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Weihnachts-Winter-Wunderwelt

Adventszeit bedeutet Besinnlichkeit. Und da spielt das Lesen eine große Rolle. Auch in diesem Jahr hat die Bücherindustrie weihnachtlichen Lesestoff der unterschiedlichsten Art zu bieten. Weihnachtskrimis, Adventskalender zum lesen oder auch Beschwerdebriefe ans Christkind.

Von Sylvia Schwab |
    O du fröhliche, o du selige, Bücher bringende Weihnachtszeit! Im Dezember klingelt nicht nur das Klingglöckchen, sondern auch die Kasse. Zumindest in den Buchhandlungen. Denn: Im Advent wird nicht nur gebastelt und gebacken, gesungen und das Haus geschmückt. Im Advent wird auch gelesen. Weihnachtszeit ist Lesezeit. Das meinen die Verlage. Und das hoffen die Autoren. Wolfram Hänel zum Beispiel, Autor von sage und schreibe 94 Kinder- und Jugendbüchern und inzwischen sieben Weihnachtskrimis. Er ist überzeugt ...

    "dass man diese Weihnachtszeit nutzen kann als Lese- und Vorlesezeit. Also Herbst, Weihnachten, es ist dunkel, es ist kalt draußen, es regnet. Das heißt, ich kann mich zurückziehen, ich kann es mir gemütlich machen und kann jetzt mithilfe eines Buches in fremde Welten abtauchen, die dann meine eigenen Welten werden. Also dieses Sich-Zurückziehen ist – glaube ich – ein schöner Punkt in der Vorweihnachtszeit. Also kann ich mich ganz mit mir selber beschäftigen, mithilfe eines Buches."

    Jedes Jahr stapeln sich in den Buchhandlungen nicht nur die traditionellen Adventsgeschichten und Weihnachtstitel. Es gibt auch eine wachsende Gruppe von Büchern, die sich am Prinzip des Adventskalenders orientieren. Sie halten für jeden Tag vom 1. bis zum 24. Dezember ein eigenes Kapitel oder eine kleine Geschichte bereit. Wenn die lieben Kleinen am schokoladegefüllten Glitzerkalender ein neues Türchen aufmachen dürfen, dürfen die lieben Großen im Adventskalenderbuch ein neues Kapitel aufschlagen. Oder die lieben Eltern dürfen abends am Bett eine neue Geschichte vorlesen.

    Doch genauso gut kann man diese Bücher auch noch auf den Weihnachtstisch legen. Dann werden sie eben in den Tagen nach dem Fest in einem großen Haps verschlungen. Wolfgang Hänels neuer Weihnachtskrimi zum Beispiel.

    "Hallo Leute, alles klar? Ich bin's mal wieder, Phillip! Ihr wisst schon, Der Phillip. Der unbarmherzige Rächer der Armen und Entrechteten, der Freund aller tapferen Männer und wehrlosen Frauen, der letzte Held dieser Welt! Na ja, oder so ähnlich jedenfalls."

    Er ist weder auf den Kopf noch auf den Mund gefallen, dieser quirlige Erzähler von Wolfram Hänels Weihnachtskrimis für Kinder um die zehn. Mit seinen beiden jüngeren Brüdern Jasper und Moritz löst Phillip jedes Jahr in der Vorweihnachtszeit einen neuen Fall. Hier, im "Fall für die Weihnachtsdetektive", halten ein gestohlenes Auto und ein entführter Hund die drei Jungen bis zum Heiligen Abend in Atem. Erst dann kehrt wieder Ruhe ein in der fröhlich-verrückten Patchworkfamilie mit kleinem Baby, genervter großer Schwester und hechelndem Hund.

    Weihnachtszeit ist Spannungs-Zeit. Und spannend ist hier nicht nur die Geschichte, sondern auch ihre Verpackung! In Hänels Krimi hängen jeweils zwei Seiten außen aneinander. Man muss sie aufreißen, um weiter lesen zu können. Und jeder Tag endet mit einem kleinen Höhepunkt und einer Frage an den Leser.

