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Weibliche Machtentfaltung aus dem Verborgenen

An der Spitze der deutschen Politik steht eine Frau - und auch in den USA ist dies nach den nächsten Wahlen theoretisch möglich. Es ist jedoch nichts Neues, wenn die Geschicke eines Landes von einer Frau bestimmt werden. Dies zeigt das Buch "Königinnen und Mätressen. Die Macht der Frauen von Katharina de’ Medici bis Marie Antoinette" der Italienerin Benedetta Craveri. Die Autorin widmet sich dem Einfluss der königlichen Gefährtinnen zwischen dem 16. Jahrhundert und der Französischen Revolution.

Von Maike Albath | 06.04.2008
    Auf einmal standen sie wieder vollständig im Schatten. Während in England oder Österreich Königinnen an die Spitze ihrer Länder rücken konnten, gerieten die französischen Frauen im 16. Jahrhundert durch die Verfügungen des Staatstheoretikers Jean Bodin an den Rand des gesellschaftlichen Geschehens. Zuvor hatten Königinnen ihre Ehemänner in Abwesenheit immerhin vertreten dürfen, auch Frauen des Bürgertums besaßen Handlungsfreiheit und gingen bestimmten Gewerben nach.

    Damit war es jetzt vorbei. Der Jurist Bodin knüpfte an eine Tradition an, die tief in der abendländischen Geschichte verwurzelt war. Das weibliche Geschlecht galt als unvernünftig, schwach, moralisch unzuverlässig und rätselhaft. Obwohl die Würde der Frauen geschützt werden sollte, waren sie keine autonomen Rechtspersonen. Darüber hinaus gab es einen umfangreichen Tugendkatalog: Gehorsam, Bescheidenheit, Keuschheit und Sparsamkeit zählten dazu. Machtentfaltung konnte also nur aus dem Verborgenen heraus entstehen und jederzeit wieder vergehen. Die ungesicherte Stellung der französischen Frauen ist der Ausgangspunkt für Benedetta Craveris umfangreiche Studie Königinnen und Mätressen über den Einfluss der königlichen Gefährtinnen zwischen dem 16. Jahrhundert und der französischen Revolution. Den 21köpfigen Reigen mehr oder minder mächtiger Damen eröffnet eine Italienerin: Katharina de' Medici, vierzehnjähriger Spross der schwerreichen Florentiner Bankiersdynastie, Nichte des Papstes Clemens VII, durch ihre Kindheit zwischen Volksaufständen und Geiselhaft politische Verwerfungen aller Art gewöhnt und reichlich abgebrüht. Die Verbindung mit Heinrich II sollte Frankreichs territorialen Ansprüche auf die Herzogtümer der Halbinsel stärken und den Einfluss der Habsburger schmälern.

    Am 12. Oktober 1533 hielt Katharina im Gefolge des Papstes und umrahmt von einer außergewöhnlichen Choreographie, die den Franzosen völlig unbekannt war, ihren Einzug in Marseille. Angeführt von einem einzelnen weißen Pferd, welches das Allerheiligste trug, folgte der Zug mit Papst Clemens VII, der auf seiner sedes gestatoria saß, und dahinter rotgekleidete "Kardinäle" auf dem Rücken weißer Mauleselinnen. Dann erschien Katharina, umringt von einer Schar Hofdamen und Edelleuten zu Pferde. Sechzehn Tage später wurde mit großer Pracht Hochzeit gefeiert, und am Abend, nach einem festlichen Bankett, das der Papst an den nunmehr vereinten Höfen ausgerichteten hatte, wurden die jungen Brautleute von Königin Eleonore und ihren Hofdamen in das Ehegemach geführt. Heinrich und Katharina waren gleich alt und wussten nichts voneinander, aber sie wussten, was man von ihnen erwartete und dass sie die Prüfung in aller Öffentlichkeit bestehen mussten. Da er ihre Umarmungen durch die halbgeschlossenen Vorhänge des Hochzeitsbettes beobachtet hatte, konnte Franz I feststellen, dass die Brautleute sich beide "kühn und feurig zeigten", und am nächsten Morgen suchte Clemens sie in aller Frühe auf, um das Bett zu inspizieren.

