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Wege zum Frieden

Unter den Füssen knirscht die Lava. Mitten im Zentrum von Goma, der wichtigsten Stadt Ostkongos mit rund 500 000 Einwohnern. Vor gut einem Jahr brach der nur zehn Kilometer entfernte Vulkan Nyragongo aus. Die brodelnde Lava bahnte sich einen Weg quer durch Goma, fraß eine fast einen Kilometer breite Schneise und begrub das Geschäftszentrum unter sich, ließ Hunderte Häuser in Flammen aufgehen. Die Menschen flohen damals, kehrten aber nach wenigen Tagen zurück, als die Lava etwas erkaltet war. Die Menschen hier im Osten Kongos haben einen unbeschreiblichen Lebenswillen – und ein Beharrungsvermögen. Neue Hütten wurden gebaut. Genau an den Stellen, wo unter den drei Meter hohen Lavamassen alte Häuser standen. Auf der schwarzen Lava ist auch schon wieder an verschiedenen Stellen das hellleuchtende Grün der ersten kleinen Felder rund um die neuen Hütten zu sehen. Wenn die Kruste der harschen Lava aufgebrochen wird, so zeigt sich, ist neues Leben möglich. Hier in Goma wie im verkrusteten Kongo nach dem langen Bürgerkrieg überhaupt.

Frank Räther | 06.06.2003
    Unter den Füssen knirscht die Lava. Mitten im Zentrum von Goma, der wichtigsten Stadt Ostkongos mit rund 500 000 Einwohnern. Vor gut einem Jahr brach der nur zehn Kilometer entfernte Vulkan Nyragongo aus. Die brodelnde Lava bahnte sich einen Weg quer durch Goma, fraß eine fast einen Kilometer breite Schneise und begrub das Geschäftszentrum unter sich, ließ Hunderte Häuser in Flammen aufgehen. Die Menschen flohen damals, kehrten aber nach wenigen Tagen zurück, als die Lava etwas erkaltet war. Die Menschen hier im Osten Kongos haben einen unbeschreiblichen Lebenswillen – und ein Beharrungsvermögen. Neue Hütten wurden gebaut. Genau an den Stellen, wo unter den drei Meter hohen Lavamassen alte Häuser standen. Auf der schwarzen Lava ist auch schon wieder an verschiedenen Stellen das hellleuchtende Grün der ersten kleinen Felder rund um die neuen Hütten zu sehen. Wenn die Kruste der harschen Lava aufgebrochen wird, so zeigt sich, ist neues Leben möglich. Hier in Goma wie im verkrusteten Kongo nach dem langen Bürgerkrieg überhaupt.

    Und so, wie die Menschen hier ihr Leben sofort neu begannen, sobald die Katastrophe vorbei war, so sind auch sonst die Flüchtlinge bereit, in ihre angestammten Gebiete zurückzukehren. Wenn es ihnen möglich gemacht wird. Wenn Frieden herrscht. Wenn sie wieder arbeiten können.

    Eine halbe Million Menschen waren im letzten Jahrzehnt vor Kämpfen aus der Region zwischen Goma und Masisi geflohen. Erst bekämpften sich die hier lebenden Banyamulenge und andere Stämme. Dann kamen aus dem benachbarten Ruanda die Interahamwe-Milizen der Hutu, nachdem sie dort einen Genozid mit mehr als einer halben Million Toten anrichteten. Schließlich begann hier der Bürgerkrieg, der von 1996 an wie ein Buschfeuer über den ganzen Kongo hinwegraste. Ethnische Gegnerschaften und bewaffnete Milizen machten die von vielen, oft verfeindeten ethnischen Gruppen besiedelte Region unbewohnbar, wie Mulemeri Abassi erzählt.

    Wenn ich damals irgendwo hingegangen wäre, nur etwa 30 Kilometer weiter in das Gebiet einer anderen ethnischen Gruppe, dann wäre ich getötet worden. Seit 1993 konnte man nirgendwo mehr hingehen. Die Leute haben sich gegenseitig umgebracht wie Tiere.