    "Aber als wir dann wieder im Bus sitzen, ruft Jasper plötzlich: "Mist! Jetzt haben wir zwar den Fall mit dem Audi gelöst, aber mit dem Hund sind wir kein Stück weiter. Wir wissen immer noch nicht, zu wem die Telefonnummer gehört, bei der nie einer abnimmt."
    Das kriegen wir noch raus" sage ich. "Und ich weiß auch schon, wie!"


    Wie will Phillip den Namen rauskriegen?

    "Das Hauptproblem sind wirklich die Cliffhanger",

    meint Wolfram Hänel.

    "Weil ich ja gezwungen bin, jedes Kapitel mit so einem offenen Spannungsbogen zu versehen, und das ist manchmal sehr schwierig und bedeutet einfach auch, dass ich teilweise Situationen einschrumpfen muss, die ich gerne ausbauen würde, oder dass ich manchmal etwas strecken muss, weil ich nicht gleich das ganze Futter verbraten kann, weil ich es fürs nächste Kapitel brauche. Ich hab mich inzwischen dran gewöhnt, das macht mir Spaß, aber es ist ein enges Korsett, das ist einfach mal so."

    Kein Wunder, dass es manchmal etwas knirscht in den logischen Gelenken! Was der Autor aber mit einem schwungvoll-sprudelnden Ich-Erzähler wett macht, mit einer liebenswürdig-chaotischen Familienkonstellation und vor allem mit kindgerechten Fällen.

    Die pfiffige Idee des Spannung fördernden Aufreißkrimis hat allerdings auch ihre negative Seite: Da ging dem Verlag bei den doppelseitigen Illustrationen wohl die Puste aus - oder das Geld, oder die Zeit. Dass die an sich flotten Zeichnungen von Silke Brix mehrmals wiederholt werden, tut ihnen nicht gut. Das ist langweilig, und auch ärgerlich, weil sie dann nicht mehr zum Text passen.

    Die Weihnachtsmäuse" heißt Anu Stohners neues Buch für Kinder ab acht, das sich für Kleinere auch gut zum Vorlesen eignet. Erzählt wird eine traditionelle Weihnachtsgeschichte. Da möchten die "Weihnachtsmäuse" den armen Kindern im Waisenhaus ein schönes Weihnachtsfest bereiten. Aber das geht nur mithilfe der Katzen und Hunde und der Tiere aus dem Wald. Alle alten Feindschaften werden begraben, damit die Waisenkinder ihren Weihnachtsbaum und ihre Geschenke bekommen.

    Auch sprachlich mutet Anu Stohners Geschichte ein wenig altmodisch an. Die Autorin erzählt ein wenig umständlich und bewusst bedächtig, manchmal auch ein wenig zu niedlich. Doch das ist kalkuliert, vorgelesen klingt die Geschichte, als läse eine alte Großmutter mit dem Dutt sie bei Kerzenschein vor. Zum Vorleseritual passt auch, dass auch die Tiere im Wald die Geschichte von den Weihnachtsmäusen erzählt bekommen, von der Stadtmaus. Darum beginnen und schließen alle 24 Kapitel ganz ähnlich. Jedes wird feierlich mit denselben Sätzen der alten Eule eröffnet und von der Stadtmaus mit einer vertröstenden Floskel auf morgen beendet.

    "Die Stadtmaus hielt inne, und wer genau hinschaute, konnte sehen, das sie plötzlich nachdenklicher aussah als sonst, wenn sie mit einem Kapitel ihrer Geschichte fertig war. Sie stand merkwürdig still, und manche fragten sich schon, ob sie heute ihren Schlusssatz weglassen würde, da sagte sie so leise, dass man es kaum hören konnte. "Und wie es weitergeht, erzähl ich euch morgen."

    Einen schöneren Schluss kann man sich auch für die abendliche Vorlesesituation schwer vorstellen. (Was Kindern besonders gefallen wird: Alle Tiere - ob Mäuse oder Katzen, Hunde oder Hasen, Wolf oder Murmeltier - besitzen ihre eigenen Charaktere und setzen ihre individuellen Fähigkeiten bei der Hilfsaktion für die Waisenkinder ein).

