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Weichmacher in Kinderblut

Die Umweltschutzorganisation BUND hat strengere Gesetz zum Schutz von Kindern vor gesundheitsgefährdenden Chemikalien gefordert. Immer mehr Kinder litten an Geburtsdefekten, Hormonstörungen, Allergien und Verhaltensauffälligkeiten, die mit Chemikalien in Verbindung gebracht würden, beklagen die Umweltschützer.

Von Philip Banse | 05.10.2006
    Kinder sind nach dieser Studie des Bundes für Umwelt und Naturschutz pro Kilogramm Körpergewicht stärker mit Chemikalien belastet als Erwachsene. Gleichzeitig leiden immer mehr Kinder an Erkrankungen, die mit diesen Chemikalien in Verbindung gebracht werden. Dazu muss man sagen, dass der BUND keine Kinder hat untersuchen lassen, sondern Forschungsliteratur ausgewertet hat.

    Warum aber sind Kinder stärker belastet als Erwachsene? Schon über Nabelschnur und Muttermilch nehmen Föten und Säuglinge Schadstoffe auf, die in der Mutter gespeichert sind. Dann essen, trinken und atmen Kinder im Verhältnis zu ihrem Gewicht mehr als Erwachsene. Kinder stecken alles in den Mund, was ihnen in die Finger kommt, und gleichzeitig ist ihr Körper, ihr Immunsystem noch im Aufbau begriffen und daher sehr empfindlich. Auf diese Weise gelangen Gifte in die Kinder, die in Plastikgeschirr, Schnullern, Spielzeug, Kleidungsstücken, Möbeln oder Elektrogeräten enthalten sind. In Kinderblut wurden laut der BUND-Studie gefunden: Weichmacher, die beispielsweise in Regenkleidung verwendet werden, Flammschutzmittel aus Elektrogeräten sowie künstliche Duftstoffe. Immer mehr Kinder litten an Geburtsdefekten, Hormonstörungen, Allergien, Leukämien und Verhaltensauffälligkeiten, die mit den genannten Chemikalien "in Verbindung gebracht werden". Diese Formulierung zeigt: Oft ist schwer nachzuweisen, dass ein bestimmter Stoff eine bestimmte Krankheit tatsächlich verursacht, sagt Gerhard Timm, Geschäftsführer des BUND:

    "Wir kennen nicht die Wirkung aller Stoffe, aber von sehr vielen wissen wir es und von anderen gibt es starke Vermutungen. Und unsere Studie versucht auch im Detail, chemikalienbezogen darzulegen, was es für Erkenntnisse gibt. Und das ist erschreckend und schreit nach einer Gesetzgebung, die das reguliert."

    Der BUND verbindet mit der Kinderstudie die Forderung nach strengeren Gesetzen: Auf dem europäischen Markt sind heute etwa 100.000 Chemikalien. Nur vier Prozent dieser Stoffe wurden bisher auf ihre Wirkung untersucht, bei allen anderen lässt sich bisher nur vermuten, wie sie auf Umwelt, Menschen und vor allem Kinder wirken: Weichmacher im Babyfläschchen, Formaldehyd in der Bettwäsche, nicht abbaubare perfluorierte Tenside in der Bratpfanne. Die EU-Chemikalienverordnung Reach soll uns nun Klarheit geben über die Chemikalien, die uns umgeben. 30.000 Stoffe sollen demnach erstmals untersucht werden. Und falls sie sich als schädlich erweisen, sollen die Stoffe verboten werden.

    Der BUND sagt jedoch, die Industrie habe den Verordnungsentwurf verwässert. So sei bisher umstritten, ob riskante Chemikalien durch andere Stoffe ersetzte werden müssen, falls das möglich ist. Außerdem werde darum gerungen, welche Informationen die Chemieindustrie an die Verbraucher weitergeben muss. Die Verordnung soll nächstes Jahr in Kraft treten.

    "Wenn sie in der jetzigen Form, wie sie bereits vom EU-Ministerrat verabschiedet worden ist, verabschiedet wird, dann ist das ein schwarzer Tag für unsere Kinder, dann werden sie weiter unnötigen Risiken durch Chemikalien ausgesetzt."

    BUND-Geschäftsführer Timm hat jedoch die Hoffnung, dass die Chemikalienverordnung im Umweltausschuss des EU-Parlaments noch verschärft wird. Denn dass genaues Wissen über Chemikalien und entschlossenes Handeln unsere Gesundheit verbessern können, so BUND-Geschäftsführer Gerhard Timm, zeige das Beispiel des Insektenbekämpfungsgifts DDT.

    "DDT ist ziemlich verschwunden. Was früher in den 60er und 70er Jahren mal ein Riesenproblem war, ist heute fast kein Problem mehr. Das ist natürlich erfreulich. Und da kann man sehen, dass eine gute Gesetzgebung, die das im Fall von DDT schlicht und ergreifend verbietet, dann auch irgendwann Konsequenzen hat für die Erkrankungen beim Menschen. Das ist ganz eindeutig nachweisbar."