    Schon zu Zeiten von Diktator Mobutu war die Straße zwischen Goma und Masisi vernachlässigt worden und verfiel immer mehr. Brücken stürzten ein, Erosion riss Schluchten. Durch die Entvölkerung dann wurde sie zu einem kaum passierbaren Pfad durch den Dschungel. Dies wiederum nutzte den bewaffneten Banden, denn wenn sie eine Ortschaft überfielen, konnte der Bevölkerung dort niemand zu Hilfe kommen.

    Nun ist von der Deutschen Welthungerhilfe die Straße zwischen Sake bei Goma und dem 55 Kilometer entfernten Masisi durch die Berge wieder gebaut worden. Zusammen mit der lokalen Bevölkerung – mit denen, die trotz der Widrigkeiten geblieben waren, und mit den Flüchtlingen aus dieser Gegend. Das Ergebnis ist faszinierend: Die Menschen kehren zurück, bebauen wieder Felder, verkaufen ihre Produkte auf dem Markt. Eine in dem riesigen Land von der Größe Westeuropas eigentlich unbedeutende Straße wurde so zu einem Stabilitätsfaktor und trägt zum Frieden bei.

    Dagobert Holtwick von der Deutschen Welthungerhilfe war vom Beginn des Straßenbaus an dabei und strahlt regelrecht.

    Wenn auch die Deutschen die Planierraupen und anderes schweres Gerät stellten, so wurde die Arbeit aber von der einheimischen Bevölkerung geleistet, die dafür Löhne und auch Lebensmittel bekam, die sie sich sonst nicht leisten konnten, da die landwirtschaftliche Produktion ja darnieder lag. Zeitweilig arbeiteten über 14 000 Menschen an der Straße, ein Drittel der dortigen wirtschaftlich aktiven männlichen Bevölkerung. Das wichtigste war, die Menschen wieder zusammenzubringen und die aufgerissene Kluft des gegenseitigen Misstrauens und Hasses durch gemeinsame Arbeit für das gemeinsame Wohl zu überwinden. Entlang der Straße – quer durch alle ethnischen Gebiete – wurden Straßenkomitees und –unterkomitees gebildet, berichtet Mulemeri Abassi, der Präsident dieses Comité de route:

    Es gab beim Bau wie auch jetzt bei der Unterhaltung der Straße keine Diskriminierung. Alle Ethnien haben teilgenommen, so dass die Komitees eine repräsentative Zusammensetzung haben. So die Hunde in Sake, die Hutu und Tutsi in Kabati, die Hunde und Iwo in Kitjianga, die Hutu und Tutsi in Hwaeso, die Hutu in Katsiro, die Nande in Nyansale, Wir haben ein repräsentatives Komitee gebildet, in dem alle Ethnien vertreten sind. Mit den Dorfbewohnern läuft die Verständigung sehr, sehr gut.

    Die Feinde von einst, die glaubten, dass die anderen ihre Gegner sind, weil die bewaffneten Banden diesen Hass schürten, erlebten nun in der täglichen Arbeit miteinander, dass sie genau die gleichen Leute sind wie sie selbst.

    Und die Straße lohnt sich für alle. 72 Männer sind nun permanent beschäftigt. Sie sorgen jeden Tag dafür, dass Schlaglöcher ausgebessert, Erdrutsche beseitigt werden, das dichte Buschwerk nicht erneut die Straße überwuchert, die Gräben auf beiden Seiten frei sind. Bezahlt werden sie aus den Einnahmen der Straßenmaut, erklärt Abdul Pilipili, der Koordinator des Comité de route:

    Seitdem wir die neue Straße haben, verlangen wir eine Benutzungsgebühr an dieser Sperre hier. Ein großer Lastwagen muss 25 Dollar bezahlen. Ein Dreitonner zahlt 12 Dollar. Und die kleinen Lastwagen zahlen sieben Dollar. Mit diesem Geld finanzieren wir die Wartung der Straße. Wir erhielten dadurch im vorigen Monat etwa 6 154 Dollar.

    Dollar sind US-Dollar, mit denen hier im Osten Kongos gehandelt wird. Denn der einheimischen Währung, dem kongolesischen Franc, trauen die Menschen angesichts früherer Inflationsraten von mehr als eintausend Prozent nicht. Ost-Kongo ist deshalb US-Dollar-Land. Nur für kleinere Beträge wird der eigene Franc genutzt.