    Dass diese Weihnachts-Winter-Wunderwelt-Geschichte trotz einiger Längen so stimmungsvoll ist, hängt sicher auch damit zusammen, dass die Tiere hier das Sagen haben. Die Tiere, die zum Weihnachtsfest wie Ochs und Esel zum Jesuskind in der Krippe. Wolfram Hänel:

    "Die Tiere im Stall. Und das hat sich einfach eingespielt als eine grundlegende Atmosphäre oder Grundsituation, dass immer Tiere da sind, auch Wildtiere da sind, die in dem Moment nicht mehr wild sind, sondern zahm sind, die ganz dicht rankommen, die Weihnachten mitfeiern ... ., es geht allen gut, alle verstehen sich, alle vertragen sich. Das ist die Grundlage dahinter."

    Weihnachtszeit ist Wunder-Zeit. Da sind die wilden Tiere zahm und die Haustiere können sprechen. Reinhard Michls subtile Illustrationen betonen noch einmal den märchenhaften Charakter von Anu Stohners Text. Wirken die ganzseitigen schwarz-grau-gelben Zeichnungen dramatisch, ja fast bedrohlich, so verbreiten die zarten, witzigen Mauseportraits am Ende jedes Kapitels einen listig-lustigen Gegenpol. Wie da die kleinen Mauseaugen blinkern, die Schnäuzchen sich zum Lachen verziehen und die zierlichen Pfoten in anmutigen Gesten abgespreizt werden – das hat echt Charme.

    Weihnachtszeit ist Mäusezeit. So scheint es zumindest, wenn man sich ein wenig in Weihnachtsbüchern umschaut. Seit E.T.A. Hoffmanns "Nussknacker und Mausekönig" bevölkern die kleinen Nager die Kinderliteratur. Mal als Bösewichter, wie bei Hoffmann, mal als kleine Helfer, wie bei Anu Stohner. Was Mäuse mit Weihnachten verbindet? Vielleicht, dass sie sich so gut verstecken können, wie kleine Heinzelmännchen. Dass sie so flink sind und so vorwitzig. Und dass sie all das besonders lieben, was wir mit Weihnachten verbinden: Äpfel, Nüsse, Mandelkern.

    "'Jetzt ist die schönste Zeit des Jahres da', sang Tilda Apfelkern vergnügt vor sich hin. Denn tatsächlich kann man in der Weihnachtszeit viele wirklich wunderbare Dinge tun! Plätzchen backen zum Beispiel. Gerade heute hatte die holunderblütenweiße Kirchenmaus ihre Freunde zum Backen eingeladen und deswegen alle Hände voll zu tun, die unzähligen Zutaten aus ihrer Vorratskammer zusammenzusuchen. Äpfel, Eier und Rosinen hatte sie bereits gefunden. Nun standen noch Nüsse auf ihrer Liste. 'Du liebe Güte', sagte Tilda nach einer Weile. 'Ich könnte schwören, dass noch ein ganzer Sack da sein müsste. Wo mag der nur stecken?'"

    Ja, wo mag der nur stecken? Das fragt sich nicht nur die Maus, sondern auch der Betrachter. Denn auf den großformatigen Doppelseiten von Andreas H. Schmachtls Wimmelbilderbuch "Es weihnachtet im Mäusehaus" ist so unendlich viel zu sehen, zu entdecken und zu finden, dass einem ganz schwindlig werden kann. Liebevoll gezeichnet und zart aquarelliert bis ins winzigste Detail erinnern die Illustrationen an Sven Nordquists "Pettersson und Findus". Was da alles in der Mäuseküche in den Regalen und auf dem Boden steht, an der Wand oder an langen Schnüren in der Luft hängt, das ist einfach zum Staunen. Und zum Lachen. Und zum Suchen. Denn natürlich packt der Autor die Kinder bei ihrem Ehrgeiz, sie mögen nicht weiterblättern, bis die gesuchten Nüsse, Plätzchen oder Weihnachtsgeschenke entdeckt sind. (Ob Bade- oder Wohnzimmer, Schlafzimmer oder Dachboden, in den lichten, skandinavisch eingerichteten Räumen gibt es so viel zu finden, dass man dieses Bilderbuch mit Kindern weihnachtstagelang betrachten und bereden kann). Ein altes, aber immer wieder wirkungsvolles Motiv sind die aufklappbaren Fächer und Schränke, Truhen und Türen. Was sich darin oder dahinter verbirgt? Eine Menge unerwarteter und mäusemäßig-witziger Überraschungen!

