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Wehrhafte Weide

Botanik.- Pflanzen sind bei Weitem nicht die wehrlosen Wesen, für die wir Menschen sie oft halten. Ein besonderes Beispiel ist die schwedische Weide. Ihren Fressfeinden verdirbt sie den Appetit mit einer chemischen Keule.

Von Peggy Giertz |
    Zweihundert Kilometer jenseits des nördlichen Polarkreises.

    "Das heißt, es ist kalt."

    …und die Sommer sind kurz.

    Eine weite Tundra - Landschaft mit losen Birkenwäldern und Heide.

    "Und unterbrochen ist das Ganze eigentlich mehr oder weniger von Mooren."

    So beschreibt Caroline Stolter von der Universität Hamburg ihr Forschungsgebiet in Nordschweden. In der kargen Landschaft müssen sich Lebewesen die knappen Ressourcen gut einteilen. Mit welchen Strategien sich eine Pflanze gegenüber dem rauen Klima und Pflanzenfressern behauptet, hat die Biologin an Weiden untersucht.

    Weiden sind die wichtigsten Nahrungspflanzen der schwedischen Elche. Dementsprechend häufig verlieren sie Rinde, Zweige und Blätter. Um solche Schäden zu vermeiden, lagern Weiden sogenannte sekundäre Pflanzenstoffe in ihr Gewebe ein: Für diese chemische Fraßabwehr sind das vor allem Phenole und Tanine. Je höher deren Konzentration, desto schlechter können die Elche das Pflanzenmaterial verdauen. Deshalb wählen die Wiederkäuer im Winter, wenn sie kaum etwas anderes zu Fressen finden, nur Weidenzweige mit einem geringen Gehalt an Fraßabwehrstoffen aus. Und zwar mittels Geruchs- und Geschmackstest.

    "Im Sommer sieht die Nahrungswahl anders aus. Da spielen Phenole gar keine Rolle. Es sieht so aus, als würde der Elch da nach großen Blättern selektieren, also nach einer großen Biomasse. Möglichst schnell, viel Fressen."

    Denn während des kurzen Sommers müssen sie die Reserven für den Winter anlegen. In dieser Zeit nehmen die Elche viele verschiedene Pflanzenarten zu sich, so dass die Konzentration der Abwehrstoffe der Weide in ihrem Verdauungstrakt verdünnt wird. Ein paar bittere Weidenblätter sind dann kein Problem.

    Aber wie reagiert eine Weide, wenn trotz der chemischen Abwehr Zweige und Blätter in einen Elchmagen wandern?

    "Wenn der Elch an einer Weide frisst, dann reagiert die Pflanze, indem sie versucht, das, was der Elch abgefressen hat, neu zu bilden."

    Und das möglichst schnell. Denn…

    "Da oben im Norden ist die Vegetationsperiode kürzer als drei Monate. Das heißt, die Pflanzen müssen Photosynthese betreiben, um überhaupt ihren Speicher aufzufüllen."

    Deshalb unterscheiden sich die nicht befressenen Zweige in ihrem Aussehen auch deutlich von den Ersatzschösslingen: Das sind lange Gerten mit großen Blättern. Wohingegen die alten Triebe kurz und verzweigt sind und nur kleine Blätter tragen. Die einfache Wuchsform und die große Blattfläche ermöglichen es der Weide sehr schnell, wieder auf großer Fläche Photosynthese zu betreiben.

    Caroline Stolter stellte darüber hinaus fest, dass sich die neuen Zweige neben der Wuchsform auch in ihrem Gehalt an Phenolen und Taninen von den alten unterscheiden. Die jungen Schösslinge enthalten kaum noch Fraßabwehrstoffe. Der Grund warum die Weide keine sekundären Pflanzenstoffe einlagert ist einfach:

    "Also die Pflanze braucht Kohlenstoff, um die überhaupt herstellen zu können. Das heißt, den Kohlenstoff, den sie in die sekundären Pflanzenstoffe steckt, den kann sie in keine anderen Sachen, also zum Beispiel ins Grundgerüst oder Baustoffe stecken. Sie kann dann eben keine Cellulose bilden. Es sind halt nur bestimmte Ressourcen verfügbar und die muss man sich halt aufteilen."

    Neben den Unterschieden in Aussehen und Phenolgehalt scheint es auch eine Aufgabenteilung zwischen den Trieben zu geben: Die Neuen dienen ausschließlich dem Aufbau von Energie und Reservestoffen. An den Spitzen der alten Zweige, bilden sich außerdem noch Blüten; Weidenkätzchen. Damit verlagert der Baum die energieaufwendige, sexuelle Fortpflanzung in seine gut geschützten Bereiche. Den Verlust der Kätzchen könnte die Weide im selben Jahr nämlich nicht mehr kompensieren.

    Am Ende des Sommers schließt sich der Kreis. Drei Monate hatten die Weiden Zeit ihre Blüten zu bilden und

    "ihre Nährstoffe einzulagern und in die Wurzeln zu packen. Und dann kommt der Elch, kurz bevor die Blätter fallen und frisst die großen Zweige mit den großen Blättern."

    Die kaum noch Fraßabwehrstoffe enthalten und somit ein sehr bekömmliches Winterfutter sind.