    Ausgenommen von der Bezahlung der Straßenmaut sind nur die Streitkräfte und die Administration, denn beide bezahlen ohnehin nicht, sowie internationale Hilfsorganisationen. Aber sonst wird peinlich genau auf das Bezahlen geachtet. In Kongo ist dies ja nicht ungewöhnlich, denn vielerorts versorgen sich sonst die Polizei, die Armee oder bewaffnete Rebellen an von ihnen errichteten Straßensperren. Doch während bei denen das Geld in die eigene Tasche fließt, kommt es hier den Anliegern zugute. An jedem Ort entlang der Straße werden die Fahrzeuge gestoppt.

    Ich bin hier Kontrolleur und achte darauf, dass die Leute bezahlt haben.

    Es ist seine Straße – und die seines Dorfes und der anderen Siedlungen. Alle achten darauf, dass nichts passiert. Denn die sich durch die Berge windende Straße ist zu einer Lebensader geworden.

    Je weiter der Bau voranschritt, desto mehr Flüchtlinge kehrten zurück, bauten sich wieder ihre Hütten und begannen die Felder zu bestellen, wie der stellvertretende Administrationschef von Masisi, André Muhima Bayibika, berichtet:

    Die Leute bleiben ja eigentlich lieber in ihrem Heimatort. Aber der Krieg hat die Leute fliehen lassen – vor allem in die urbanen Zentren. Jetzt ist es umgekehrt. Die Leute kommen zurück und wollen in Ruhe und Frieden ihr Feld bestellen. Es gibt jetzt 6 500 Haushalte in Masisi und Umgebung.

    Der Erfolg ist auf dem Markt von Masisi genauso sichtbar wie auf der Straße, wo Lastwagen hochbeladen in Richtung Sake fahren, wo sie dann die dortige Asphaltstraße nach Goma nutzen können.

    Das Wirtschaftsleben beginnt wieder zu florieren. Wir sind nach all den Kriegswirren am Anfang eines viel versprechenden Wirtschaftsaufschwungs. Früher wurde ja auch schon einiges angebaut. Aber die Produkte sind dann verfault, weil sie nicht abtransportiert werden konnten, da es ja keine Straße gab. Früher hat man für die 55 Kilometer zwischen Masisi und Sake 48 Stunden gebraucht. Heute schafft man das in einer Stunde. Das ist eine bemerkenswerte Verbesserung.

    Eine Verbesserung, die sowohl in Masisi und den Dörfern unterwegs zu spüren ist als auch in Goma, dem Provinzzentrum. Denn dort hat sich das Angebot auf dem Markt seit dem Straßenbau deutlich erweitert. Und die Bauern erhalten einen größeren Teil des erzielten Preises. Ein 100-Kilo-Sack Bohnen zum Beispiel kostet in Goma noch immer 12 Dollar. Aber früher bekam der Händler für seinen Transport davon zehn und der Bauer nur zwei Dollar. Jetzt ist das Verhältnis aufgrund des einfacheren und billigeren Transports umgekehrt. Und die Preise in Masisi liegen jetzt nicht mehr doppelt so hoch wie in Goma, sondern haben das gleiche Niveau. Somit ist dort das Leben billiger geworden – bei gleichzeitig höheren eigenen Einnahmen.

    Die Deutsche Welthungerhilfe hat nicht nur die Straße gebaut, sondern auch einiges für die agrarische Entwicklung getan. So wurden für die Siedlungen am Rande der Straße kleine Mühlen bereitgestellt. Sie werden von den Dorfgemeinschaften betrieben, wie Mulemeri Abassi erzählt, den lauten Dieselmotor der Mühle übertönend:

    Wir schaffen hier zwei bis zweieinhalb Tonnen täglich im Durchschnitt. Die Frauen bringen das Maniok her, lassen es bei uns mahlen. Dann verkaufen sie das Maniokmehl auf den Märkten.

    Das Maniokmehl ist die Hauptnahrung hier in der Gegend. Wer es aufbereitet auf dem Markt verkaufen kann, bekommt bedeutend mehr als für die Maniokwurzeln.