    Stehen in Andreas H. Schmachtls Mäuseweihnachts-Wimmelbuch die Bilder eindeutig im Vordergrund, so ist es in Ursel Schefflers Bilderbuch "Weihnachtspost ans Christkind" für Kinder ab vier die Geschichte. Eine wohltuend einfache Erzählung, die aber auch nachdenklich machen kann. Nicht nur Kinder, sondern auch ihre Eltern.

    Weihnachtszeit ist Kinderzeit. Sollte man meinen. Doch nicht bei Leonie. Sie will ihren Bruder Benni loswerden und schreibt Beschwerdebriefe ans Christkind. Denn für Leonies Geschmack verbringen ihre Eltern viel zu viel Zeit mit dem Baby und viel zu wenig Zeit mit ihr.

    "Liebes Christkind, ich hab mich so auf den Christkindlmarkt gefreut. Und jetzt fahren wir wieder nicht. Bloß wegen Benni. Alles dreht sich nur noch um ihn. Und kein Mensch wärmt mein Badetuch! Lass mich ganz schnell wachsen, dass ich allein zu Oma und Opa fahren kann. Liebe Grüße, Deine Leonie. P.S.; Bring Papa und Mama nix zu Weihnachten. Die haben ja den Benni zum Spielen. Und der Benni bracht auch nix, der ist noch zu klein."

    Um die ganz großen Gefühle eines kleinen Mädchens geht es, um Eifersucht, Wut und Enttäuschung. Leonie verschenkt ihren kleinen Bruder sogar großzügig an ihre Freundin, die sich schon so lange ein Geschwisterchen wünscht. Ihr wäre es am liebsten, er käme gar nicht zurück. Erst da werden die Eltern hellhörig, begreifen, was in Leonie vor sich geht. Und das Wunder geschieht: Auch Leonie erhält einen Brief vom Christkind. Und erfährt, dass da doch jemand ist, der ihre Traurigkeit sieht.

    "Liebe Leonie, tut mir leid, dass ich Dir heute erst antworte. Aber wie Du Dir sicher vorstellen kannst, ist im Himmel die Hölle los. Ich weiß im Moment gar nicht, wo mir die Flügel stehen vor Arbeit. Du hast Dir mehr Zeit von deinen Eltern gewünscht. Nun, Zeit kann man nicht basteln, backen oder kaufen. Aber ich will trotzdem sehen, was ich tun kann. Schwierige Wünsche erfülle ich besonders gerne."

    "Wenn ich etwas für Kleinere mache",

    sagt Wolfram Hänel, der ja selbst auch viele Bilderbücher geschrieben hat,

    "dann kann ich auch viele fantastische Elemente mit rein nehmen. Also mit dieser Tatsache oder Geschichte spielen, Weihnachten ist auch die Zeit der Wunder. Wunder gehen in Erfüllung, Träume werden wahr, wenn ich fest genug dran glaube."

    Weihnachszeit ist Wunder-Zeit. Ob echt oder von den Eltern eingefädelt. Natürlich geht Leonies Geschichte gut aus. Ihre Weihnachtswünsche gehen in Erfüllung, zum Teil zumindest. Außerdem entdeckt sie ihre Zuneigung für den kleinen Bruder, als der plötzlich krank wird. Und das ist vielleicht ihr schönstes Weihnachtsgeschenk.

