DLF: Kennzeichen dieser Aufsätze ist ja auch das völlige Fehlen einer systematischen Analyse, als hätte es 68 nicht gegeben, als hätte es die gesellschaftlichen Veränderungen nicht gegeben, wird Frauen wieder das alte Thema der Innerlichkeitsliteratur zum Beispiel zugeschrieben, was meiner Ansicht nach vor 30 Jahren nach 68 und mit diesem Trend zur neuen Innerlichkeit eben auch die Männer gesetzt haben.
Rutschky: Ich finde Herrn Buchs Ausführungen zu diesem Thema absolut unbefriedigend. Also wir haben immerhin mit einer Elfriede Jelinek eine sowohl avantgardistisch arbeitende und außerdem auch mit Themen von Gewalt und Aggressivität auch gegenüber der Sprache und Inhalten, Bilder, Metaphern, eine so hoch aggressive und gewalttätige Schriftstellerin, dass ich genau das überhaupt nicht verstehe. Wir haben auf der Bühne Theaterstücke von Sarah Kane beispielsweise, die erfolgreich gespielt werden, in denen das Blut nur so spritzt, hätte man vorher vielleicht gesagt. Also das stimmt auch jetzt rein sachlich nicht. Und diese anderen Ausführungen, ob wenn die Frauen die Macht übernehmen, die zweitklassige Literatur jetzt etwas zu sagen hat, das ist doch sehr subjektiv, ob man Marcel Proust so viel bedeutender findet als Virginia Woolf. Ich persönlich nicht.
DLF: Sie haben gesagt, diese Feuilleton-Schaffenden und Autoren rufen das Matriarchat aus. Abgesehen vom Sommerloch, was ist Ihrer Meinung nach das Motiv von Männern wie Schirrmacher oder Buch, diese Zeitenwende in Sachen Männermacht einzuläuten? Psychologisch gesprochen kann das ja auch eine ganz perfide Form der Selbsterhöhung darstellen.
Rutschky: Männer konkurrieren ungern mit Frauen, und das wird sich auf Dauer natürlich nicht vermeiden lassen, das ist meine Idee. Man muss sich einfach klarmachen, wenn man mal historisch denkt - das sollte doch in der Feuilleton-Redaktion der FAZ gepflegt werden -, seit 200 Jahren wird von Gleichberechtigung gesprochen, seit 100 oder 50 Jahren haben wir sie ansatzweise, aber die Männer haben diese ganze Geschichte solange gefördert, und auch Herr Schirrmacher wirft sich ja im Grunde als eine Art heroischer Befürworter dieser ganzen Entwicklung aus, aber faktisch, verfallen sie alle in diese Oswald Spenglerschen Argumentation, in dem Moment, wo die Feminisierung der Gesellschaft eintritt, dann geht es mit uns irgendwie bergab und die einen werden sich in die heroische Pose dessen, der von der Weltgeschichte abtritt - das ist dann Herr Schirrmachers Wahl, obwohl er jetzt mit der Harry-Potter-Analyse wieder eine kleine Kurve nach der anderen Seite gemacht hat. Herr Buch sieht eben die Wellness-Gesellschaft und die Wellness-Literatur heraufziehen, nur weil ein paar Frauen Erfolg im Fernsehen oder in der Literatur haben.
DLF: Würden Sie denn eine Lanze für die Feminisierung der Kultur brechen?
Rutschky: Ich wollte damit eigentlich sagen, dass das Argument der Feminisierung schon ein politisches und reaktionäres Argument ist, das man schon zurückweisen muss. Das bedeutet ja im Grunde eine Diskreditierung der Gleichberechtigung, der Möglichkeit von Frauen, in einem Beruf, in der Öffentlichkeit in Erscheinung zu treten, als Autorinnen mit dem, was sie nun einmal zu sagen haben. Und wenn ich das Feminisierung nenne, warum reden wir dann nicht von Maskulinisierung oder vom Patriarchat, was doch in dieser Hinsicht immer noch existiert?
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