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"Weil es eine wunderschöne Sprache ist"

Die deutsche Sprache ist nicht in ihrem Bestand bedroht. Das sagte anlässlich des Deutschen Germanistentages in Freiburg der Germanist Jörg Kilian. Gleichzeitig forderte er, die Sprache selbstbewusster zu vertreten.

Jörg Kilian im Gespräch mit Lothar Guckeisen | 21.09.2010
    Lothar Guckeisen: Die deutsche Sprache, die steht zurzeit in Freiburg auf dem Prüfstand. Auf dem Germanistentag treffen sich dort Fachkollegen aus der ganzen Welt. Und sie diskutieren darüber, welchen internationalen Stellenwert die deutsche Sprache und Literatur hat und wie man ihren Wert erhalten kann. Professor Jörg Kilian, Germanist und Sprachdidaktiker an der Uni Köln – Entschuldigung, an der Uni in Kiel, ganz im Gegenteil, weit im Norden –, im weltweiten Konzert der Sprachen, da spielt Englisch eindeutig die erste Geige. Welche Bedeutung hat denn Deutsch?

    Jörg Kilian: Die deutsche Sprache ist die größte Muttersprache in Europa. Also wenn wir davon ausgehen, dass circa 100 Millionen Menschen die deutsche Sprache sprechen, dann darf ich Ihre Frage dahin gehend beantworten, dass sie eine große Rolle spielt.

    Guckeisen: Nun ist es ja so, dass wir das Problem – oder zumindest viele sehen das als Problem – der Anglizismen haben, eben weil Englisch so dominant ist, weltweit, geht das an die Wurzeln der deutschen Sprache, ist das ein Problem für Germanisten?

    Kilian: Nein, es geht definitiv nicht an die Wurzeln der deutschen Sprache. Im Alltag mag das manchmal so scheinen, dass sehr viele Wörter aus dem englischsprachigen Raum im Grunde genommen schon deutsche Texte fast beherrschten. Wir Germanisten schauen uns dann allerdings die verschiedenen Varietäten an, wie wir das nennen, das sind also so Sprachgebrauchsformen, und da lässt sich entdecken, dass es zwei dominante Varietäten gibt, in denen das Englische wirklich eine etwas größere Rolle spielt. Das ist einmal die Jugendsprache, die wird den meisten erwachsenen Hörerinnen und Hörern wohl weniger Sorge bereiten, und zum anderen ist es die Werbesprache. Und hier wiederum muss man dann sagen, solange Unternehmen den Eindruck haben, dass sie mit Anglizismen Erfolg beim Kunden haben, solange werden sie das fortführen.

    Guckeisen: Nervt das manchmal ein bisschen? Als Germanist?

    Kilian: Ach Gott, wissen Sie, manchmal nervt es insofern, weil man es wirklich für vollkommen unangemessen hält. Wenn Sie sich ... Ein Beispiel, nehmen wir ein beliebiges Beispiel: Also man wird wohl kaum bei Rapunzel von Hairstyling sprechen wollen, und jeder würde das für unangemessen halten, und wer das versuchte, das nervt dann wirklich etwas. Während wenn ein Frisiersalon oder der Besitzer, die Besitzerin eines Frisiersalons der Meinung ist, der Salon müsse eben Hairstyling anbieten, dann muss der Besitzer eben selbst zu verantworten haben, wenn bestimmte Kunden und Kundinnen nicht mehr kommen, weil sie gar nicht wissen, was ihnen da geboten wird.

    Guckeisen: Offenbar gibt es aber immer noch welche, die das verstehen. Mit der Sprache, da wird ja nicht nur, also die Sprache wird nicht nur gesprochen, ist nicht nur eine Frage der Kommunikation, sondern es wird ja auch jede Menge Kultur transportiert. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts, da hatte Deutsch im Bereich der Literatur und der Wissenschaft einen exzellenten Ruf, wurde wahrgenommen, hatte Einfluss auf die kulturelle Entwicklung anderer Länder. Wie ist das denn heute, welchen Stellenwert hat hier der deutsche Sprachraum?

    Kilian: Im Rahmen der Wissenschaftssprache ist es leider eben nicht mehr so, wie es um die Jahrhundertwende zum 20. Jahrhundert und noch bis weit ins erste Viertel des 20. Jahrhunderts gewesen ist. Wenn Sie sich allerdings anschauen, dass beispielsweise für das Studium der Rechtsgeschichte in den Vereinigten Staaten wie auch in Japan deutsche Sprachkenntnisse vonnöten sind, damit man überhaupt die wesentlichen Quellen lesen kann, sehen Sie, dass das Deutsche als Wissenschaftssprache durchaus noch einen Stellenwert hat, wie gesagt allerdings eben nicht mehr den, den es einmal hatte. In vielen Fächern, namentlich in den naturwissenschaftlichen und ingenieurswissenschaftlichen Fächern findet die Fachkommunikation auf Englisch statt, das kann und wird es in der Germanistik selbstverständlich nicht geben, weil auch unsere originären Texte auf Deutsch sind und namentlich auch viele sogenannte Auslandsgermanisten – ich muss sogenannt sagen, weil dieses Wort nicht ganz unumstritten ist –, aber eben die Germanistinnen und Germanisten im Ausland eben auch gerade die deutsche Sprache so, wie sie sich in den Texten bietet und wie wir sie eben erforschen, auch weiterhin erforscht wissen wollen.

