über die Stadtbezirke hinaus - verteilt werden.
Die sozial Schwachen können nicht auf Dauer die Integrationslast alleine tragen. Integration ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, und an diesem Feld ließe sich dieses Diktum, das in keiner Sonntagsrede fehlen darf, ganz klar unter Beweis stellen. Wir müssen auch den Beitritt der Türkei, mit seinen spezifischen Konsequenzen für die Bundesrepublik Deutschland, stärker als bisher kritisch diskutieren.
Wenn ein Gutachten des Südosteuropa-Instituts in München im Auftrag des Bundesfinanzministeriums zu dem Ergebnis kommt, dass es ein Wanderungspotential im Falle eines EU-Beitritts der Türkei von 4,4 Millionen Menschen gibt, dann müssen wir uns darüber im Klaren sein, dass der größte Teil dieser Gruppe aufgrund der Kettenwanderung in die Bundesrepublik Deutschland kommen würde. Und deshalb müssen wir dieses Thema kritischer als bisher diskutieren. Es besteht sehr wohl ein Zusammenhang zwischen Integrationsfähigkeit und Zuwanderungsbegrenzung.
Liminski: Das war Stefan Luft zu seinem Buch "Abschied von Multikulti. Wege aus der Integrationskrise", erschienen im Resch-Verlag in Gräfelfing, das Buch hat 477 Seiten und kostet 19 Euro 90.