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Weihnachten
Die Moral des Schenkens

Die Deutschen geben zu Weihnachten rund 19 Milliarden Euro für Geschenke aus. Dabei solle das Beschenken nicht nur reiner Austausch sein, sagt der Jurist und Arzt Rainer Erlinger im Deutschlandfunk. Ein gutes Geschenk müsse beim Beschenkten echte Freude auslösen.

Rainer Erlinger im Gespräch mit Benjamin Hammer | 23.12.2013
    Benjamin Hammer: Zum Fest des Konsums und der Liebe habe ich vor der Sendung mit dem Juristen und Arzt Dr. Dr. Rainer Erlinger gesprochen. Er berät die Leser des Magazins der "Süddeutschen Zeitung" in Gewissensfragen, und ich habe ihn zunächst gefragt, ob er ganz persönlich denn gerne schenkt.
    Rainer Erlinger: Also, schenken tue ich gerne, gebe ich zu. Das ist was Schönes, zumal es ja auch zum einen die Zuneigung ausdrückt und zum anderen aber auch ein Band erzeugt mit dem Beschenkten.
    Hammer: Wann ist ein Geschenk denn ein gutes Geschenk?
    Erlinger: Ein Geschenk ist dann ein gutes Geschenk, wenn es beim Beschenkten Freude auslöst. Das, glaube ich, ist der zentrale Punkt, um den es geht.
    Hammer: Wenn ich jetzt aber vielleicht vor einem moralischen Dilemma stehe, was kann ich da machen? Wenn ich ein Familienmitglied habe und dieses Familienmitglied würde sich, wie Sie sagen, freuen über ein teueres Schmuckstück. Und ich kann auf der anderen Seite aber vielleicht auf so einen Kauf verzichten, damit auf Konsum verzichten - auch das ist ja unter Umständen erstrebenswert -, wie kann ich da abwägen?
    Erlinger: Lösen kann man das Dilemma in dem Sinne nicht, weil es nun mal zwei entgegengesetzte Dinge sind. Ich glaube, dass wir generell mal sehen sollten, dass wir in einer Überflussgesellschaft leben und dieses Schmuckstück wahrscheinlich nicht das erste und nicht das einzige Schmuckstück ist und man sich wirklich überlegen muss, ob es noch ein Schmuckstück braucht. Und wenn man das Gefühl hat, man möchte das Geld lieber irgendwelchen Bedürftigen zuwenden, oder irgendeinem guten Zweck, dann ist das wirklich etwas Hochstehendes. Und dann soll man das auch durchaus einfach mit dem Familienmitglied, was ja vielleicht einfach die Freundin oder der Freund ist, besprechen und dann schauen, ob man da nicht eine Lösung findet.
    Hammer: Vielleicht kennt der eine oder andere die Situation: Die Mutter oder der Vater oder umgekehrt fragen, ja was wünschst du dir denn. Man überlegt und überlegt und sagt, ach ja, das Buch, das kannst du mir dann schenken. Wenn es in Familien solche Gespräche schon gibt, relativ leidenschaftslos, soll man es dann ganz bleiben lassen?
    Erlinger: Das wäre meine Empfehlung. Ich glaube, dass man wirklich Weihnachten, ob man jetzt nun gläubig ist oder nicht, aber diese Idee, dass man da zusammenkommt und irgendwie eine nette Zeit hat, dass man der am allermeisten hilft, wenn man diesen Geschenketerror – und ich sage das jetzt mal ganz absichtlich so – entspannt und sagt, wir müssen uns wirklich nichts mehr schenken. Schenken sollte man Leuten, die sich wirklich freuen, oder zum Beispiel Kinder, die dann was Besonderes haben, oder auch Menschen, die etwas bekommen zu Weihnachten, was sie sich sonst nicht leisten können. Aber ansonsten glaube ich in unserer Zeit, dass man sich viel, viel mehr Freude macht, wenn man einfach zusammenkommt und eine gute Zeit verlebt.
    Hammer: Ich würde gerne ein paar Geschenkkategorien mal abklopfen und abfragen. Was halten Sie denn von Gutscheinen? Ist das nur was für faule Schenker?