    Guckeisen: Nun kennen wir das Phänomen, dass weltweit beinahe täglich irgendeine Sprache untergeht, nicht mehr gesprochen wird. Jetzt haben wir das Phänomen der Globalisierung, den Stellenwert, den Englisch einnimmt im Bereich der Geschäftswelt, im Bereich der Wissenschaft ist Englisch sehr dominant – ist denn zu befürchten, dass sagen wir mal auf lange Frist auch das Deutsche zurückgedrängt wird?

    Kilian: Nein, diese Befürchtung ist nicht gegeben. Wenn Sie jetzt von wirklichen Befürchtungen hören wollen, dann müsste ich als Linguist wirklich mir doch Sorgen um die englische Sprache und ihre Struktur machen, wenn sie sich eben überlegen doch, wie viel radebrechendes Englisch jetzt in der Welt ist und in den nächsten Jahren noch in die Welt kommen wird. Also die deutsche Sprache ist weder in ihrem Bestand bedroht noch in ihrer strukturellen Eigenheit bedroht. Das kann man sicher an einem deutlichen Beispiel sehr rasch auch plausibel machen: Jedes Wort, das beispielsweise aus dem Englischen ins Deutsche kommt und als Substantiv wahrgenommen wird, wird sofort großgeschrieben, es kommt überhaupt nicht drum herum. Und da sehen Sie schon, wie kräftig das Deutsche eben auch dabei ist, das, was an englischem Wortgut beispielsweise in die deutsche Sprache kommt, aufzunehmen, aber eben formell auch einzugliedern.

    Guckeisen: Kommen wir noch mal auf die Literatur zu sprechen. Wenn man da mal an die Hochschulen blickt, lange Zeit gab es ja einen unumstößlichen Kanon, Goethe, Lessing, Schiller, die alten Klassiker, die mussten selbstverständlich im Lehrprogramm auftauchen. Wie ist das heute im Fach Germanistik, ist das immer noch so oder verlieren die allmählich an Bedeutung?

    Kilian: Nein, also die Klassiker verlieren nicht an Bedeutung, wir sind aber natürlich und so ist jede Generation natürlich immer wieder auch gehalten, die Bedeutung nachzuweisen und auch zu zeigen, wozu ist es denn nötig und notwendig, diese Klassiker zu lesen. Die Kanondebatte hatte ja Marcel Reich-Ranicki 2002 noch mal in Form einer Bestenliste eben begonnen, und dann haben eben Kolleginnen und Kollegen in der Literaturwissenschaft einmal genauer hingesehen und haben gesehen, es wird gelesen, aber eben beispielsweise Thomas Manns "Buddenbrooks" erreichen als Klassiker nur noch Platz sechs, während Tolkiens "Herr der Ringe" auf Platz eins steht. Und darüber machen wir uns natürlich auch Gedanken und werden eben auch in Zukunft weiterhin erforschen, wie das Leseverhalten eben der Menschen sich orientieren wird, gleichwohl haben wir ja immer auch spezielle Texte, die nicht nur als Texte einen eigenen Bildungswert haben, sondern sehr viel auch über die Zeit, in der sie entstanden sind, aussagen, über die gesellschaftliche Prägung aussagen. Denken Sie an Effi Briest beispielsweise, wo man sehr viel über den Ausgang des 19. Jahrhunderts lernen kann, und noch mehr übers Kaiserreich eigentlich dann bei Heinrich Mann.

    Guckeisen: Können Sie in einem oder zwei Sätzen sagen, warum Sie sich der deutschen Sprache verschrieben haben? Was macht die Faszination aus, warum sind Sie Germanist geworden?

    Kilian: Weil es eine wunderschöne Sprache ist und wir wirklich eine lange Sprachtradition haben, auch eine lange literarische Tradition, in der – Sie erwähnten es vorhin eben auch – also in dieser Tradition sehr vieles auch aufgehoben ist, in das man sich eigentlich hineinlegen kann und sich dann heimisch fühlen kann, gleichzeitig aber den Blick nach draußen eben auch, der wird ja auch geöffnet. Wenn Sie eben Literatur lesen, namentlich die Reiseliteratur, wie sie am Ende des 18. Jahrhunderts auch entstanden ist, lernen Sie so viel über Europa – und die deutsche Sprache ist eben eine schöne Sprache, wir sollten nur auch beginnen, diese Schönheit der Sprache und auch ihre Kraft eigentlich doch etwas selbstbewusster zu vertreten. Und ein guter Beginn ist schon damit getan, wenn wir als deutsche Sprecherinnen und Sprecher aufhören zu sagen, es sei eine schwere Sprache, denn das ist es nicht.

    Guckeisen: Es ist eine schöne Sprache.

    Kilian: Ja!

    Guckeisen: In "Campus & Karriere" Professor Jörg Kilian, Sprachwissenschaftler und Mitglied im Vorstand des Deutschen Germanistenverbandes zum Deutschen Germanistentag in Freiburg. Besten Dank!

    Kilian: Vielen Dank!