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Weihnachten im Gefängnis
Etwas Glanz hinter Gittern

In Bremen sammeln Gefängnisseelsorger jedes Jahr Geschenke, die sie dann an die Insassen verteilen. Für die Gefangen hat die kleine Geste eine große Bedeutung. Sie zeigt, dass die Gesellschaft sie nicht fallen lässt. "Obwohl wir", wie einer sagt "der Gesellschaft so geschadet haben".

Von Felicitas Boeselager | 24.12.2018
    Zu sehen sind sehr viele bunte Tüten, die bis oben mit Geschenken befüllt sind.
    Mehr als 400 Geschenktüten spendeten Bremer Bürgerinnen und Bürger für die Gefangenen. (Felicitas Boeselager)
    Richard Goritzka ist seit dem frühen Morgen auf den Beinen. Der Diakon und Gefängsnisseelsorger der Justizvollzugsanstalt Bremen Oslebshausen fährt jedes Jahr vor Weihnachten zehn evangelische und katholische Kirchen ab, um dort Weihnachtstüten für Gefangene abzuholen. Damit es gerecht zugeht, haben alle Tüten den gleichen Inhalt: 2 Packungen Kaffee, 1 Päckchen Tee, 2 Tafeln Schokolade, Lebkuchenherzen, eine Dose Süßstoff und besonders wichtig: eine Grußkarte.
    "Das hab ich schon sehr oft erlebt, das gilt übrigens auch für meinen evangelischen Kollegen, auch er macht bei Zellenbesuchen diese Erfahrung, dass Insassen noch zu Ostern, oder im Sommer, die Karte, die sie zu Weihnachten bekommen haben, am Bücherregal angepinnt haben, oder in ihren kleinen persönlichen Ecken im Regal, haben sie dann vielleicht die Weihnachtskarte aufbewahrt, doch damit gehen viele sehr bewusst um."
    "Wichtig, dass wir die nicht vergessen"
    Am späten Vormittag erreicht Goritzka mit seinem roten Kleintransporter die vorletzte Station. Hier warten über 100 Tüten auf ihn. Anja Wedig die Gemeindereferentin des Artriums Kirche in der Bremer Innenstadt hat die Geschenke in den letzten Wochen entgegen genommen.
    "Und wenn man die jetzt in diesem Bulli da sieht, wenn man da reinguckt, ein buntes explodierendes Etwas von Geschenktüten und da guckt dann das Pralinenpaket raus, oder das Kaffeepacket, das ist ganz, ganz toll."
    Wedig findet, es sei so eine konkrete und leichte Möglichkeit jemandem eine Freude zu machen. "Ich erinnre mich zum Beispiel an eine Dame, die hier reinkam, drei Tüten, sagte ‚Ja, da bin ich wieder‘, ich find das so wichtig, dass wir die nicht vergessen, denn wir vergessen die leicht, weil wir sehen sie ja nicht. Die sind ja weggesperrt hinter Mauern und deswegen ist ihr zum Beispiel wichtig, dass sie genau das für die Gefangenen tut."
    Als wirklich keine Tüte mehr in den Bus passt, fährt Goritzka zur JVA. In der Besucherschleuse der JVA muss jede einzelne Weihnachtstüte händisch untersucht werden, so wie das Gepäck Flughafen durchleuchtet und dann von einem Drogenspürhund beschnüffelt wird.
    Es entsteht ein ungewöhnliches Bild: In den nüchternen Besucherräumen, hinter den dicken, roten Backsteinmauern stapeln sich bunte Weihnachtstüten. Der Glitzerstaub von manchen Geschenken ist auf der Uniform und der Nase eines JVA-Beamten gelandet. Erst nach vier Stunden sind alle Tüten untersucht, für Goritzka lohnt sich dieser Aufwand.
    "Manchmal denke ich es geht weniger um das Materielle, was die Insassen bekommen, sondern sehr viel mehr um das Ideelle, also um das Zeichen, dessen der etwas schenkt und die innere Rührung die ausgelöst wird, bei dem der etwas bekommt."
    "Wenn du sagst, dass du weinst, bist du ein Schwächling"
    Über den leeren Innenhof, vorbei an vergitterten Fenstern durch ein Treppenhaus, führt der Weg in die "Oase". So heißt der Ort an dem Goritzka sich mit Insassen trifft. Über der kleinen Küchenzeile steht "Wer ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein." Um den langen Tisch sitzen drei Insassen: Timo, Alexander und Nasser. Sie freuen sich über Kaffee und Lebkuchen. Das ist es aber nicht, was diesen Ort für sie zu einer Oase macht, erzählt Timo. Er hat ‚LL‘, so nennen sie hier eine lebenslange Haftstrafe:
    "Man kann im Knast mit Leuten, kannst Du nicht offen reden, oder so. Wenn Du sagst, dies das macht traurig, oder Du weinst, dann bist Du ein Schwächling. Dann bist Du ein Opfer, dann wirst Du rasiert von den Leuten. Und alles runterschlucken geht nicht, Du brauchst jemanden mit dem Du reden kannst."
    Das ist für sie Goritzka. Wie für ihn zählt für sie vor allem der ideelle Wert der Tüten, erklärt Nasser:
    "Obwohl wir eigentlich der Gesellschaft so heftig geschadet haben und man belohnt uns noch damit, einfach die Gestik, dass man, obwohl wir so viel Mist gebaut haben noch an uns denkt, dass man nicht so von der Gesellschaft fallen gelassen wird, diese Gestik einfach, das ist was Schönes."
    Das würde helfen, denn Heilig Abend sei dieses Jahr bestimmt genauso schlimm, wie vergangenes Jahr:
    "Knastalltag ist immer das Gleiche." "Ja, man könnte mit seinen Geliebten sein, man ist hier mit den Jungs, um sieben Uhr geht die Tür zu und dann kommt der nächste Tag, hier wird nicht gefeiert, außer man geht in die Kirche."
    Neben der Oase ist die große Kirche der Anstalt. Ein sieben Meter hoher Raum mit einer großen Empore. Hier wird an Heilig Abend ein Gottesdienst gefeiert, mit einem Posaunenchor von außerhalb.
    "Ein festlicher Gottesdienst in dem die alten Weihnachtslieder gesungen werden und in dem ich versuche deutlich zu machen, dass Gott eben in Jesus Mensch geworden ist, in einem Stall, im Dunkel und in der Ausgegrenztheit seiner Zeit. Gott sucht im Grunde die Nähe zu den lichtscheuen Gestalten, weil er ein Gott des Lichtes und der Liebe ist."
    Timo freut sich schon seit Wochen auf diesen Gottesdienst:
    "Mit geht’s voll gut, wenn ich in die Kirche gehe, hätte ich nicht nie gedacht, dass ich mal so rede, aber mir geht’s voll gut, ich bin dann für die nächsten zwei Wochen positiv geladen."
    Nasser ist Muslim, er wird den Gottesdienst nicht besuchen. Alexander auch nicht, er sagt, er habe grade nicht so ein gutes Verhältnis zu Gott. Zum Gefängnisseelsorger geht er trotzdem.