    100 Kilogramm Maniokwurzeln bringen 20 Dollar. Zwei Dollar kostet das Mahlen. Und auf dem Markt wird der Sack Maniokmehl dann für 28 bis 30 Dollar verkauft.

    Das ist für die Bauern ein Gewinn von sechs bis acht Dollar, also etwa ein Drittel mehr, was sie sonst erzielen würden. Und mit den zwei Dollar fürs Mahlen werden der Müller, der Treibstoff und auch Reparaturen bezahlt. Die einmal gemachte Investition trägt sich also selbst.

    Höhere Produktivität und Einnahmen bringen auch Saatkartoffeln. Kartoffeln werden zwar hier nur als Gemüse, also als Beilage, angesehen, aber sie haben einen hohen Nähr- und Sättigungswert. Sechs Monate lassen sie sich halten, erklärt Günther Hertzler, ein deutscher Landwirt, der für die Welthungerhilfe hier diese Projekte initiierte:

    Nicht nur Ernteschwankungen können ausgeglichen werden, sondern auch der Ertrag, die Produktivität und das Einkommen der lokalen Kleinbauern erhöhen sich.

    So einfach kann Frieden sein: eine Straße, Getreidemühlen und Saatkartoffeln. Nach dem Jahrzehnt des gegenseitigen Abschlachtens arbeiten nun die Menschen hier wieder – jeder für sich und alle zusammen. Das Misstrauen zwischen den Ethnien wird abgebaut. Und jeder sieht, dass ein Wiederaufflammen von Gewalttätigkeiten ihm selbst schaden würde. André Muhima Bayibika, der stellvertretende Verwaltungschef von Masisi:

    Die Straße trägt nach meiner Ansicht sehr stark zum Friedensprozess bei. Denn dort, wo keine Straße ist, versteckt sich der Feind. In Straßennähe aber hat er keine Chancen mehr. Einerseits kommen die Polizei und Armee schneller in Gebiete, wo Unsicherheiten auftreten, um dort zu intervenieren. Und zum anderen hat die Bevölkerung einen besseren Zugang zu den Märkten, zum Handel mit entlegeneren Gebieten.

    Gegenwärtig wird die Straße über Masisi weiter hinaus bis ins fast 200 Kilometer entfernte Walikale gebaut, womit dann der Anschluss an die Straße nach Kisangani erreicht ist, die große Stadt am Kongo-Fluss, über den dann die Waren von und nach Kinshasa, die von hier aus fast 2 000 Kilometer entfernte Hauptstadt auf dem Wasserweg transportiert werden können.

    Kürzere Transportwege bringen verstärkten Absatz, fallende Preise und wieder ein Zusammenwachsen des riesigen Landes. Wie wahnwitzig gegenwärtig noch die Situation ist, beschreibt der Entwicklungshelfer Markus Weiss, der in der Händlermetropole Butembo arbeitet. Die dortigen Geschäftsleute kontrollieren seit Generationen den gesamten Handel in Goma wie in weiten Teilen Ostkongos.

    Kein Wunder, dass angesichts dieser Entfernungen und Unwegsamkeiten im wahrsten Sinne des Wortes die gegenwärtigen Herrscher in Ostkongo wenig von einer Wiedererrichtung der Zentralmacht in der Hauptstadt Kinshasa halten. Eugéne Serufuli, der Gouverneur der Nord-Kivu-Provinz, wozu Goma gehört, setzt auf ein künftiges föderales System in Kongo:

    Unser Land ist so groß. Deshalb muss allen die Möglichkeit gegeben werden, ihren Beitrag zu leisten. Angesichts der Weite des Landes und der nicht funktionierenden Kommunikationswege wäre eine Zentralisierung, wie sie die Leute in Kinshasa wollen, ein Fehler. Sie hängen damit am alten System, was für die Kivu-Provinz nichts bringen würde. Wir wollen Föderalismus in unserem Land. Die Probleme ganz unten können nicht von weit oben gelöst werden. Sie müssen an der Basis gelöst werden. Das ist es. Und wenn das nicht möglich ist, wird es immer Schwierigkeiten geben. Leute, die nicht verstehen, dass wir Föderalismus wollen, wollen entweder das Land weiter zerstören oder sie haben egoistische Interessen.