    Und es hatte geklappt, der Beweis für den Vollzug der Ehe war mit den Spuren auf den Bettlaken erbracht, was die schwierigen Abstimmungen im Vorfeld der Verheiratung vollendete und eine Rückkehr Katharinas nach Italien ausschloss. Aber mit den Prüfungen war es dennoch nicht vorbei. Erst die Zeugung eines männlichen Nachkommens würde Katharinas Position am französischen Hofe festigen können. Ausgerechnet darauf musste die willensstarke, intelligente und liebenswürdige Florentinerin viele Jahre lang warten: Katharina wurde nicht schwanger. Trotz ihrer innigen Verbindung zu ihrem kunstsinnigen Schwiegervater Franz, ihrer gelassenen Anpassung an die französischen Gepflogenheiten und ihres diplomatischen Geschicks im Umgang mit den weiblichen Mitgliedern der Familie machte ihr die lange Phase der Unfruchtbarkeit das Leben schwer.

    Zumal ihr Gatte eigentlich eine andere Frau liebte: Heinrich II hatte schon als Junge sein Herz an die blendende Diane de Poitier verloren, mittlerweile Witwe des Großseneschalls - also des Stellvertreters des Königs - der Normandie. Diane de Poitier, mit sechsunddreißig Jahren zeitgenössischen Gemälden zufolge immer noch von ehrfurchtgebietender Schönheit, erhörte das Werben des jungen Königs schließlich und wurde seine Geliebte. Klug und spannungsreich weiß Benedetta Craveri das Schicksal der königlichen Konkubine zu schildern. Auch auf die Rolle der katholischen Kirche, Schlupflöcher der moralischen Vorstellungen beim Umgang mit königlicher Untreue und die Haltung der Untertanen zu den Eskapaden des Souveräns wird Bezug genommen, aber die Detailfülle kommt leichtfüßig und elegant daher.

    Diane de Poitier war, so erfahren wir, eine ambitionierte, kühl kalkulierende und vorausblickende Frau: Mit Rückgriff auf die antike Mythologie stilisierte sie sich zuerst als Artemisia und später als Jagdgöttin Diana und machte sich durch die Inszenierung ihrer Liebschaft, die den Anstrich eines gebildeten Spiels mit Allegorien erhielt und außerdem symbolische Elemente der neuplatonischen Lehre aufnahm, unangreifbar. Schließlich barg die Hingabe an den deutlich jüngeren Regenten auch große Risiken. Was sollte passieren, wenn sie die Gunst des Souveräns wieder verlöre, zumal die Zeit gegen sie arbeiten würde? Benedetta Craveri berichtet von ungeheuer fortschrittlichen Methoden der Schönheitspflege: Diane de Poitier bemühte sich mit kalten Bädern, Turnübungen, einer martialischen Diät und dem völligen Verzicht auf die damals bleihaltigen Puder dem natürlichen Gang der Dinge Einhalt zu gebieten. Ihr gelingt das Kunststück, den offiziellen Status einer, wie Benedetta Craveri es nennt, "Favoritin" zu erlangen und sich unentbehrlich zu machen. Sogar die Dichter sind verzückt.

    Wenn Ronsard Diane de Poitier mit dem Mond vergleicht, der das Licht der abwesenden Sonne einfängt und zurückwirft, weist er deutlich auf die wesentlichen Funktionen der Vermittlung und Fürsprache hin, die die Geliebte des Königs übernommen hatte. In der prosaischen Sprache der Politik bedeutete dies, dass die Großseneschallin de facto eine Funktion bekleidete, die jener eines königlichen Ratgebers und Regierenden Ministers sehr nahe kam. 1547 berichtete ein Gesandter des Herzogs von Ferrara seinem Fürsten, dass Heinrich mindestens ein Drittel des Tages in Gesellschaft seiner Favoritin verbringe und sie bei allen wichtigen Entscheidungen um Rat frage. Eingehüllt in die Legende, die sie so geschickt um ihre Person gewoben hatte, und in den Rang einer Herzogin von Valentinois erhoben, übte Diane eine außerordentlich große Macht auf den Monarchen, die königliche Familie, den Hof und die französische Politik aus. Eindringlich beschwor sie ihren Geliebten, seinen ehelichen Pflichten nachzukommen, und als Katharina nach neun Jahren Unfruchtbarkeit in einer raschen Folge von Schwangerschaften zehn Kinder gebar (von denen nur sieben überlebten), widmete sie sich persönlich deren Erziehung. Stolz schmückte sie sich mit den Kronjuwelen, saß bei allen offiziellen Zeremonien vor und hatte Mitspracherecht bei allen Einsetzungen in wichtige Ämter.