    Miriam Cordes hat Ursel Schefflers Kindergeschichte in leuchtenden Farben illustriert. Bleibt die Mimik bei allen Personen auch nur angedeutet, ist die Gestik dafür umso lebendiger. Ein besonderes Schmankerl: Alle Briefe ans Christkind sind "echt", sie stecken in richtigen Umschlägen, man kann sie herausziehen. Dabei wurde allerdings viel Komikpotenzial verschenkt. Denn diese Briefe, die Leonie ja selbst schreibt und malt, sind fehlerfrei in gut lesbarer Blockschrift geschrieben und wirken entsprechend steril. In Kinderschrift und vielleicht mit ein paar altersgemäßen Fehlern wären diese "echten" Weihnachtsbriefe sicher auch ein echter Hit.

    "Als meine Mutter Angela sechs Jahre alt war, hatte sie Mitleid mit dem Christkind in der Weihnachtskrippe der Josefskirche, nicht weit von der Schulhausgasse, in der sie wohnte. Das Christkind fror doch sicher, und sie konnte nicht verstehen, dass niemand eine Decke über seinen pummeligen kleinen Körper legte. Ihr war auch of kalt, und Hunger hatte sie auch oft, aber sie beklagte sich nie, denn sonst hätten ihre Mutter und ihre Geschwister gleich gesagt, sie solle kein solcher Jammerlappen sein."

    "Wo ist das Christkind geblieben" – diese Geschichte bietet alles, was das weihnachtlich gestimmte Herz begehrt: Christkind und Krippe, ein armes Mädchen und eine verständnisvolle Mutter, kindliches Mitleid und ein gutes Ende. Und das alles von einem Autor, der weltweit bekannt wurde mit seinem Roman "Die Asche meiner Mutter" über seine Mutter Angela; von dem Iren Frank McCourt.

    Die kleine Angela nimmt das frierende Jesuskind aus der Weihnachtskrippe mit nach Hause. Dass man das nicht darf und darauf eine saftige Strafe stehen könnte, ist ihr klar. Ganz schön clever geht sie dabei vor, und auch ein bisschen rabiat. Als die Entführung auffliegt, muss das nackte Jesulein natürlich zurück in die Krippe.

    "Sie gingen nach vorn, und als sie am Altargitter angelangt waren, nahm der Pfarrer Angelas Mutter das Christkind ab. Er gab es der kleinen Angela und führte sie zur Krippe. 'Du kannst es jetzt wieder in seine kleine Wiege legen', sagte er mit leiser, gütiger Stimme. 'Aber da friert es doch', sagte Angela. 'Nein, nein', beruhigte sie Hochwürden Creagh. 'Wenn wir nicht da sind, sorgt seine Mutter, unsere liebe Frau, schon dafür, dass ihm schön warm wird.' 'Bestimmt?' 'Ja, sicher.' Als sie das Christkind in die Krippe zurücklegte, lächelte es, wie es immer lächelte, und streckte der Welt die Ärmchen entgegen."

    "Wie süß", möchte man da erleichtert aufseufzen und die ganze Geschichte unter Kitschverdacht stellen. Doch so einfach ist es nicht. Zwar enthält Frank McCourts Weihnachtsgeschichte für Kinder ab sechs einige klischeehafte Elemente: den dicken, jovialen Priester, den niedlichen kleinen Bruder mit dem großen Herzen und auch Angela selbst, die fast immer "die kleine Angela" genannt wird. Doch andererseits ist die Geschichte so schlicht gestrickt und so ganz ohne Pathos erzählt, dass kleine Kitschelemente daneben zulässig erscheinen.

    Zusätzlich bürsten Reinhard Michls Illustrationen Angelas Geschichte kräftig gegen den Strich. Sehr genau schildern sie das Milieu, das im Text ja nur in Andeutungen zu Wort kommt. Die verkniffenen Gesichter der Kirchgänger, den karg gedeckten Tisch in Angelas Wohnung oder die grauen Mauern der grauen Stadt Limmerick. Sie bilden einen Gegenpol zu Krippenidylle, loderndem Kaminfeuer und leuchtendem Sternenhimmel. Reinhard Michls Bilder halten beides fest: die harte Lebenswirklichkeit der irischen Arbeiter in der Provinz, daneben aber auch eine idyllisch heile Welt, die wohl Angelas verklärender Erinnerung entspringt. Und auch eine Botschaft, die man sich zu Weihnachten gerne gefallen lässt. Ob von Frank McCourt oder Wolfram Hänel.

