Nach dem "Deutschen Herbst" vor demnächst 30 Jahren also galt (und gilt für viele heute immer noch) der Umgang mit den Personen und Persönlichkeiten dieser zentralen politischen Herausforderung westdeutschen Wohlstandsbewusstseins als Tabu. Und selbst auf der Bühne traute sich nur der ausgewiesene Poltergeist Hans Kresnik die Begegnung mit dem unerwünschten Mythos zu – in der womöglich aufregendsten Produktion, die Kresniks choreografisches Theater je erarbeitet hat. Auch das aber ist schon wieder ziemlich lange her. Die Kids von hier und heute aber hören den Namen dieser einen besonderen Frau, Ulrike Meinhof, längst wieder wie eine geheime, gefährliche Botschaft. Als wäre von so etwas wie Che Guevara die Rede, der auf T-Shirts und Plakaten lebendiger ist als je zuvor - und das nicht nur in Südamerika.
Elfriede Jelinek sucht Nähe auf dem Umweg über die literarische Parallele zu Schillers Königinnen-Drama: Ulrike Maria Meinhof ist Maria Stuart, und Gudrun Ensslin ist die gewaltige, gewalttätigere Königin Elisabeth im Kampf um die Nähe zu Andreas Baader, dem Mann, der diese Königinnen benutzt und verachtet zugleich. Nicolas Stemann, wieder Jelineks Uraufführungsregisseur, will und erreicht aber mehr, viel mehr: Selber Mitte 30 und wohl noch einsortierbar unter "jung" nutzt er seinerseits Jelinek, um das Verhältnis der eigenen Erben- und Enkel-Generation zum toten Tabu zu erkunden. Und nichts ist ja in diesem Zusammenhang politisch wichtiger als eben das!
Der Abend sprudelt nur so über vor intelligenten Kommentaren – hier buchstabieren Jungs von heute, Textbuch in der Hand, die eigene Sehnsucht nach "Aktion"; nach "action" jenseits von allem politisch korrekten, oder auch inkorrekten Gelaber. "Was muss passieren, damit was passiert?", formulieren sie immer wieder, zum Schluss auch als Rock-Song – der Abend nimmt schnell und konzentriert den einen verführsamen Gedanken jener eben nicht vergangenen Zeit ins Visier: Gibt es Tugend und Gewissen auf einmal, Macht und Moral? Lässt es sich leben ohne den ewigen und elenden, heute immer elender werdenden Kompromiss? Ist es möglich, dieser im Weltmaßstab schuldigen Gesellschaftsform aktiv den Rücken zu kehren, nicht Schwein zu bleiben als Mitmacher, sondern Mensch zu werden – also für etwas zu kämpfen, was nach dieser neuerdings globalen Gesellschaft kommt? Um nichts zerbrechen sich junge Leute heute mehr die Köpfe. Und wenn sich kämpfen lässt, dann wie?
Stemann nimmt Jelineks Texte assoziativ, montiert und mixt sie, wendet sie auch mal gegen sich selbst – und ergreift so immerzu distanzschaffende Maßnahmen. Da sieht erst alles wie ein Film aus: "Der Untergang, zweiter Teil", produziert von Bernd Eichinger und Stefan Aust. Der heutige "Spiegel"-Chef schrieb ja mal ein schwer umstrittenes RAF-Abrechnungsbuch. Dann verheddern sich die Jungakteure mit dem Textbuch in der Hand in schriller Travestie: Wer darf hier die Mutter spielen? Zwei Schauspielerinnen mit Perücken im Meinhof- und Ensslin-Outfit rezitieren sehr selbstironisch und aus riesigen Stoff-Vaginen heraus Dialoge der Top-Feministinnen Jelinek und Marlene Streeruwitz. Sehr komisch! Dann aber kontrastieren sie mit zwei alten Frauen, die Respekt einfordern vor der eigenen Geschichte - als wären Ensslin und Meinhof noch am Leben. Ein sehr alter Baader tritt hinzu - und wird uns später noch einmal als bitterböse-sarkastischer Engel der Geschichte begegnen. Die Jungs, immer noch auf der Suche nach dem, was heute Widerstand sein könnte, entfesseln ein Hippie-Happening und sudeln nackt mit Farbe und Wasser herum; nicht ohne zuvor Schutzfolien an die ersten Reihen zu verteilen. Dann fliegen Wasserbomben auf Pappkameraden mit Schröder-Konterfei.
Dann der Endkampf: Meinhof gegen Ensslin. Die schwächere, die Intellektuelle, hängt als erste am Fensterkreuz – und die alte Wiedergängerin spricht als ihr Double wie aus Erinnerung.
Folgt: das Film-Finale, großes Gefühl. Und noch einmal, wie zuvor schon so oft an diesem Abend, der scharfe Bruch – jetzt psalmodiert jemand im Jelinek-Outfit, also mit Zöpfen, die Litanei vom letzten Schlaf der Dichterin im Terror-Traum. Und die immer noch nackten Jungs rocken den Song vom Hass, der nicht stirbt, im Gegenteil, immer wieder neu und größer wächst. Noch einmal: Was muss passieren, damit etwas passiert?
