Archiv


Weibliche Keimzellen aus der Retorte

Medizin. – In ihrer stürmischen Anfangsphase produzierte die Stammzellforschung nahezu täglich neue Schlagzeilen. So gelang es Wissenschaftlern relativ früh, beispielsweise pulsierendes Herzmuskelgewebe, Nervengeflechte oder Insulin produzierende Inselzellen gezielt herzustellen. So erscheint es auf den ersten Blick wenig beeindruckend, wenn jetzt die Züchtung eines weiteren Gewebetyps vermeldet wird. Doch die in der aktuellen Ausgabe des Fachblattes Science publizierte Arbeit dürfte dennoch auf großes Interesse stoßen und überdies die Debatte zur Ethik in der Stammzellforschung neu entfachen. Denn Forscher der Universität of Pennsylvania berichten in dem Magazin von der gelungenen Umwandlung embryonaler Mäuse-Stammzellen in Eizellen.

    Von Volkart Wildermuth

    Embryonale Stammzellen können viel, aber eben nicht alles. So lautete die Lehrmeinung bis zur letzten Ausgabe der Zeitschrift Science. Insbesondere sollte es unmöglich sein, im Reagenzglas Eizellen zu erzeugen. Das ist eine wichtige Einschränkung, denn die Eizelle ist sozusagen das Tor zum Organismus. Ist es verschlossen, dann lassen sich aus embryonalen Stammzellen zwar Reparaturgewebe aller Art gewinnen, aber keine kompletten Embryonen, die zu einem Lebewesen heranwachsen können. Eine solche Perspektive wäre ethisch ausgesprochen beunruhigend. Deshalb war es so angenehm, dass sich Eizellen in einem komplexen Wechselspiel ganz unterschiedlicher Gewebe bilden.

    Man hat sich bislang vorgestellt, dass man dazu einen ausgesprochen komplizierten Wachstumfaktor-Cocktail haben müsste. Viele Kollegen haben gemeint, dass man das besser sein lässt.

    Dr. Hans Schöler, ein deutscher Forscher, der seit vier Jahren an der Universität von Pennsylvania arbeitet, ließ sich von der herrschenden Lehrmeinung nicht bremsen. Seiner Arbeitsgruppe ist es mit einem genetischen Trick gelungen, alle künftigen Eizellen in der Petrischale strahlend grün aufleuchten zu lassen. Nach einigem experimentellen Hin und Her stellte sich heraus, das es ganz einfach ist, Eizellen künstlich herzustellen. Es reicht, die embryonalen Stammzellen ganz ohne Wachstumsfaktor dicht an dicht wachsen zu lassen. Die grüne Farbe allein hätte andere Forscher aber kaum davon überzeugt, dass es sich hier um echte Eizellen handelt.

    Die Art und Weise, wie wir das Potenzial dieser Eizellen untersucht haben, war, sie durch Jungfernzeugung sozusagen anzuregen und zur Spaltung zu bringen. So können daraus Blastozysten ähnliche Strukturen erhalten werden. Aber wir werden, um die Qualität dieser Eizellen zu belegen, diese auch noch befruchten.

    Blastozysten ähnliche Strukturen, der Ausdruck bezeichnet ein frühes Entwicklungsstadium, in dem sich embryonale Stammzellen gewinnen lassen. Und das ist entscheidend, zum Beispiel in der Debatte um das therapeutische Klonen. Diese Technik verspricht ja, für jeden Kranken das passende Reparaturgewebe aus den eigenen Zellen heranzuzüchten. Dieses schöne Konzept hat einen Haken: es benötigt große Mengen von menschlichen Eizellen. Die müssten von Frauen gespendet werden, die bereit sind, sich einer Hormonbehandlung und einer Operation zu unterziehen. Das alles aber könnte überflüssig sein, wenn sich das Protokoll zu Züchtung von Eizellen von der Maus auf den Menschen übertragen lässt.

    In dem Fall würde es ausreichen, wenn sie eine der Stammzelllinien, die hier im Land von Präsident Bush genehmigt worden sind, einsetzen würden und diese Kultureier herzustellen, sie zu verwenden und um sie mit unserer eigenen Erbsubstanz zu verbinden. So konnten dann unsere eigenen embryonalen Stammzellen abgeleitet werden, ohne dass das Frauen Oozyten spenden müssten.

    Damit wäre der Weg zum therapeutischen Klonen - was das praktische Vorgehen betrifft - weiter geebnet. Die ethischen Probleme bleiben aber natürlich bestehen. Sie weiten sich sogar aus. In dem neuen Science Artikel werden die embryonalen Stammzellen nicht mehr nur als pluripotent, als vielseitig, sonder als totipotent, quasi als Alleskönner bezeichnet. Nach dem Embryonen-Schutz-Gesetz sind totipotente Zellen aber Embryonen rechtlich gleichgestellt. Hans Schöler allerdings verwendet den Begriff Totipotenz anders als die Juristen. Er glaubt zwar, dass sich embryonale Stammzelle in wirklich alle anderen Zelltypen verwandeln lassen. Gleichwohl bezweifelt er, dass sich aus ihnen im Mutterleib ein lebensfähigen Organismus weiterentwickeln könnte.

    Was aber noch sehr dagegen spricht, ist, dass dieses Material noch weiter entfernt ist vom Organismus. Es ist unsere Hoffnung, dass wir zwar Zelllinien ableiten können, die embryonalen Stammzelllinien entsprechen, dass es aber damit noch schwieriger sein wird als mit natürlichen Oozyten, daraus Organismen zu kreieren.

    Damit wäre ein therapeutisches Klonen denkbar, das Kopieren von Menschen, das reproduktive Klonen aber unmöglich. Allerdings ist Hans Schölers eigene Arbeit das beste Beispiel dafür, wir kurzlebig wissenschaftliche Dogmen auf diesem Gebiet sind.