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Wege durch den Dschungel

Ulrich Khuon startet seine Intendanz mit zwei Uraufführungen zum Thema Kolonialismus. Doch John von Düffels Bearbeitung von Joseph Conrads "Herz der Finsternis" fehlt jede Theatralik. Während die Auftragsarbeit "Öl" von Lukas Bärfuss einfach nur langweilt.

Von Michael Laages | 19.09.2009
    Auch vor neun Jahren war das - Ulrich Khuons Team, aus Hannover kommend, startete gar nicht glorios in die neue Zeit am Hamburger Thalia Theater. Und wieder sieben Jahre davor, an Hannovers damals neuem Schauspielhaus, schienen die Vorlieben des Theatermachers, der da gerade aus Konstanz in den Norden kam, durchaus gewöhnungsbedürftig. Es brauchte immer geraume Zeit, bis Khuons Team ganz sicher war und unverwechselbar; und auch jetzt, in der Hauptstadt, wird er nach diesem Start noch für eine ganze Weile unterschätzt werden.

    Um vom "Herz der Finsternis" zu erzählen in John von Düffels Bühnenversion der Novelle von Joseph Conrad, blieb Khuons Haus-Regisseur Andreas Kriegenburg kaum sehr viel mehr übrig, als auf forciertes Bilder, auf Bebilderungs-Theater zu setzen. Buch bleibt hier weithin Buch, Literatur Literatur, auch wenn sie über weite Strecken chorisch und durchaus spannungsreich mit wechselnden Stimmführerschaften vorgetragen wird; von Düffel, der bewährte Thomas-Mann-Dramatisierer, hat der Conrad-Vorlage kaum szenisches hinzugefügt.

    Die Reise des Kapitän Marlow bleibt Erzählung - auf dem Kongo-Fluss geht's tief in den afrikanischen Urwald, wo Marlow den an zuviel Gewalt und Einsamkeit irre gewordenen Elfenbein-Dealer Kurtz aufspüren und aus dem Verkehr ziehen soll, im Dienste des (noch) funktionierenden Kapitalismus der Kolonialzeit. Am Rande des Flusses nistet das Grauen aus Elend, Armut und Ausbeutung - Kriegenburg bannt es in das Bild jener sechs haushohen Gliederpuppen, die an Marionettenfäden vom Bühnenhimmel herunter hängen in den Raum von Johanna Pfau, wie schwarze Gerippe, hohlwangig und -äugig, schlammbeschmiert. Das Bild hinterlässt Spuren, an den Mitgliedern des Schauspiel-Kollektivs auf der Bühne wie in der Erinnerung der Zuschauer.

    Jeder muss mal Marlow sein, nur der mystisch-monströse Kolonialkiller-Kurtz bleibt Unikat - Kriegenburg hat erfunden, was in seiner Macht, um aus dem Stück Literatur ein Stück Theater werden zu lassen. Es ist ihm trotz allem nicht gelungen.

    War aber Kriegenburg mit "Herz der Finsternis" nur am Material, nicht aber am Motiv der ganzen Bemühung gescheitert, so ist die eigentliche Theater-Uraufführung im Grunde ein kleiner Skandal - denn es braucht viel Zeit, um sich zurück zu erinnern, wann jemals ein schon einigermaßen prominenter und mit Preisen ausgestatteter Autor einen derart missratenen Text abgeliefert hat; "Öl" von Lukas Bärfuss war immerhin ein Auftragswerk des Khuon-Teams - die Auftraggeber hätten es auch ablehnen können, ja müssen. Aus Gründen dramaturgischer Zusammenhänge mag es im Spielplan geblieben sein.

    Denn Bärfuss laboriert an einer ähnlichen Konstellation wie weiland Joseph Conrad - auch Herbert Kahmer sucht wie Kurtz nach einem Rohstoff in der Wildnis, nur nicht mehr nach Elfenbein, sondern nach Öl, dem Schmierstoff der Zivilisation. Irre aber ist auch er geworden angesichts der undurchdringlichen Fremdheit der Welt um ihn herum. Das Stück erzählt, wie Conrad, aus der Perspektive einer Rand-Figur: Gattin Eva sitzt allein und unzufrieden vor blätternden Tapeten im Gammel-Apartment, wartet in der Provinz-Hauptstadt auf die Heimkehr des Gatten und auf das große Los, die millionenschwere Öl-Lizenz. Außerdem hat sie eine Affäre mit Herberts Ingenieur Edgar - und ärmlicherweise ist ausgerechnet diese platt-routinierte Dreiecks-Geschichte der einzige dramatische Knoten, der sich wirklich schürzt.

    Die neokoloniale Welt kommt nur vor in Gestalt von Evas ziemlich komischer Hausangestellter und als junges Mädchen, das immer wieder, und ziemlich unmotiviert, ins Bild tritt und Strategien historischer Kriegsführung rezitiert. Krieg aber herrscht nur in den hysterischen Psychosen von Frau Eva - das ist nicht abendfüllend.

    Dieses -pardon!- grottenschlechte Stück inszeniert nun aber Stephan Kimmig auch noch als Schlaftablette, die für 100 Minuten reicht, als massierte Langeweile, die nicht mal als Steilvorlage für die versammelten Affekte der Schauspielerin Nina Hoss ausreicht, die Eva spielt. Nur ihre Partnerin Margit Bendokat, Urgestein aus DDR-Zeiten des Deutschen Theaters, scheint ernstlich zu leben in diesem Schießbudenfigurenkabinett. Geschossen wird ja zum Schluss tatsächlich - das ist der einzig laute Ton.

    Im Spielplan des Hauses bleiben viele Erinnerungen an den im Frühsommer verstorbenen Regisseur Jürgen Gosch präsent - das ist neben diesen Neuigkeiten wirklich ein Glück.