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Weihnachten
Feiern ohne Konfession

Die Zahl der Christen in Deutschland geht zurück, mehr als ein Drittel der Bevölkerung gehört keiner Konfession an. Aber Weihnachten feiern die meisten trotzdem - auch wenn sie nicht an die Geburt Jesu glauben. Ein Streifzug zwischen Elchen und Engeln.

Von Kirsten Dietrich | 06.12.2016
    Deko-Angebote auf dem Weihnachtsmarkt auf dem Marienplatz in München.
    Deko-Angebote auf dem Weihnachtsmarkt auf dem Marienplatz in München. (imago/Lindenthaler)
    Jedes Jahr die gleichen schiefen Weihnachtssterne aus Goldfolie? Gehört in die Zeit vor der Jahrtausendwende. Filz ist auch fast schon wieder durch – dieses Jahr sieht Weihnachten edel aus. Basiswissen über die Weihnachtsgeschichte nach Lukas ist nicht nötig, um sich in Berlin auf Weihnachten vorzubereiten, Glaube auch nicht. Trendbewusstsein reicht:
    Die Verkäuferinnen erzählen:
    "Ich glaub, in diesem Jahr sind eher Pastelltöne im Trend, zarte rosa Töne, türkis, gold, silber – ist dann ja wieder klassisch."
    "Und dann kleine Weihnachtsbäume, der Elch, Schlitten, speziell für die Kinder werden eher Elch und Tannenbäume und Weihnachtsmann genommen, Erwachsene eher Sterne."
    Im "idee Creativmarkt" in Berlin deckt sich ein, wer von Grund auf gestalten möchte, wie sein Weihnachten aussehen soll. Wer nicht so viel Geschick oder Zeit hat, geht zum Weihnachtsmarkt. Da riecht Weihnachten vor allem, nach Glühwein natürlich, und in den Buden mit Accessoires sind die Farben klassischer.
    "Für mich ist es einfach so was hier: ist mit Sternen, Schnee, rot, mit Häusern, Tannenbäumen, das ist für mich das weihnachtliche an den Kerzen."
    Ein Bierkrug als Christbaumkugel
    Die Kerzen, die Nina vom Kerzenkontor Vogt verkauft, haben sanfte Übergänge von rot nach goldgelb. Selbst blau und grün sehen warm aus. Ein Klassiker im Sortiment: Gläser mit bunten Szenen bemalt, die dann von innen durch ein Teelicht beleuchtet werden.
    "Rentiere sind ganz beliebt als Weihnachtsmotive, Häuser im Schnee, auch Schneelandschaften allgemein, und halt rote Farben."
    Schneeflocken, Sterne, Wärme – ein weihnachtliches Grundmotiv muss man allerdings regelrecht suchen, auf dem Weihnachtsmarkt genauso wie im Bastelgeschäft:
    "Wir haben auch ein paar religiöse, mit Engeln und so, aber das ist eher auf das Weihnachtliche getrimmt, wir sind da nicht auf eine Religion eingeschränkt."
    "Krippen werden bei uns eher selten gebastelt, da haben wir nicht so die Nachfrage."
    Weihnachten, das ist ein Winter, bei dem man sicher ist, dass ein warmes Zuhause wartet.
    Eine Umfrage ergibt:
    "Elch und Rentier, bei unserer Oma immer in der Krippe."
    "Früher eine Krippe, aber die ist kaputtgegangen, jetzt nur Weihnachtsbaum. Und dann Engel."
    Auch beliebt: Wichtel, kleine Zwerge mit roten Zipfelmützen. Auch sehr niedlich. Dagegen hat das leicht ironische Weihnachten kaum eine Chance – seine Nische sind die bunten Christbaumkugeln in allen möglichen und unmöglichen Formen.
    Saure Gurken mit Glitzer sind beliebt für den, der im golden-roten Glanz auch ein bisschen Humor beweisen will. Oder sogar: ein Bierkrug. Als Christbaumkugel.
    Weihnachtsmarkt auf dem Alter Markt in Köln
    Weihnachtsstimmung auf dem Alter Markt in Köln (Andreas Diel)
    Aber die Ironie ist deutlich in der Unterzahl. Dem Chor mit der verkappten Werbung für ein Brillengeschäft applaudieren deswegen auch vor allem Touristen aus dem Ausland. Die erkennen nur die Melodie und verstehen den Werbetext nicht.
    "Brillenglas, Brillenglas" (auf die Melodie von "Jingle Bells").