    Diane de Poitier wird zum Referenzpunkt und Modell aller folgenden Mätressen: Als erste betrieb sie so etwas wie Personenkult und schuf sich durch die Selbststilisierung einen Schutzschild. Das Muster, das Benedetta Craveri über die Jahrhunderte hinweg von den Herrschaftsverhältnissen zeichnet, ist immer wieder dasselbe: Der Königin gebührt der offizielle Platz an der Seite des Königs, sie ist für die Nachkommenschaft verantwortlich, spielt aber für das Gefühlsleben ihres Gatten oft gar keine Rolle. Sie ist kaum mehr als ein Appendix des Souveräns und vertritt selten eigene Positionen. Hingegen gewinnen die Konkubinen häufiger politischen Einfluss.

    Die einzige Chance der Königin ist der Tod des Königs, denn über die unmündigen Nachkommen können sie indirekt Macht entfalten. Hier erweist sich Katharina de' Medici als besonders geschickt. Mit einem gesunden Machtinstinkt und einem dominanten Wesen ausgestattet, behält sie indirekt knapp dreißig Jahre lang die Fäden in der Hand. Benedetta Craveri geht chronologisch vor: Nach Katharina nimmt sie deren Kinder und Schwiegerkinder in den Blick, zu denen Franz II, Karl IX, Heinrich III und Heinrich IV zählen. Die Bartholomäusnacht, die blutigen Religionskriege und die innere Zerrissenheit Frankreichs werden ebenso gestreift wie die schwierige außenpolitische Lage.

    Obwohl die historischen Zusammenhänge oft nur knapp referiert und gebündelt behandelt werden, wird das Frankreich des späten 16. Jahrhunderts durchaus anschaulich. Der Eindruck des Lebendigen ergibt sich aus Benedetta Craveris Verfahrensweise: wie an einer Perlenschnur reiht sie die Porträts der Königinnen und Mätressen aneinander, schildert Aussehen, Charakter und Eigenarten der Frauen, untermalt durch Zitate von Zeitgenossen.

    Die 65jährige Wissenschaftlerin ist die Enkelin des neapolitanischen Philosophen Benedetto Croce, einer Schlüsselgestalt des 20. Jahrhunderts, der wie kaum ein anderer die italienische Geistesgeschichte beeinflusst hat. Der gewichtige Großvater scheint Craveri intellektuell nicht befangen gemacht zu haben, im Gegenteil. Sie ist nicht nur eine der anerkanntesten Kennerinnen der Materie sondern auch eine gute Erzählerin. Die Historikerin schreibt ohne jede fachliche Arroganz für ein geschichtsinteressiertes Publikum, enttäuscht aber auch einen eingeweihteren Leser nicht.

    Durch ihr Augenmerk auf die weiblichen Vertreterinnen der königlichen Familien wird die große Bedeutung des Privaten fassbar. Erschütternd ist vor allem die - auch für heutige Verhältnisse hilfreiche - Erkenntnis, dass amouröse Verwicklungen mitunter größeren Einfluss auf die Geschehnisse haben als lang eingefädelte, abgewogene politische Strategien. So gewinnt der antiprotestantische Standpunkt Diane de Poitiers mehr Gewicht für die Haltung des Königs als die Überzeugungen der Königinmutter. Einige Jahre später soll Katharinas Schwiegersohn Heinrich IV aus Gründen der Staatsräson mit Maria de' Medici verheiratet werden, was 1609 auch geschieht, aber nur kurze Zeit später gibt sich der 56jährige Souverän der kopflosen Leidenschaft zu der erst fünfzehnjährigen Charlotte de Montmorency hin. Er sucht einen Scheinehemann für das Mädchen und verheiratet sie mit dem Prinzen von Condé, um sie anschließend zu sich zu nehmen. Aber der Ehemann macht ihm einen Strich durch die Rechnung und ergreift mit seiner Braut im Gepäck die Flucht.

    In den folgenden Monaten musste Frankreich eine neue, schier unglaubliche Farce miterleben, die sich freilich von Tag zu Tag mehr in eine Tragödie zu verwandeln drohte. Wie in einer unfreiwilligen Parodie auf die Helden der damals so beliebten Ritterromane unterhielt der alte König mit der jungen Charlotte eine geheime Korrespondenz im gezierten Stil der Astrée, des großen Schäferromans. Verkleidet als Bauer oder Jagdaufseher folgte er der Geliebten auf den einzelnen Etappen ihrer Flucht und geriet in Verzückung, wenn er sie im Nachtgewand am Fenster erblickte, während das Objekt seiner Begierde lachend ausrief: "Du meine Güte, wie verrückt er ist!" Als Condé begriff, dass Heinrich durchaus nicht die Absicht hatte, nachzugeben, bat er den spanischen König um Asyl und sucht Zuflucht in Brüssel. Nach einem gescheiterten Versuch, Charlotte zu entführen, scheute sich Heinrich nicht einmal, eine internationale Krise heraufzubeschwören, denn er drohte, die Niederlande zu besetzen.