    "Wenn es Thematik Weihnachten ist, dass ich ein bisschen da versuche drauf zu kommen, die eigentliche Idee des Weihnachtsfestes, also: man hilft auch anderen, oder man macht anderen eine Freude, das heißt, ich helfe vielleicht denen, die es sonst nicht so leicht haben, oder für die Weihnachten nicht so schön wäre, dass ich immer versuche, so was als kleinen Schlenker zumindest mit einzubauen."

    Die zugleich zarten und doch kräftigen Bilder von Reinhard Michl sind ein wahres Weihnachtsgeschenk für Kinder und Erwachsene. Federleicht im Strich, realistisch und romantisch zugleich, aber auch mit einem verschmitzten Sinn für Komik erzählen sie die kleine Anekdote aus der Kindheit von McCourts Mutter. Weihnachtszeit – das ist eben auch Bilderzeit!

    Mit einem fröhlichen Ausrufezeichen kommt der Titel "Wenn das kein Weihnachten ist!" der Kinderbuchautorin Hilke Rosenboom daher. Eine Geschichte voller Merkwürdigkeiten, Wunder und Geheimnisse – erlebt von Eddie, der schon lange nicht mehr ans Christkind und den Weihnachtsmann glaubt. Oder etwa doch?

    "Seit Roswitha in Eddies Haus eingezogen ist, hat sich Eddies Leben völlig verändert. Früher war es ihm ganz egal, was im Treppenhaus los war. Nun aber steht er gern von innen vor der Wohnungstür und lauscht nach draußen. Haben da nicht eben Schritte auf der Treppe gepoltert? Könnte das wieder der Weihnachtsmann gewesen sein, den es ja nicht gibt? Oder war es Roswitha, die Tochter des Weihnachtsmannes, den es nicht gibt? Roswitha, die vor einer Woche in Eddies Haus eingezogen ist."

    Weihnachtszeit ist Freundschaftszeit. Zu zweit lassen sich die endlosen Vorweihnachtsabende einfach leichter überstehen als allein. Für Eddie steht mit Roswithas Einzug allerdings eine ganze Welt Kopf. Denn der altkluge, nur auf Logik getrimmte Junge gerät in eine vollkommen unlogische Geschichte. Ein sprechender Ofen, Roswithas Gedankenlesekunst, ihre mit Weihnachtspäckchen voll gestopfte Wohnung - es gibt nur eine Erklärung: ihr Vater ist der Weihnachtsmann. Aber den gibt es doch gar nicht, das weiß Eddie genau! Mit seinen Eltern kann er über dieses Dilemma nicht sprechen. Umso schöner wäre es, wenn kleine Leser das könnten wenn ihnen diese Geschichte vorgelesen wird. Denn: Weihnachtszeit ist Vorlesezeit. Das meint auch Wolfram Hänel.

    "Und dann passiert etwas, wenn Eltern jetzt mal wieder dem Grundschulkind, das selbst längst lesen kann – aber in diesem Fall wird noch mal vorgelesen – die lesen zusammen. Und das finde ich ist etwas, was ich als sehr, sehr schön empfinde. Dass wieder eine Nähe entsteht, eine gemeinsame Aktion. Dieses gemeinsame Lesen, gemeinsam tauchen Eltern und Kinder wieder ab in eine gemeinsame Welt."

    Wie Hilke Rosenboom den armen Schlaumeier Eddie verunsichert - und den Leser auch -, wie sie Hoffnung macht auf das Wunderbare im ganz normalen Alltag, wie sie Spannung und Witz, Vernunft und Fantasie ausbalanciert und am Schluss alles heiter in der Schwebe hält, das ist einfach wunderbar. Ja – wunderbar. Auch die fröhlichen Illustrationen von Stefanie Scharnberg, ganzseitige leichte, luftige Aquarelle, verbreiten Lebensfreude und haben den Schalk in jeder Pinselspitze.