    Dem Gouverneur geht es offenkundig nicht so sehr um den Föderalismus, der für Kongo wirklich die vorteilhafteste Lösung wäre, sondern um den Erhalt der eigenen Macht. Der Macht der RCD-Goma, einer Rebellenbewegung, die hier seit Beginn des zweiten Bürgerkrieges 1998 herrscht und weitgehend von der Regierung des benachbarten Ruanda kontrolliert wird.

    Dies ist noch immer das Grundproblem Kongos: das Interesse der Nachbarn Ruanda und Uganda am Osten Kongos. Sie begründen dies mit Sicherheitsinteressen, da regimefeindliche Kräfte die weiten Gebiete Ostkongos als Nachschub- und Rückzugsbasis nutzen, um immer wieder von dort aus Angriffe auf Ziele in Uganda und Ruanda zu unternehmen. Doch seit langem gibt es diese Überfälle kaum noch. Stattdessen hatten sich die nach Ost-Kongo entsandten Truppen in der Größenordnung von über 30 000 Mann mehr mit der Kontrolle der reichen Bodenschätze befasst. Denn hier lagern Gold, Diamanten, das für die Handy- und Raumfahrtindustrie wichtige Coltan und viele andere Mineralien.

    In welchen Mengen diese Rohstoffe vereinnahmt wurden, zeigt sogar die offizielle ruandische Statistik: die ausgewiesene Bergbauproduktion stieg gegenüber 1996 auf das Zehnfache. Und das, obwohl Ruanda kaum eigene Minen besitzt. Mit anderen Worten: die Rohstoffe stammten aus Ost-Kongo. Der damit erwirtschaftete Profit kam vor allem dem Verteidigungsministerium zugute, das sich gerade in Ruandas Hauptstadt Kigali ein neues schmuckes Hauptquartier baut und die gesamte Armee mit neuen Waffen ausstattete. Die alten wurden der RCD und anderen kongolesischen Rebellengruppen, die von Ruanda beeinflusst werden, überlassen.

    Im Falle von Uganda wiederum bereicherten sich direkt eine Handvoll der im Osten Kongos stationierten Generale und deren Vorgesetzte in Ugandas Hauptstadt Kampala. Laut UNO-Ermittlungen gehört der Halbbruder von Staatschef Yoweri Museveni, Salim Saleh, zu den größten Kriegsgewinnlern. Kein Wunder, dass diese Kräfte – auch nach dem gemäß des Friedensabkommens vom vorigen Jahr erfolgten Abzug aller ausländischen Truppen aus Kongo – ihre Stellvertreter, die verschiedenen Rebellenorganisationen, nutzen, um weiterhin an die Reichtümer Ost-Kongos zu gelangen.

    Bei den jetzigen Kämpfen in der Ituri-Region rund um Bunia, etwa 500 Kilometer nördlich von Goma, handelt es sich um eben diesen Stellvertreterkrieg. Hinter den Hema-Milizen steht Ruanda, hinter den Lendu-Milizen steht Uganda. Es ist eine ähnliche Art, ethnische Rivalitäten zu schüren und auszunutzen, wie sie auch die Region zwischen Goma und Masisi lange Zeit erlebt hatte.

    In Goma möchte die dort herrschende RCD gerne ihre Macht weiter aufrechterhalten und sich nicht wirklich der Zentralregierung in Kinshasa unterstellen. Auf dem Schreibtisch des Gouverneurs steht denn auch eine kleine Flagge der RCD, nicht aber die Flagge der Demokratischen Republik Kongo. Joseph Mudumbi, Chef der Auslandsabteilung der RCD-Rebellen:

    Die Flagge eines Landes ist die Flagge eines Landes, aber auch jede Partei kann eine Flagge haben. Die Verfassung hat die Staatsfahne festgelegt. Aber unsere Flagge ist die der RCD. Die behalten wir - als eine Bewegung, als politische Partei.

    Und vor allem, was Mudumbi diplomatisch nicht hinzufügt, als Flagge derer, die hier den Ton angeben. Denn überall in Goma ist keine einzige kongolesische Flagge zu sehen, sehr wohl aber die Flagge der RCD. Und mit diplomatischen Worten beschreibt der Rebellenfunktionär auch das Verhältnis zu Ruanda, der Macht im Hintergrund. Seine Organisation wolle...