Ein starkes Stück ist das, und es ist ein noch stärkerer Abend, aufregend und berührend mit diesem Hamburger Ensemble um die Doppel-Frauen-Paare Elisabeth Schwarz und Katharina Matz aus der höheren sowie Susanne Wolff und Judith Rosmair aus der niederen Altersklasse. Mehr noch: Vielleicht ist diese "Ulrike Maria Stuart" sogar das stärkste, was die noch junge Theatersaison bisher so hervor gebracht hat.
Elfriede Jelinek sucht Nähe auf dem Umweg über die literarische Parallele zu Schillers Königinnen-Drama: Ulrike Maria Meinhof ist Maria Stuart, und Gudrun Ensslin ist die gewaltige, gewalttätigere Königin Elisabeth im Kampf um die Nähe zu Andreas Baader, dem Mann, der diese Königinnen benutzt und verachtet zugleich. Nicolas Stemann, wieder Jelineks Uraufführungsregisseur, will und erreicht aber mehr, viel mehr: Selber Mitte 30 und wohl noch einsortierbar unter "jung" nutzt er seinerseits Jelinek, um das Verhältnis der eigenen Erben- und Enkel-Generation zum toten Tabu zu erkunden. Und nichts ist ja in diesem Zusammenhang politisch wichtiger als eben das!
Der Abend sprudelt nur so über vor intelligenten Kommentaren – hier buchstabieren Jungs von heute, Textbuch in der Hand, die eigene Sehnsucht nach "Aktion"; nach "action" jenseits von allem politisch korrekten, oder auch inkorrekten Gelaber. "Was muss passieren, damit was passiert?", formulieren sie immer wieder, zum Schluss auch als Rock-Song – der Abend nimmt schnell und konzentriert den einen verführsamen Gedanken jener eben nicht vergangenen Zeit ins Visier: Gibt es Tugend und Gewissen auf einmal, Macht und Moral? Lässt es sich leben ohne den ewigen und elenden, heute immer elender werdenden Kompromiss? Ist es möglich, dieser im Weltmaßstab schuldigen Gesellschaftsform aktiv den Rücken zu kehren, nicht Schwein zu bleiben als Mitmacher, sondern Mensch zu werden – also für etwas zu kämpfen, was nach dieser neuerdings globalen Gesellschaft kommt? Um nichts zerbrechen sich junge Leute heute mehr die Köpfe. Und wenn sich kämpfen lässt, dann wie?
Stemann nimmt Jelineks Texte assoziativ, montiert und mixt sie, wendet sie auch mal gegen sich selbst – und ergreift so immerzu distanzschaffende Maßnahmen. Da sieht erst alles wie ein Film aus: "Der Untergang, zweiter Teil", produziert von Bernd Eichinger und Stefan Aust. Der heutige "Spiegel"-Chef schrieb ja mal ein schwer umstrittenes RAF-Abrechnungsbuch. Dann verheddern sich die Jungakteure mit dem Textbuch in der Hand in schriller Travestie: Wer darf hier die Mutter spielen? Zwei Schauspielerinnen mit Perücken im Meinhof- und Ensslin-Outfit rezitieren sehr selbstironisch und aus riesigen Stoff-Vaginen heraus Dialoge der Top-Feministinnen Jelinek und Marlene Streeruwitz. Sehr komisch! Dann aber kontrastieren sie mit zwei alten Frauen, die Respekt einfordern vor der eigenen Geschichte - als wären Ensslin und Meinhof noch am Leben. Ein sehr alter Baader tritt hinzu - und wird uns später noch einmal als bitterböse-sarkastischer Engel der Geschichte begegnen. Die Jungs, immer noch auf der Suche nach dem, was heute Widerstand sein könnte, entfesseln ein Hippie-Happening und sudeln nackt mit Farbe und Wasser herum; nicht ohne zuvor Schutzfolien an die ersten Reihen zu verteilen. Dann fliegen Wasserbomben auf Pappkameraden mit Schröder-Konterfei.
Dann der Endkampf: Meinhof gegen Ensslin. Die schwächere, die Intellektuelle, hängt als erste am Fensterkreuz – und die alte Wiedergängerin spricht als ihr Double wie aus Erinnerung.
Folgt: das Film-Finale, großes Gefühl. Und noch einmal, wie zuvor schon so oft an diesem Abend, der scharfe Bruch – jetzt psalmodiert jemand im Jelinek-Outfit, also mit Zöpfen, die Litanei vom letzten Schlaf der Dichterin im Terror-Traum. Und die immer noch nackten Jungs rocken den Song vom Hass, der nicht stirbt, im Gegenteil, immer wieder neu und größer wächst. Noch einmal: Was muss passieren, damit etwas passiert?
Ein starkes Stück ist das, und es ist ein noch stärkerer Abend, aufregend und berührend mit diesem Hamburger Ensemble um die Doppel-Frauen-Paare Elisabeth Schwarz und Katharina Matz aus der höheren sowie Susanne Wolff und Judith Rosmair aus der niederen Altersklasse. Mehr noch: Vielleicht ist diese "Ulrike Maria Stuart" sogar das stärkste, was die noch junge Theatersaison bisher so hervor gebracht hat.