    Aber eigentlich will Weihnachten ernstgenommen werden. Auch auf dem Weihnachtsmarkt zwischen White Christmas und Glühweinwetttrinken. Es geht schließlich um das Wichtigste.
    Eine Besucherin erzählt: "Familie, definitiv Familie. Das ist schon ein Familienfest."
    Eine andere: "Ich habe Holzfiguren, sehr schöne alte Holzfiguren, die sind noch von meiner Urgroßoma, also ganz, ganz alt, und damit schmücke ich. Die hüte ich wie einen Augapfel, die werden ganz sorgfältig eingepackt, pass auf, dass die nicht kaputtgehen, das ist – Tradition, glaub ich, die habe ich von meiner Oma bekommen, das ist von ihrer Mutter, bei uns haben sie alle sehr jung Kinder bekommen, so dass ich meine Urgroßoma noch lange erleben konnte."
    Weihnachten ist die Zeit, in der man der Familie zeigt, dass man sie liebt. Und deshalb für sie bastelt, sagt Yvonne vom "idee Creativmarkt".
    "Der Trend ist immer noch, dass man lieber Kalender bastelt als einen fertigen kauft. Selbstgebastelte Kalender werden gerne verschenkt. Das ist viel persönlicher, wenn man dann das Foto, das man geschossen hat, ausdruckt und dann selber einklebt."
    Gut aussehen soll es allerdings schon.
    "Dann haben wir ganz tolle Aufkleber, womit man das noch schöner gestalten kann."
    Weihnachten ist für alle da
    "Die Kinder haben verschiedene Sachen gebastelt, ob sie die nun als Baum betiteln oder Sterne oder Geschenke, und die hängen wir dann natürlich hin. Die hängen wir an den Baum. Kinder bringen Sachen mit, wo sie uns sagen, wo sie hinsollen, darüber kommen wir ins Gespräch", erzählt Astrid Grabner. Sie leitet die Kita Rappelkiste in Berlin-Köpenick.
    Die Rappelkiste versteht sich als eine humanistische Kita, Träger ist der Landesverband Berlin-Brandenburg im Humanistischen Verband Deutschlands. "In unserer pädagogischen Arbeit verzichten wir bewusst auf religiöse moralische Instanzen", heißt es in den Rahmenrichtlinien ausdrücklich. Werte sollen über das direkte Erfahren der Kinder vermittelt werden. Macht das die Weihnachtszeit mit ihrer Geburtserzählung einer religiösen Instanz zu einer schwierigen Zeit? Astrid Grabner verneint.
    Sie sagt: "Weihnachten ist kein schwieriges Fest in der Kita, es ist ein entspanntes Fest."
    Entspannt auch deswegen, weil die obligatorischen Bastel- und Feierverpflichtungen wegfallen. Nur, was die Kinder einfordern, wird auch gemacht.
    "Bei uns gibt’s auch nicht Nikolaus, weil nicht jedes Kind zuhause den Nikolaus so kennt. Alle sollen gesehen werden. sollen etwas mitbringen und keiner soll ausgegrenzt werden. Niemand soll beschnitten werden in seiner Vorstellung.
    Das ist für Astrid Grabner zentral: Weihnachten ist für alle da – aber nicht alle erzählen die gleiche Weihnachtsgeschichte.
    "Es gibt Menschen, die glauben an die eine Geschichte, Menschen, die an die andere glauben. Dann welche, die sich eine eigne Geschichte ausgedacht haben und jede Geschichte für sich ist richtig für denjenigen, der es braucht."
    Die Sehnsucht nach Besinnlichkeit bleibt
    Diese Blickumkehr ist es vielleicht, die nicht nur in der explizit nichtreligiösen Welt den Umgang mit Weihnachten zurzeit prägt: Es geht darum, sich Weihnachten zu eigen zu machen – und nicht, sich von einer gleichzeitig rührenden und auf Gott verweisenden Geschichte ergreifen zu lassen. Die Sehnsucht allerdings bleibt, aber sie findet nur noch einige wenige Symbole, die allgemein gültig sind.
    "Für mich ist Weihnachten Licht. Rot, Kerzen, Licht und Ruhe."
    "Lichterketten gibt es, weil Licht ist immer was sehr warmes, die Kinder sagen auch immer klar, sie möchten sich wohlfühlen in der Kita, das Licht ist auch nicht das Beste, deswegen haben wir da viele Lichterketten und Kerzen."
    "Ganz klassisch immer noch der Stern. Goldene Sterne, die werden immer noch gekauft."