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Weil das Gehirn glaubt, was es sieht

Bei einer Arthritis baut sich Knorpel ab, die Knochen schaben aufeinander, die Betroffenen haben Schmerzen. Doch der Schmerz steckt nicht nur im Gelenk, er entsteht im Gehirn. Das wollen sich US-Forscher für eine innovative Arthritis-Therapie zunutze machen - mithilfe eines Spiegels.

Von Volkart Wildermuth | 23.01.2012
    Ich hab es mit meinen eigenen Augen gesehen – dann muss es ja wohl stimmen. Menschen sind Augentiere - und über die Augen lassen sie sich täuschen. Darauf setzten Illusionisten, Trickdiebe und auch Forscher. Sie manipulieren die visuelle Wahrnehmung zum Vorteil von Patienten. Ein Beispiel ist die Behandlung von Phantomschmerzen bei Amputierten, also von Schmerzen in einem Arm, der gar nicht mehr da ist. Die Patienten stellen sich so vor einen Spiegel, dass sie zum Beispiel ihren gesunden rechten Arm da erblickten, wo früher ihr amputierter linker Arm war.

    "Die Patienten stellen sich vor, beide Hände zu bewegen. Sie fühlen keine Schmerzen, sie bewegen ja ihre gesunde Hand, aber sie sehen auch die Bewegung der anderen Hand. Das erzeugt die Illusion einer schmerzfreien Bewegung in der Phantomhand",

    erklärt Laura Case vom Center for Brain and Cognition an der Universität von Kalifornien in San Diego. Die Spiegeltherapie funktioniert, weil das Gehirn glaubt, was es sieht, nämlich einen schmerzfreien Phantomarm. Laura Case wollte wissen, ob sich auch andere Schmerzen wegspiegeln lassen. Schmerzen, die ihre Ursache etwa in entzündeten, geschädigten Gelenken haben. In einer Pilotstudie bat sie acht Arthritispatienten vor den Spiegel.

    "In diesem Fall konnten wir nicht die Hände der Patienten selbst verwenden. Schließlich schmerzen beide Hände, außerdem sind sie meist verkrümmt. Also haben wir mit dem Spiegel die Illusion erzeugt, dass sich die Hand eines Betreuers an Stelle der eigenen Hand befindet."

    Zunächst wurden beide Hände, die des Patienten und die des Betreuers gleichzeitig angetippt. Berührung und optischer Eindruck stimmen überein. Das erleichtert es den Patienten, die Spiegelhand, als ihre eigene zu sehen. Dann sollten sie ihre schmerzende Hand langsam zur Faust ballen und wieder öffnen. Der Betreuer und damit die Spiegelhand machten parallel die gleichen Bewegungen.

    "Zu sehen, wie leicht sich die Hand bewegt, dass sie nicht verkrümmt ist, lässt das Gehirn glauben, die eigene Hand bewegte sich freier. Die Patienten berichten von einem Rückgang der Schmerzen und der Steifigkeit während der Spiegelillusion und kurz danach. Auf einer Skala mit zehn Punkten betrug die Schmerzreduktion durchschnittlich anderthalb Punkte, einzelne Patienten berichteten von einer Reduktion um drei Punkte."

    Wie lange der Effekt anhält, wird gerade untersucht. Auch wenn die Spiegeltherapie den Schmerz nicht wegzaubert, hat sie einen merklichen Effekt. Es tut weniger weh, obwohl der eigentliche Schmerzauslöser, das entzündete Gelenk, unverändert bleibt. Das Beispiel zeigt, wie wichtig die eigenen Überzeugungen für die Wahrnehmung auch solch körperlicher Eindrücke wie der Schmerzen sind. Wir glauben, was wir sehen, selbst wenn wir wissen, dass es sich um eine Spiegelillusion handelt. Diese Sonderstellung des Optischen im Gehirn sollten sich nicht nur Zauberer und Taschendiebe, sondern auch Ärzte und Patienten zunutze machen. Laura Case:

    "Unsere vorläufigen Ergebnisse legen nahe, dass diese ganz einfache Therapie mit einem billigen Spiegel in der Lage ist, Schmerzen und Steifigkeit bei dieser großen Patientengruppe abzumildern."