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Weinbergs "Die Passagierin" in Frankfurt
Musikalisch überzeugend mit szenischen Schwächen

Die Musik des jüdischen Komponisten Mieczyslaw Weinberg kann brutal sein. "Die Passagierin" befasst sich mit Holocaust-Erfahrungen einer Polin, die ihre eigene Auschwitz-Geschichte in einem Roman verarbeitete. Er diente als Grundlage für das Libretto des Werks, das an der Frankfurter Oper zu sehen ist.

Von Christoph Schmitz |
    Tanja Ariane Baumgartner (Lisa) Sara Jakubiak (Marta) und der Chor der Oper Frankfurt in "Die Passagierin"
    Tanja Ariane Baumgartner (Lisa) Sara Jakubiak (Marta) und der Chor der Oper Frankfurt in "Die Passagierin" (Barbara Aumüller/Oper Frankfurt)
    Mit hörbar hartem Schlagwerk steigt die Oper in die Hölle. Kantige Akkordschichtungen und später ein kakofonisches Klang- und Rhythmus-Wirrwarr künden von den Qualen, die die Figuren der folgenden KZ-Geschichte heimsuchen werden.
    Durch die Gewalt scheint die Welt aus den Fugen geraten zu sein. Mieczyslaw Weinbergs Musik kann sehr brutal sein. Intensiv ist sie immer. Theatralische Intensität in allen Seelenlagen ist charakteristisch für diese Partitur, bis in die lyrischen Momente hinein. Dazu arbeitet der Komponist mit einer reichen Farbpalette. Anders formuliert: Weinberg ist ein polyglotter Tondichter.
    Nicht nur weil Täter und Opfer deutsch, polnisch, russisch, griechisch, französisch und jiddisch sprechen und singen, sondern vor allem, weil Weinberg für seine 1968 vollendete Oper auf unterschiedliche Musiktraditionen und -genres zurückgreift: Satte Spätromantik trifft auf Zwölftontechnik, die Synkopen von Swing und Tanzmusik auf das Volkslied.
    Expressive Klangrede
    Mitunter strömen die verschiedenen Quellen ineinander, immer aber schafft Weinberg eine expressive Klangrede. Unter der Leitung von Christoph Gedschold, der schon die deutsche Erstaufführung von Weinbergs "Passagierin" in Karlsruhe dirigierte, ließ das Frankfurter Opernorchester die Vielfalt und auch den eigenständigen Ton der Partitur erklingen.
    "Martha? Kann das Martha sein? Nein, unmöglich! Warum hat sie sich nicht abgewendet? Vielleicht hat sie mich erkannt?! Ach, wie blass ich bin! Hab' mich erschrocken, Anna-Lisa Franz? So ein Quatsch! Wovor sollt' ich mich fürchten."
    Diese Lisa, die sich hier so erschreckt, reist 1960 per Schiff mit ihrem Ehemann, einem Diplomaten der jungen Bundesrepublik Deutschland, nach Brasilien und begegnet auf dem Dampfer Martha, ihrem einstigen Häftling, ihrem Häftling im KZ Auschwitz, wo Lisa eine Aufseherin der SS war.
    Strudel der verdrängten Erinnerung
    Lisa enthüllt ihrem Mann ihr Vorleben, der dann vor allem seine Karriere in Gefahr sieht. Lisa wird zurückgeworfen und immer tiefer hineingesogen in den Strudel ihrer verdrängten Erinnerungen. Die Bühne dreht sich und gibt den Blick ins Innere des weißen Überseedampfers frei. Hier spielen die Auschwitz-Szenen. Die ausgemergelten Häftlinge in ihren gestreiften Lumpen sehen wir, die Lager-Appelle, die zynischen Unterhaltungen der SS-Offiziere. Und wie Lisa die 20-jährige Martha schikaniert und deren Liebe zu einem der Mithäftlinge für ihr Machtkalkül missbrauchen will.
    Geschickt verbindet Regisseur Anselm Weber die Zeitebenen, die Räume, 1960er Gegenwart und Holocaust-Erinnerung. Tanja Ariane Baumgartner in der Rolle der Lisa verleiht ihrem Mezzo eine Tiefe, die sie zwischen Härte und Angst changieren lässt.
    Zwischen Schrecken und Kitsch
    Überhaupt ist das musikalische Ergebnis der Premiere überzeugend. Schwächen liegen in der Inszenierung. Anselm Weber ist zwar ein guter Psychologe. Aber dennoch hat er sich von den Glücks-, Hoffnungs- und Liebes-Augenblicken in Weinbergs KZ-Oper verführen lassen und ist mit sentimentalen Zeichen wie Kerzenschein und Rosenblüten auf eine Kitsch-Ebene gerutscht, auf die die Musik in manchen Momenten tatsächlich sirenenhaft lockt.
    Weber zeigt zwar das Elend des Barackenlebens und die skrupellose Attitüde der Schinder. Aber die Bilder der alltäglichen Grausamkeit hält er zurück. Den Todesschuss sieht und hört man nicht. Die Ikonen der Massenvernichtung bleiben außen vor, obwohl die Musik den Mord hörbar macht. Hölle und Elysium stecken in dieser Oper. Beides müsste auf der Bühne auch sichtbar werden.
    Dennoch ist es ein Glücksfall, dass diese Oper und sein Komponist mit der szenischen Uraufführung durch die Bregenzer Festspiele 2010 für das Musiktheater entdeckt wurden. Gut, dass die "Passagierin" in Frankfurt an Land gehen kann.