    Auch das macht den Charme des Buches von Benedetta Craveri aus: Letztendlich sind es Liebesgeschichten, die sie erzählt. Die erotischen Verstrickungen böten Stoff für ganze Romanserien, und von kühlen Karrieristinnen, verspielten Träumerinnen bis zu pragmatischen Masochistinnen sind alle Arten von Frauen vertreten. Der offensichtlich unabänderliche Lauf der Dinge, wie ihn Benedetta Craveri bei jeder königlichen Verbindung skizziert, ist für romantische Naturen allerdings eher ernüchternd. Keine noch so große Leidenschaft eines Regenten, kein noch so feuriges Entbranntsein hält länger als einige Jahre an. Abenteuerlich ist vor allem der Auftakt einer außerehelichen Verbindung: hat sich der Souverän erst einmal für eine Dame entzündet, gibt es kein Hindernis mehr. So passierte es zum Beispiel bei Gabrielle d'Estrées, einer makellosen Blonden, deren Reizen Heinrich IV noch vor Charlotte verfiel. Die anziehende junge Frau war zwar in einen stattlichen königlichen Begleiter verliebt, aber dieser beging den Fehler, sich Heinrich gegenüber seiner schönen Verlobten zu preisen. Kaum hatte der gierige Souverän das Geschöpf in Augenschein genommen, wollte auch er es besitzen. Sich dem königlichen Begehren zu entziehen, war für Gabrielle unmöglich. Angesichts der ungeahnten Aufstiegsmöglichkeiten für ihre gesamte Familie befürworteten auch die Eltern die Liebschaft. Man fand einen Schein-Ehemann und überließ Gabrielle dem hartnäckigen Bewerber.

    Der spillerige, satyrhafte Souverän, überdies zwanzig Jahre älter als sie, war ihr zuerst zuwider. Doch nach einigen Monaten fand sie Gefallen an ihrer neuen Position, genoss die raffinierte Erotik und wurde ihrem Geliebten ehrlich zugetan. Während Frankreich am Rande des Bankrotts stand und von Kriegen gebeutelt war, überschüttete Heinrich seine Mätresse mit Juwelen, Kleidern, Palästen, Lehen und sagenhaften Geldsummen und versorgte sie mit einem Herzogtitel. Voller Stolz nutzte Gabrielle ihren Einfluss aus. Als sie dem Souverän einen Sohn gebar, wurde sogar ihre Ehe annulliert, und Heinrich erkannte das Kind zum Entsetzen des Hofes an. Seine tiefe Liebe entschädigte sie für die Schmähungen des Volkes und die Anfeindungen sämtlicher Minister. Aber wie bei jeder Konkubine handelte es sich um ein Glück auf Zeit. Den ausgemusterten Damen blieb in der Regel ein stilles Leben im Hintergrund, der Rückzug ins Kloster oder - was ebenfalls mehrfach passierte - ein erbärmlicher Tod durch Gift, sollten sie der Staatsräson allzu gefährlich werden oder schlichtweg stören. Bei Gabrielle bestand die Befürchtung, dass der Souverän sie tatsächlich heiraten könnte, was ein offener Verstoß gegen Moral und Gesetze gewesen wäre und den inneren Frieden des Landes untergraben hätte. Der grausame Tod bei einer Entbindung, der Gabrielle kurz nach Heinrichs öffentlichem Eheversprechen ereilte, ist vermutlich kein Zufall.

