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Weihnachtsboten aus Sachsen

Seit 1915 reisen kleine bunte Holzengelchen aus dem sächsischen Grünhainichen in die ganze Welt. Die Weihnachtsboten von Wendt & Kühn mit den elf weißen Punkten stehen für eine ganz besondere Erfolgsgeschichte eines von Anfang an ungewöhnlichen Familienunternehmens, das bis heute seinen sächsischen Wurzeln treu geblieben ist.

Von Alexandra Gerlach | 22.12.2006
    Tobias Wendt, erzählt gerne von den Anfängen seines Unternehmens, dessen Geschicke er seit 2002 leitet.

    "Wir sind gegründet worden, die Firma Wendt & Kühn, im Jahre 1915 von meiner Großtante Grete und ihrer Studienfreundin Grete Kühn. Die beiden haben an der königlichen Kunstgewerbe-Akademie in Dresden studiert, haben mit der - heute würde man sagen - Design-Ausbildung - sind sie, vor allem Tante Grete, auf die erzgebirgische Volkskunst getroffen und haben aus diesen beiden Wurzeln etwas völlig Neues gemacht, also eine Design-Holzfigur, die natürlich ihren Ursprung im Erzgebirge hat."

    Der Ingenieur für Holztechnik ist auch im Bereich Marketing und Vertrieb umfassend ausgebildet. Sein Büro befindet sich im ersten Stock des traditionsreichen, aufwändig sanierten Fachwerkhauses, in dem er aufgewachsen ist, mitten in Grünhainichen, vis-a-vis vom einzigen Bäcker des kleinen Ortes. 1500 Seelen zählt das Dorf, nahe der trutzigen Augustusburg. Früher war in dieser Gegend die inzwischen fast aufgelöste sächsische Textilindustrie zuhause. Heute ist Wendt & Kühn einer der größten Arbeitgeber der Region. 170 Menschen finden hier ihr Auskommen.

    "Kommt erst der Stift rein, und dann kommt der Engel drauf, und zuletzt kommt der Goldfaden dran, dass man es an den Baum hängen kann."

    In dem kleinen Laden im Erdgeschoss, unterhalb von Tobias Wendts Büro, herrscht großer Andrang, die Verkäuferinnen haben alle Hände voll zu tun. In den Vitrinen sitzen, stehen und musizieren die kleinen drallen Engelchen mit ihren weißen Kleidern, grünen Flügeln und jenen elf weißen Punkten auf den grünen Flügeln, die von jeher ihr Markenzeichen sind. Sie werden seit eh und je von Hand bemalt.

    Ein Blick in die alten Musterschränke neben dem Ladengeschäft zeigt: Keiner der heutigen Engel oder Blumenkinder aus der Manufaktur in Grünhainichen ist dem Zeitgeist unterworfen, weder Form noch Farbe wurden nennenswert modernisiert.

    "Wir versuchen, die Figuren noch genauso zu machen, wie sie damals gewesen sind. Also die ersten Engelchen, das ist unser Hauptsammelprodukt, die pummeligen Engelchen mit den grünen Flügeln und den elf weißen Punkten, sind 1923 entstanden. Und die wollen wir genauso machen, wie sie damals gewesen sind."

    Natürlich hat das Unternehmen in den über 90 Jahren seines Bestehens alle Höhen und Tiefen eines Wirtschaftslebens mitgemacht. Auf die erste Blütezeit in den 20er und 30er Jahren mit erfolgreichen internationalen Messeauftritten und wachsender Nachfrage folgte die Rohstoffknappheit des Zweiten Weltkrieges sowie nach 1945 die teilweise erste Enteignung, die später vorübergehend wieder rückgängig gemacht werden konnte. Zu DDR-Zeiten blieb das Unternehmen bis 1972 privat, doch dann wurde auch hier zwangsweise verstaatlicht. Aus Wendt & Kühn wurde der VEB WerkKunst Grünhainichen.

    Erst nach der Wende am 1. Juli 1990 konnte der Vater von Tobias Wendt, der die gesamte DDR-Zeit als Leiter der Werkstätten gemeistert hatte, den Betrieb zurückkaufen und an die Reprivatisierung des Familienunternehmens gehen.

    "Das war ein Wunder. Das hätten wir uns zu DDR-Zeiten nie träumen lassen."

    Der Schritt die die neue Marktwirtschaft war mit erheblichen Investitionen verbunden. Rund sieben Millionen Euro sind in den vergangenen 16 Jahren in den Umbau, die Modernisierung und Erweiterung der Manufaktur geflossen. Alte Kundenkontakte aus DDR-Zeiten wurden neu belebt oder fortgeführt. Ein glücklicher Umstand, der für volle Auftragsbücher und damit auch für Kreditwürdigkeit bei den Banken sorgte. Die zogen mit:

    "Mein Vater hat es geschickt gemacht, er hat nie mit einem Mal eine große Investition gemacht, sondern Jahr für Jahr stückchenweise."

    Das Thema Umsatzentwicklung meidet Tobias Wendt im Interview. Der Neid sei groß, sagt er zur Begründung. Ein Blick ins Archiv nennt als letzte Umsatzzahl rund 13 Millionen Mark. Doch das war vor dem Euro und liegt inzwischen schon einige Zeit zurück. Die Zahl der Beschäftigten hat sich seit der Wende fast verdoppelt.

    "Also ich sehe mich als Unternehmer in Deutschland mit einer sozialen Verantwortung auch für die Region, für die Mitarbeiter, aber es muss die Priorität da liegen, dass die Firma gesund bleibt und sich gut weiterentwickeln kann."

    Hauptabsatzmarkt für die kleinen, geflügelten, bunten Botschafter aus dem erzgebirgischen Grünhainichen ist nach wie die Bundesrepublik. Nur knapp zehn Prozent gehen in den Export, vornehmlich in die Beneluxstaaten, nach Skandinavien, und neuerdings nach Japan. Das wird wohl auch vorerst so bleiben, denn größere Expansionspläne hat die Firmenleitung derzeit nicht. Die Manufaktur soll Manufaktur bleiben, auch wenn in der Zwischenzeit so manche computergesteuerte Holzbearbeitungsmaschine Einzug gehalten hat in den traditionsreichen Werkstätten.

    "Der Handarbeitsanteil liegt um die 90 Prozent. Das einzige, was wir maschinell machen, das ist die Holzbearbeitung."

    Die Handarbeit ist teuer, dennoch denkt Tobias Wendt nicht an eine Verlagerung seiner Arbeitsplätze in das nahe gelegene, wesentliche günstigere Tschechien.

    "Wir machen feine deutsche Handarbeit, und das muss eben auch eine deutsche Handarbeit bleiben."

    Gearbeitet wird übrigens das ganze Jahr über, neben den Weihnachtsengeln gibt es auch eine Oster- und eine Sommerkollektion sowie alljährlich Neuheiten, die allesamt alte Entwürfe der Großmutter und Firmengründerin wieder aufleben lassen.