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Weinstein-Urteil
Frauen aller Länder, ermutigt Euch!

Das Urteil gegen den Filmproduzenten Harvey Weinstein habe gezeigt, dass ein tyrannisches System zum Einsturz gebracht werden kann, kommentiert die Philosophin Svenja Flaßpöhler. Aber nur, wenn sich Frauen untereinander solidarisieren - und nicht in patriarchale Strukturen einspannen lassen.

Von Svenja Flaßpöhler | 25.02.2020
Die Philosophin Svenja Flaßpöhler
"Eigenständig handeln, anstatt behandelt zu werden" - die Philosophin Svenja Flaßpöhler (Svenja Flaßpöhler)
Der Schuldspruch gegen Harvey Weinstein ist ein großer Schritt für die Emanzipation der Frau.
Und zwar nicht nur, weil hier ein Mann, der vergewaltigt und sexuell genötigt hat, seine gerechte Strafe bekommt. Sondern auch, weil sich am Fall Weinstein eine tiefe Wahrheit der Geschichte zeigt. Fortschritt gibt es nur, wenn Menschen mutig sind. Wenn sie sich trauen, ein tyrannisches System zum Einsturz zu bringen. Wenn sie im Dienste der Freiheit hohe, ja höchste persönliche Risiken in Kauf nehmen. Genau das haben die Opfer von Weinstein getan.
Insofern kann dieser Schuldspruch durch die Geschworenen am Obersten New Yorker Gericht auch als Ermutigung gelesen werden: Dazu, Unrecht nicht zu ertragen, gar zu billigen oder hinterrücks Nutzen daraus zu ziehen. Sondern sich zu solidarisieren mit jenen, die – aus welchen Gründen auch immer - selber zu schwach sind, um Widerstand zu leisten. Und gemeinsam entschlossen zu handeln gegen erfahrenes Unrecht.
Nicht nur #metoo posten
Denn auch dies hat der Fall Weinstein gezeigt: Dem größten Teil der betroffenen Frauen fehlte Mut. Fehlte auch die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen. Dafür, dass man sich opportun verhielt in Situationen, in denen es durchaus andere Handlungsmöglichkeiten gegeben hätte. Ja, gar als Agentin männlicher Macht fungierte. Aus dem Fall Weinstein hervorgegangen ist #metoo. Und auch hier fehlte und fehlt es an Mut. "Ich auch" in ein Smartphone zu tippen ist nämlich noch kein Ausweis für diese Tugend. Mutig ist es, sich ganz konkret vor Schwächere zu stellen, auch wenn damit das Risiko einhergeht, selbst zur Zielscheibe zu werden.
Um mutig zu sein, muss die Frau sich endgültig aus ihrer eigenen Geschichte befreien. Wurde sie doch historisch auf die passive, unterwürfige Position verbannt. Ohne eigene Lust, dem Mann stets zu Diensten. So richtig und wichtig es war und ist, männliches Dominanzverhalten im Büro anzuklagen, so verkürzt ist es, wenn man die weibliche Position in der Analyse außen vor lässt. Schon die Philosophin und Feministin Simone de Beauvoir hat sehr klar gesehen, dass die Frau konstitutiver Teil patriarchaler Macht ist. Sie stützt das System, indem sie ihre Rolle annimmt, anstatt gegen sie aufzubegehren. Indem sich als Eigentum behandeln lässt, anstatt als eigenverantwortliche Person zu handeln.
Emanzipation verteidigen
Damit soll der positive Effekt von Metoo keineswegs herabgesetzt werden: Das Grundrauschen, dass durch die unzähligen Tweets erzeugt wurde, ist ein notwendiger Akt der Bewusstwerdung. Dank Metoo wissen wir, dass das Geschlechterverhältnis immer noch schwer gestört ist. Jetzt kommt es darauf an, was wir daraus machen. Schaffen wir es, die Errungenschaften der Emanzipationsbewegungen zu nutzen, uns souverän auf die Schultern unserer Mütter und Vorkämpferinnen zu stellen – und zwar ohne auf den Mann herabzuschauen, ihn zu verdinglichen, Weinsteins Gewalttaten als toxische Männlichkeit zu verallgemeinern? In einem solchen Balanceakt läge die Möglichkeit nicht nur rechtlicher, sondern faktischer Gleichberechtigung. Ein Geschlechterverhältnis, das nicht von Angst, sondern Lust bestimmt wird: Genau das ist es, wofür es sich zu leben – und kämpfen lohnt.