    "Der Opernsänger Luitpold Löwenhaupt hatte bereits im November vorsorglich eine fünf Kilo schwere Gans gekauft – eine Weihnachtsgans. Dieser respektable Vogel sollte den Festtisch verschönen. Gewiss, es waren schwere Zeiten. Aber etwas muss man doch fürs Herze tun!"

    Mehr fürs Herze tun kann man nicht als Friedrich Wolfs "Weihnachtsgans Auguste"! Fürs Herze der ganzen Familie Löwenhaupt, wo Auguste in den Vorweihnachtswochen sehr lebendig durchs Haus watschelt. Fürs Herze des siebenjährigen Peterle, dessen Liebling schon bald in seinem Bett schläft. Und erst recht natürlich fürs Herze des kleinen Lesers, der Auguste ebenso innig lieben wird. Dass man dieses Tier nicht mehr schlachten und mit Klößen servieren darf am Heiligen Abend, das sieht jeder sofort ein – jeder bis auf den Opernsänger Löwenhaupt. Was natürlich zu Konflikten führt, zu einem veritablen Mordanschlag mit zehn Tabletten Veronal und zu zwei Pullovern für die arg gerupfte Gans.

    Friedrich Wolfs Weihnachtsgeschichte aus dem Jahr 1946 ist ein Kinder-Klassiker der ganz besonderen Art. Eine altmodisch anmutende Erzählung in bedächtiger Sprache, mit warmherzig gezeichneten Figuren und viel hintergründigem Humor. Die herzerwärmende Ausgabe im Aufbau-Verlag mit den kongenialen Illustrationen von Willi Glasauer ist eine reine Augen-Gänseweide und inzwischen in der zehnten Auflage erschienen. Neu allerdings ist die Lesung von Dieter Mann. Seine leicht spröde Stimme findet für jede Figur einen eigenen Tonfall, und man meint förmlich das Augenzwinkern zu hören, mit dem er die schrullige Geschichte vorträgt. Ob vor oder nach Weihnachten, Dieter Manns "Weihnachtsgans Auguste" wird Kinder begeistern. Und ins Bett begleiten.

    Spätabends im Bett aber fragt Peterle seine Gustje, indem er sie fest an sich drückt: "Warum hast du denn vor Weihnachten den Winterschlaf gehalten?"

    Und Gustje antwortet schläfrig: 'Weil man mir die Federn rupfen wollte.' 'Und warum wollte man dir die Federn rupfen?' 'Weil man mir dann einen Pullover stricken konnte', gähnt Gustje, halb schon im Schlaf. 'Und warum wollte man dir denn einen Pullover...' Aber da geht es auch bei Peterle nicht mehr weiter. Mit seiner Gustje im Arm ist er glücklich eingeschlafen."



    Werke:

    - Ursel Scheffler: Weihnachtspost ans Christkind, Herder, ab vier Jahren

    - Andreas H. Schmachtl: Tilda Apfelkern. Es weihnachtet im Mäusehaus. Arena, ab vier Jahren

    - Friedrich Wolf: Die Weihnachtsgans Auguste, Aufbau Verlag.

    - Frank Mc Court, Wo ist das Christkind geblieben, Luchterhand, ab sechs Jahren

    - Hilke Rosenboom: Wenn das kein Weihnachten ist!, Boje, ab sechs Jahren


    Adventskalenderbücher:

    - Stohner/Michl: Die Weihnachtsmäuse, Hanser, ab acht Jahren

    - Wolfram Hänel: Ein Fall für die Weihnachtsdetektive. Cbj, ab zehn Jahren


    CD:
    -Friedrich Wolf: Die Weihnachtsgans Auguste und andere Märchen. Mit Dieter Mann. DAV


    Bücher von Wolfram Hänel aus diesem Herbst:

    - "Die Fahrradklauer", Carlsen Verlag

    - "Wer war Robin Hood?", Jacoby & Stuart

    - "Achtung Steilklippe - Trouble in Wales". Der dritte Band der deutsch-
    englischen Geschichten um Tommi und seinen besten Kumpel Karl,
    Rowohlt/rotfuchs

    - "Romeo liebt Julia", Bohem Press

    - "Kopfstand-Paul", Bohem Press