    Eine Brücke sein zwischen der Regierung Kongos und Ruandas, denn wir müssen mit den Leuten Ruandas zusammenleben. Gerade erst war eine Delegation Kinshasas in Ruanda. Ich glaube, wir müssen als souveränes Land mit Ruanda zusammenarbeiten. Und wir brauchen auch das wirtschaftliche Zusammenwirken zum Wohl unseres Volkes.

    Diese "wirtschaftliche Zusammenarbeit" aber sehen kongolesische Geschäftsleute in Goma anders. Ein Unternehmer, der aus Angst vor Repressalien ungenannt bleiben möchte:

    Auf unserem Gebiet hier gibt es zwei verschiedene Arten von Geschäftsleuten. Die einen sind die hiesigen Rebellenführer, die anderen kommen aus Ruanda. Letztere sind es, die versuchen, das ganze Wirtschaftsleben an sich zu reißen und die Einheimischen zu verdrängen. Zum Beispiel im ganzen Bereich des Verkaufs von Treibstoff. Sie wollen das Monopol haben. Die meisten Tankstellenbesitzer sind bereits Ruander. Ein anderes Beispiel ist die Tabakindustrie. Auch die Brauereien. Es gibt eine sehr gute Brauerei in Bukavu, die die Marke Primus produziert. Alle anderen Biere werden aus Ruanda herbeigebracht, während vor dem Krieg Biersorten aus nationaler Produktion kamen - aus Kisangani, Butembo und Lubumbashi.

    Nicht genug damit. Die Herren der RCD langen auch kräftig zu. An den Grenzen ihres Einflussgebietes verlangen sie Zölle für den Warenverkehr. Die Visagebühren für Reisende wurden verdreifacht. An den Tankstellen wird eine zehnprozentige Abgabe auf jeden verkauften Liter Benzin erhoben. Und das hat Folgen für die Wirtschaft in der Region:

    Vor einem Jahr konnte man noch überleben. Dann schufen die Rebellen ein Büro zum Schutz der öffentlichen Einnahmen, das die noch verbliebenen Geschäftsleute so ausnimmt, dass die meisten ihre Arbeit einstellten und zu Hause bleiben. Einige fahren sogar Taxi. Andere haben die Stadt verlassen. Der Verkauf von Produkten und Dienstleistungen ist stark zurückgegangen. Man kann kaum etwas verkaufen. Ich möchte das an einem Beispiel deutlich machen: Früher kamen pro Monat 100 Container monatlich mit Waren hierher. Jetzt sind es bestens Falls fünf im Monat.

    Das heißt, dort wo die Rebellen ihre Macht ausüben, läuft nichts, dort aber, wo die Bevölkerung wieder die Geschicke in die eigene Hand nimmt, hat Kongo eine sehr gute Chance der Wiederbelebung und Entwicklung. Dazu aber muss die Verkrustung genauso aufgebrochen werden wie die Lava, die einen Teil von Goma vernichtete. Neues Leben kann aufgebaut werden. Die Stadt zeigt es und auch die Straße von Goma nach Masisi. Und ebenso die Kinder von Goma, die nicht - wie noch vor einiger Zeit - gerne Rebell werden wollen und mit einer Waffe Macht demonstrieren, sondern die Berufswünsche haben wie ihre gleichaltrigen Gefährten wohl überall auf der Welt – der friedlichen Welt:

    Ich will auf ein technisch-soziales College.

    Ich will Kinderanwältin werden.

    Ich will Modeschneiderin werden.

    Die neue Generation, die im Osten Kongos heranwächst, macht Hoffnung auf eine friedliche und gedeihliche Zukunft. Die Menschen hier wollen Frieden, wollen ein Land, das sich wieder entwickelt – aus eigener Kraft, mit eigener Arbeit. Kongo hat eine Chance. Die Menschen, die wieder arbeiten statt sich gegenseitig zu töten, die zurückgekehrt sind in ihre Siedlungen entlang der Straße von Goma nach Masisi, stellen das täglich aufs Neue unter Beweis.