    Bei Zuspitzungen wie diesen wird die Historikerin Benedetta Craveri zur Krimiautorin: beinahe genussvoll schildert sie das karmesinrote Hochzeitskleid Gabrielles, ihre ahnungsvollen Panikattacken und eine erlesene Mahlzeit, bei der der unerwünschten Braut ein verhängnisvolles Zitronatgetränk gereicht wurde. Gerade weil Benedetta Craveri ihren Leser für die Nöte der Mätressen zu begeistern weiß, wäre man mitunter gern länger in deren Gesellschaft verweilt. Das Tempo, mit dem sie die Gespielinnen der Könige abhandelt, ist ziemlich rasant. Der intellektuelle Stechschritt lässt sich aus dem Ursprung der Studie erklären. Entstanden ist das Buch aus einer Serie von Porträts für die Tageszeitung La Repubblica, die entsprechend knapp und prägnant sein mussten. Liest man die vierhundertsiebzigseitige erotische Sittengeschichte in einem Schwung, dreht sich das amouröse Karussell manchmal allzu schnell, prasseln die Namen allzu atemlos auf den Leser nieder. Immerhin, langweilig wird es nie. Kaum haben wir uns versehen, sind wir schon beim Sonnenkönig angelangt. Die unzähligen Gefährtinnen Ludwig XIV nehmen naturgemäß den größten Raum ein. Mit der langweiligen Maria Theresia verheiratet, der Tochter des spanischen Königs Phillip IV, brauchte der König zur Zerstreuung ganze Heerscharen von Frauen. Die Schicksale der Geliebten sind immer auch exemplarische Geschichten von Aufstieg und Fall. Eine der einflussreichsten Mätressen des Jahrhunderts wurde Athénaïs de Montespan, die als Gesellschafterin von Ludwigs Gelieber Louise de Vallière in dessen Umfeld geriet.

    "Es gab niemanden, dessen Verstand glänzender, dessen Umgangsformen erlesener, dessen Ausdrucksweise origineller gewesen wäre", schrieb Saint-Simon. "Sie verfügte über Redekunst und Sprachgewandtheit, die ihr einen ganz besonderen, aber ungemein bezaubernden Stil verliehen". Mit Athénaïs hielt die mondäne Kultur triumphierend Einzug in die königlichen Gemächer. Niemand wusste die Trägheit und Monotonie der Tage am Hof so gut zu vertreiben wie die Marquise, denn sie verwandelte dieses Leben, wie jeden anderen Augenblick auch, in einen Anlass zum Spiel. Niemand konnte wie sie, ohne eine Spur von Affektiertheit, "die ernstesten Themen angenehm machen und die gewöhnlichsten verschönern". Immer gelang es ihr, die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, einerlei, ob sie sich, die Schönste der Schönen, bei den komplizierten Schrittfolgen der höfischen Ballette hervortat oder ob sie sich bemühte, die Konversation in den Gemächern der Königin zu beleben, wo sie mit ihren Erzählungen sogar Maria Theresia zum Lachen brachte. Und was allen so klar vor Augen stand, konnte dem König auf Dauer nicht verborgen bleiben.

    Zwölf Jahre sollte die Verbindung dauern, und es war die triumphalste Zeit Ludwigs XIV. Athénaïs besaß das Format, dem Hof Prunk und Glanz zu verleihen. Sie ließ das Mäzenatentum wieder aufleben, förderte Molière, Racine und La Fontaine, schuf großartige Paläste und richtete Themenfeste aus, deren Strahlkraft ganz Europa in den Bann schlug. Obwohl nicht minder triebhaft als sein Urgroßvater, konnte Ludwig XV nicht ganz dessen gesellschaftliches Charisma entfalten. Aber seine Mätressen sind bis heute der Inbegriff von Macht und Erotik: da wäre die bürgerliche, hoch gebildete Madame de Pompadour, die neunzehn Jahre an Ludwigs Seite wirkte, mit Voltaire befreundet war, für eine Blüte der Kultur sorgte und zur berühmtesten und einflussreichsten Geliebten aller Zeiten avancierte. Und da wäre ihre Nachfolgerin, die verrufene Madame du Barry, eine ehemalige Edelprostituierte. Marie Antoinette schließlich, die Frau Ludwig XVI, verkannte die Vorzeichen der Revolution und legte erst in der Bastille königliches Verhalten an den Tag. Mit einer ausführlichen Bibliographie, Anmerkungen und einem äußert nützlichen Stammbaum sorgfältig ediert und von Annette Kopetzky in ein elegantes und leicht dahin fließendes Deutsch übertragen, gelingt Benedetta Craveri mit Königinnen und Mätressen ein vielschichtiges Gesellschaftsporträt, das zahlreiche weniger bekannte Figuren der französischen Geschichte zu Tage fördert. Die Studie ist vergnüglich, lehrreich und erhellend zugleich. Ob die Geliebten der Könige tatsächlich zu beneiden sind? Sie sind Beispiele für die Wechselfälle der Macht und die Untiefen der Liebe. Auch für heutige Gefährtinnen mächtiger Männer eine nützliche Lektüre.


    Benedetta Craveri: Königinnen und Mätressen
    Die Macht der Frauen von Katharina de’ Medici bis Marie Antoinette. Aus dem Italienischen von Annette Kopetzki.
    Carl Hanser Verlag München 2008
    479 Seiten, 24, 90 Euro