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Weiche Schnitte, harte Themen?

"Gomorrha", der Film nach dem Bestseller von Robert Saviano, hat bei der 21. Verleihung der Europäischen Filmpreise richtig abgeräumt: Allein fünf Preise gingen an die Reise in das Reich der Camorra. Nach Ansicht von Filmkritiker Josef Schnelle wurde damit aber auch das italienische Kino insgesamt geehrt. Es habe in diesem Jahr bewiesen, dass es noch da sei und dass es politisch und ästhetisch herausragende Filme herstellen könne, so Schnelle.

Josef Schnelle im Gespräch mit Katja Lückert |
    Katja Lückert: Robert Saviano, der Autor des Buches "Gomorrha", nach dem der Siegerfilm gedreht worden war, durfte aus Sicherheitsgründen nicht an der Gala gestern teilnehmen, bei der Dänemarks Kronprinz Frederik und Prinzessin Mary anwesend waren. Die Filmverleihfirma stellt den Journalisten dennoch ein Interview mit Saviano zur Verfügung, in dem er über seine heutige Situation spricht.

    O-Ton Saviano: Ich habe die Hoffnung auf ein normales Leben aufgegeben. Ich habe noch mehr Security zu meinem Schutz bekommen, zwei gepanzerte Limousinen und fünf Bodyguards, die ständig auf mich aufpassen. Die Situation ist für mich schwieriger geworden, besonders weil ich jetzt immer als jemand gelte, der seine Heimat diffamiert hat.

    Lückert: So Roberto Saviano. Vor 20 Jahren wurde die Institution "Europäischer Filmpreis" aus der Taufe gehoben. Josef Schnelle, gestern Abend war die Verleihung in Kopenhagen. Wie muss man die Fünffach-Auszeichnung für "Gomorrha" werten? Wurde da auch das italienische Kino im Allgemeinen geehrt?

    Josef Schnelle: Ja, das kann man schon so sagen, weil einer der Preise, die ja auf den Film entfielen, war der Preis für den besten Hauptdarsteller. Und der bekam ihn für "Gomorrha" und einen anderen italienischen Film, der heißt "Il Divo" und ist die Geschichte von Andreotti, den er da spielt. Es war schon ein großer Sieg für das italienische Kino, das in diesem Jahr bewiesen hat, dass es noch da ist und dass es politisch und ästhetisch herausragende Filme noch herstellen kann. Da ist Matteo Garrone ganz vorne. Der ist so was wie eine kleine Ein-Mann-Fabrik im italienischen Kino, hat inzwischen schon zwei weitere Filme gedreht und produziert, von den wir auch noch hören werden. Dass das italienische Kino mal wieder im Blickpunkt stand, das ist eigentlich eine gute Nachricht.

    Lückert: Wurde da denn auch eine Weltanschauung prämiert, ein Kampf gegen die Mafia?

    Schnelle: Na, der Mut dieser ganzen Truppe von Leuten, sich gegen die Mafia zu stellen, ist schon mit belohnt worden. Die Zivilcourage sozusagen, die diesen Film kennzeichnet und auch den anderen Film "Il Divo", das ist ja auch ein Film, in dem die Mafia eine große Rolle spielt, das ist sicher ausgezeichnet worden. Es wird ja im Geheimen abgestimmt, und das ist ja keine Jury, die über ästhetische Qualitäten debattiert, sondern der Film gewinnt, der am meisten Wirbel gemacht hat, über den am meisten geredet worden ist in den letzten Monaten. Und das war natürlich eindeutig "Gomorrha".

    Lückert: Dann haben die deutschen Filme in diesem Jahr wohl nicht so viel Wirbel gemacht, entnehme ich dem?

    Schnelle: Na, die deutschen Filme, es war ja kein deutscher Film als bester Film nominiert, nur Andreas Dresen für "Wolke 9" als bester Regisseur. Wie kann einer der beste Regisseur sein, der nicht den besten Film gedreht hat, fragt man sich dann ein bisschen bei dieser Auswahl. Insofern waren die Chancen auch für diesen kleinen sympathischen Film aber eher gering. Und ansonsten waren ja nur noch deutsche Schauspieler nominiert. Die deutsche Präsenz in der Filmakademie ist schon sehr groß. Die meisten Mitglieder stammen ja aus Deutschland. Es gibt da keine Listen, aber man weiß das, dass die deutschen Filmschaffenden dieser Idee der Europäischen Filmakademie am aufgeschlossensten gegenüberstehen. Und das hat eben nicht immer Folgen. Deutschland oder die deutsche Filmen haben ja oft gewonnen diesen Preis, können sich wirklich nicht beklagen. Der Präsident ist Wim Wenders. Und dass dann noch mal andere Länder zum Zuge kommen, das ist doch eigentlich normal.

    Lückert: Die Preisverleihung fand in Dänemark statt und es war gestern Abend auch ein selten gesehener Gast zugegen, nämlich Lars von Trier.

    Schnelle: Ja, der kommt ja nie. Man kann ja immer nur Witze drüber machen. Aber Wim Wenders hat vorher gesagt, wenn der jetzt nicht kommt, und zwar zu dem Ehrenpreis für die Gründer der Dogma-Bewegung 1995, eine dänische Idee, das Autoren-Kino zu beleben, dann gehen wir einfach zu dem hin, der wohnt nämlich drei Blocks weiter. Er trat dann aber auf, machte aus seiner Versteckspielkunst dann noch einen Witz, indem er sich hinter den anderen eine Weile noch versteckt hat. Es war ein großes Gejubel. Dänemark hat sich da auch ein bisschen selbst gefeiert und das auch zu Recht, muss ich sagen. Die Dogma-Bewegung, das sind 160 Filme in diesen 13 Jahren so gewesen. Und die haben schon alles Mögliche angeschoben, waren nicht nur dänische Filme dabei. Aber die Dänen haben eine blühende Filmkultur. Dieses klitzekleine Land schafft jedes Jahr 30 Filme und die Hälfte davon sind interessant und kommen auch zu uns in die Kinos und auf die Filmfestivals. Da muss man mal sagen, Hut ab. Die haben nicht so viel Geld zur Verfügung wie Deutschland, aber es ist immer originell und interessant.

    Lückert: Wie muss man nach 20 Jahren auf das Phänomen "Europäischer Filmpreis" blicken? Hat es sein Ziel erreicht oder was war eigentlich noch mal das Ziel?

    Schnelle: Ja, das Ziel war, die europäische Film-Community über viele Ländergrenzen hinweg zusammenzubringen. Und das ist, abgesehen von dieser Veranstaltung, eigentlich nicht gelungen. Europa ist ein Riesengebiet mit vielen, vielen Kinos und vielen Kinematografien und es gibt ein bisschen Zusammenarbeit. Aber die hat eher nachgelassen als zugenommen. Es ist eher schwieriger geworden, Filme aus anderen europäischen Ländern dann auch in Deutschland zum Beispiel zu sehen, angemessen zu präsentieren. Ich weiß nicht, offenbar ist Europa ja doch so ein Flickenteppich. Trotzdem sind so Instrumente wie die Europäische Filmakademie, der Europäische Filmpreis notwendig, um wenigstens ein bisschen Austausch am Leben zu halten. Und so erfährt man, dass das italienische Kino groß da ist und das dänische auch und dann vielleicht auch wieder das deutsche.

    Lückert: Josef Schnelle war das über die Verleihung der Europäischen Filmpreise in Kopenhagen.