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Weine aus dem Chemiebaukasten

Chemie. - Die Düfte und Aromen der verschiedenen Weinsorten sind sprichwörtlich zahllos - ein spannendes Feld für Chemiker, die nach den einzelnen Molekülen fahnden, die etwa einem typischen Beaujolais zu seinem Geschmack verhelfen. Jetzt ist es gelungen, die molekulare Rezeptur eines edlen italienischen Tropfens zu entschlüsseln.

Von Volker Mrasek |
    Beneidenswert, wer solche Forschung betreiben darf: Während seiner Doktorarbeit an der Universität Münster experimentierte Jan Carlos Hufnagel mit
    Amarone, einem berühmten italienischen Rotwein

    "Er war ausgezeichnet! Aus meiner persönlichen Ansicht"

    Doch viel verkosten von dem edlen Tropfen konnte der Lebensmittelchemiker nicht. Flaschenweise ging der Amarone stattdessen für Laboranalysen drauf. Hufnagel und sein Doktorvater Thomas Hofmann hatten sich viel vorgenommen. Sie wollten dem wohlschmeckenden Italiener ein Geheimnis entlocken: die molekulare Rezeptur seines besonderen Geschmacks

    "Grundsätzlich ging es darum, zu wissen: Warum schmeckt ein Rotwein, wie er schmeckt? Was ist bitter? Warum ist ein Wein vollmundig? Warum ist ein Rotwein trocken?"

    Jeder Wein besitzt ein Bouquet, ein typisches Geruchsprofil, das seine flüchtigen Inhaltsstoffe erzeugen und das dem Genießer gewissermaßen durch die Nase geht. Er hat aber auch einen Geschmack, der auf der Zunge liegt - hervorgerufen durch andere, nicht-flüchtige Substanzen. Sie stimulieren Geschmacksrezeptoren im Mund- und Rachenraum. Um diese Bestandteile des Amarone ging es Hofmann und Hufnagel:

    "Auf dem Bereich waren nur wenige Studien vorhanden. Und es war eigentlich auch wenig bekannt über die Verbindungen selber, die diesen Geschmack verursachen. Man konnte nie sagen: Was ist der molekulare Grund für den Geschmack?"

    Um hinter dieses Geheimnis zu kommen, wendeten die Lebensmittelchemiker eine Fülle verschiedener Labormethoden an, darunter die sogenannte Geschmacksverdünnungs-Analyse. Bei diesem Verfahren überprüfen geschulte Sensoriker, welche Einzelstoff-Fraktionen im Wein noch in kleinsten Konzentrationen wahrnehmbar sind. Damit landete Jan Carlos Hufnagel zunächst bei einer Vorauswahl von 82 Komponenten, die überhaupt einen Geschmack haben. Und schließlich bei 37 Substanzen, die den Charakter des Amarone maßgeblich prägen:

    "Dieses ist nicht anwendbar generell auf alle Weine. Also dies möchte ich ausschließen. Es zeigt aber in dem Fall, dass 37 Verbindungen ausreichen, um sozusagen diesen Rotwein künstlich wiederherzustellen, plus Ethanol, welches in der Basis ist. Also 37 plus eins ergibt dann den gesamten rekonstituierten Rotwein."

    Die Münsteraner Forscher machten die Probe aufs Exempel. Sie isolierten sämtliche 37 Einzelverbindungen, lösten sie wieder in Ethanol, also im Trinkalkohol, und setzten sie den Sensorikem vor, in einer Blindverkostung. Und siehe da: Die Experten konnten den Amarone aus dem molekularen Baukasten nicht vom Original-Wein unterscheiden. Unter den Schlüssel-Geschmacksstoffen sind auch solche, die man nicht im Wein vermutet hatte. Wobei alle drei Dutzend Substanzen im Konzert miteinander wirken. Wie viele zaubern zum Beispiel die Süße in den Amarone? Laut Hufnagel sind es sechs:

    "In dem Fall zwei Zucker, eine Aminosäure und drei Polyalkohole wie zum Beispiel Glycerin."

    Elf Geschmacksstoffe sorgen für die richtige Säure-Balance:

    "Acht organische Säuren, also Fruchtsäuren, mit drei Salzen."

    Interessant auch, was hinter der bitteren Note des Weines steckt:

    "Einmal phenolische Säuren, die im Laufe der Weinlagerung mit dem Ethanol eine Verbindung eingehen. Und mit dieser Verbindung werden diese Komponenten dann bitter. Und dazu die Flavanole - Verbindungen, die zum Beispiel auch aus dem Kakao bekannt sind als Bitterstoffe."

    Die Lebensmittelchemiker sprechen von reiner Grundlagenforschung. Sie hoffen aber, dass bald simplere und schnellere Methoden entwickelt werden, um die wichtigen Wein-Geschmacksstoffe zu analysieren. Und dass Winzer eines Tages von ihnen Gebrauch machen, um zum Beispiel Fehltöne durch Bitterstoffe zu vermeiden. Vorstellen kann sich das auch Hans-Georg Schmarr, Wein-Analytiker beim Dienstleistungszentrum Ländlicher Raum in Neustadt an der Weinstraße:

    "Hier ist es eben wie auch in diesem Projekt des Kollegen halt sehr, sehr wichtig, dass wir diese molekularen stofflichen Zusammenhänge halt kennen, verstehen und dann halt technologisch nach Möglichkeit optimieren lernen."

    Allerdings...

    "Bis zum Winzer, bis man das auch in Hinblick auf technologische Maßnahmen einsetzen kann, werden sicher noch einige Jahre Forschung ins Land gehen müssen."