    Erlinger: Das kommt darauf an und würde jetzt schon fast sagen, wie der Jurist so gerne sagt. Der Gutschein kann ja zum einen was sein, ich schenke einen Gutschein, irgendwas fällt mir jetzt nicht ein und ich gehe in ein Geschäft und kaufe einen Gutschein. Das ist eher vielleicht faul. Andererseits gibt es ja manche Sachen, die man gar nicht als Ding unter den Christbaum legen kann, wenn man zum Beispiel eine spezielle Veranstaltung oder irgendeinen speziellen Ausflug oder so etwas nimmt, was ganz spezifisch Zugeschnittenes auf den Beschenkten schenkt, dann ist das ja was, wo man sich Gedanken gemacht hat, und nicht unbedingt faul.
    Hammer: Darf ich ein Geschenk, das mir nicht gefällt, umtauschen?
    Erlinger: Wenn es sich um ein größeres Geschenk handelt, oder etwas, was ein bisschen aufwendig war, dann bin ich dafür, immer wieder daran orientiert, es soll dem Beschenkten Freude machen. Und wenn es das nicht tut, dann hat es das Ziel verfehlt. Wenn man auf der anderen Seite aber den Schenker damit so ein bisschen vor den Kopf stößt, dann muss man einfach abwägen und sagen, im Prinzip sollte man versuchen, wirklich etwas am Ende zu haben, was den Beschenkten erfreut, aber nicht auf Kosten des Schenkers, der dann vielleicht beleidigt ist.
    Hammer: Ich habe letztes Weihnachten eine Blumenvase bekommen. Die fand ich wirklich scheußlich. Jetzt kenne ich aber jemanden, dem ich die unter Umständen weiterverschenken könnte, und der freut sich, oder die freut sich. Darf ich das?
    Erlinger: Meiner Meinung nach, ja. Ich bin großer Freund davon, dass man mit Geschenken das macht, wo sie wirklich Freude auslösen. Und wenn man selbst etwas bekommen hat, was keine Freude ausgelöst hat, man weiß, dass es woanders Freude auslöst, dann soll man das tun. Und jetzt ganz überspitzt: Wenn man selbst große Freude dabei hat, wenn das Geschenk im Müll landet, dann darf man das auch tun. Man sollte durch ein Geschenk nicht beschwert werden, sondern erfreut.
    Hammer: Sie empfehlen in einem Ihrer Artikel einen Text von Adorno über das Schenken. Da schreibt der, dass das Schenken auf eine soziale Funktion heruntergekommen sei. Es werde skeptisch abgeschätzt, es gehe ums Budget, alles mit möglichst geringer Anstrengung. Und Adorno schrieb das 1951. Sind Sie heute noch pessimistischer?
    Erlinger: Ich bin auf der einen Seite pessimistischer, aber auf der anderen Seite jetzt nicht so pessimistisch. Ich glaube, dass es tatsächlich weiter so runtergekommen ist. Die Soziologie sieht ja im Geschenk, wenn man ausgeht von Marcel Mauss, die Gabe dann wirklich eines der elementaren Mechanismen des Zwischenmenschlichen, der Austausch, dass man dadurch auch Bindungen erzeugt zwischen den Menschen. Ich glaube, dass wir uns einfach klar machen müssen, dass wir hier zum Teil Rituale haben, dass wir hier eben solche soziologischen Mechanismen haben, die uns da irgendwie binden an einer Stelle, wo wir nicht unbedingt gebunden werden möchten und müssten. Und Adorno, dem fehlt ja in seiner "Minima Moralia", wo er das schreibt, die Liebe, die Zuwendung zum Anderen. Und ich glaube, die ist wichtiger. Wenn man die im Geschenk ausdrücken kann, dass man wirklich sich Gedanken macht und ein tolles Geschenk für den oder die andere findet, dann ist das wunderbar. Wenn es aber wirklich nur so ein Austausch ist, dass man sagt, ich muss jetzt, dann ist es runtergekommen und dann würde ich dafür plädieren, auch darauf zu verzichten.
    Hammer: Der Jurist und Arzt Dr. Dr. Rainer Erlinger über das Schenken. Besten Dank!
    Erlinger: Ich danke auch.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.