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Wegweiser im Dickicht der Bettelbriefe

Der Journalist und Verbraucherschützer Stefan Loipfinger beleuchtet den Spendenmarkt und geht dabei hart mit der "Spendenmafia" ins Gericht. Er zeigt Missbrauchsfälle auf, nennt aber auch diejenigen Organisationen, die er für vertrauenswürdig hält.

Von Rupert Neudeck | 12.12.2011
    Stefan Loipfingers Buch ist ein neuer Versuch, Ordnung in die sogenannte "Mitleidsindustrie" zu bringen. Schon vor einem Jahr hat die Journalistin Linda Pohlmann in ihrem gleichnamigen Buch internationalen Hilfsorganisationen auf die Finger geschaut. Nun liefert der freie Wirtschaftsjournalist Loipfinger weitere markante Belege für das "schmutzige Geschäft mit unserem Mitleid" - so auch der Untertitel seines Buches.

    In einer unerbittlich scharfen, manchmal überpointierten Sprache geht der Autor dabei mit der "Spendenmafia" ins Gericht, zeigt Facetten von Spendenmissbrauch und -verschwendung im verworrenen Firmen- und Vereinsgeflecht rund um Kinderkrebs und Tierliebe - und krempelt dabei den Fundraising-Markt von innen nach außen: Den Promifaktor beim Geldeintreiben beleuchtet er ebenso wie die Arbeitsmethoden von Drückerkolonnen und Bettelbriefschreibern.

    Auch mit der sozialen Verantwortung, mit der sich Unternehmen allzu gerne schmücken, geht er hart ins Gericht. Die ist oftmals nicht mehr als eine Mogelpackung, davon ist der Autor überzeugt. "Greenwashing ohne rot zu werden", nennt er das. Grundsätzlich findet es Loipfinger zwar nicht verwerflich, Produkte zu kaufen, die eine indirekte Spende versprechen, gibt aber zu bedenken:

    "Bevor auf Grund einer Spende ein bewährtes Produkt durch ein anderes ersetzt wird, sollte der Käufer den monetären Wert der guten Tat hinterfragen. Wird er verschleiert, liegt zumindest eine moralische Verbrauchertäuschung vor. Allgemeine, nicht quantifizierbare Versprechen sind stets ein Warnsignal: 1 Liter trinken und 10 Liter spenden zählt ebenso dazu wie 'einen Quadratmeter Regenwald schützen'. Eines können und dürfen Minispenden niemals ersetzen: Die direkte Zuwendung an eine Organisation ihres Vertrauens".

    Ein weiteres Kapitel behandelt das Ärgernis, das vielen gerade aus der Vorweihnachtszeit bekannt sein dürfte: Dann stecken pünktlich wie im Vorjahr schier unzählige Bettel- oder Spenderbriefe von Organisationen und Vereinen aus aller Herren Ländern im Briefkasten. Die Frage, wie diese Organisationen an all die Namen und Adressen gekommen sind, ist leicht zu beantworten - Stefan Lopifinger legt dar, wie einfach es sein kann, Adressen von möglichen Spendern zu kaufen und wie viele Organisationen davon Gebrauch machen:

    "Datenschutz wird klein geschrieben in der Charity Branche. (…) Aus Sicht der Regierung ist das Engagement von Vereinen zweifellos wünschenswert, sei es im sozialen Bereich, im Umweltschutz oder im Tierschutz. Gemeinnützige Vereine und ihre zahlreichen engagierten Helfer, darunter viele ehrenamtlich aktiv, können Not und Leid vermeiden oder zumindest lindern. Das bedeutet eine erhebliche Entlastung der zuständigen politischen Organe wie auch der öffentlichen Kassen. So wird, um den Spendenfluss nicht zu gefährden, eben das eine oder andere Auge zugedrückt. Auch beim Datenschutz."

    Ganz am Schluss greift der Autor dann noch das Kapitel des Umgangs mit Steuergeldern an. Als Beispiel dient dem Autor die SPD-nahe Friedrich Ebert Stiftung: Die habe beispielsweise in den Jahren 2004 bis 2006 neun Millionen Euro allein für gesellschaftspolitische Beratung in Mexiko, Zentralamerika und in der Karibik ausgegeben. Die Prüfer bemängelten nur, schreibt Loipfinger:

    "Dass nicht genügend Geld ausgegeben wurde. Denn eigentlich waren 11 Mio. Euro bewilligt worden. Und wenn dieses Budget schon zur Verfügung stand, dann hätte es restlos ausgeschöpft werden müssen. Eine Tendenz hin zur Sparsamkeit lässt sich daraus nicht ableiten."

    Der Autor kann seine Missstände belegen, mit seiner eigenen Kontroll-Instanz im Internet: "Charity Watch" heißt seine Organisation, die Spendensammlern auf die Finger schaut. Von diesen privaten und gesellschaftlichen Kontrollagenturen gibt es mittlerweile einige im Netz. Und da in Deutschland der Staat das private Spenden durch Steuerentlastung für den Spender noch stützt und prämiert, können solche Agenturen sehr hilfreich sein für Spendenwillige: Einerseits um sicherzustellen, dass mit ihren Geldern auch sinnvoll umgegangen wird, andererseits, um das unübersichtliche Feld an Spendensammlern zu überschauen.

    Denn mit den staatlichen Subventionen an Nicht-Regierungsorganisationen aus dem Ministerium für Entwicklungshilfe und dem Auswärtigen Amt sind eine Vielzahl von Hilfsorganisationen entstanden, deren integre Arbeit Fachfremde kaum noch einschätzen können. Stefan Loipfingers Buch bietet da zusätzliche Hilfestellung, um die Hilfsorganisation des Vertrauens zu finden. Ein zentrales Motiv seines Buches sei es daher, so Stefan Loipfinger:

    "Durch eine umfassende Dokumentation von Einzelfällen ein Problembewusstsein zu schaffen und damit eine Diskussion anzustoßen. Der Titel 'Die Spendenmafia' soll nicht ausdrücken, dass alle Spendensammler zum Kreise der Mafiosi zählen. (...)Wünschenswert wäre eine breite gesellschaftliche Diskussion, offen und konstruktiv über Lösungen für dieses im Milliardenbereich rangierende Problem zu debattieren, die seriöse Organisationen stärken und die Effizienz von Spenden für die bedürftigen Zielgruppen erhöhen. So könnte ein Großteil des Spendenmissbrauchs verhindert werden."

    Das Haupterfordernis für das Vertrauen des Spenders ist und bleibt allerdings das Bemühen einer Organisation, so wenig wie möglich eigene Bürokratie, eigene angemietete Bürogebäude, eigene angemietete Fahrzeuge und Festangestellte zu haben und zu beschäftigen. Daran werden Spender sich auch in Zukunft in Deutschland ausrichten. Auf dem Weg dahin wird Loipfingers Buch wichtiger Wegweiser und Ratgeber sein.

    Stefan Loipfinger: "Die Spendenmafia. Schmutzige Geschäfte mit unserem Mitleid".
    Knaur Verlag, 271 Seiten, 8,99 Euro, ISBN 978-3-426-78498-3