Archiv


Weinstöcke aus dem Mittelalter sollen Reb-Erbgut bereichern

Der Heunisch selber hat in der Literatur nicht den besten Ruf. Es gibt so ein Synonym von ihm, das heißt der Bettschisser. Wenn man zuviel von den Beeren isst oder von dem Wein trinkt, dann kriegt man ungewollte Sensationen.

von: Klaus Herbst |
    Der Heunisch selber hat in der Literatur nicht den besten Ruf. Es gibt so ein Synonym von ihm, das heißt der Bettschisser. Wenn man zuviel von den Beeren isst oder von dem Wein trinkt, dann kriegt man ungewollte Sensationen.

    ... nur scheinbar despektierlich äußert sich Biologe Andreas Jung vom Institut für Rebenzüchtung Geilweiler Hof im südpfälzischen Siebeldingen über die uralte Rebsorte Weißer Heunisch. In Wirklichkeit ist er sehr stolz, dass ihm und seiner Kollegin von der Bundesanstalt für Züchtungsforschung an Kulturpflanzen ein ganz großer Fund gelungen ist. In Weinbergen bei Heidelberg hat er den Heunisch wiederentdeckt, der in der mittelalterlichen Warmphase ab dem achten Jahrhundert zwar weit verbreitet war, dessen Fund als lebendiger und wurzelechter, nicht gepfropfter Stock aber heute als Situation gilt. Und ganz so schlecht schmeckt der Heunisch auch wieder nicht, betont Doktor Erika Dettweiler. Wer frühzeitig erbsengroße Trauben abschneidet, begrenzt die Menge, steigert die Qualität und gewinnt wohl schmeckende und bekömmliche Jahrgänge. Ein Rüdesheimer Weingut hat die Marktlücke bereits entdeckt. Und im übrigen hat der Überlebende aus dem Mittelalter viele wohlklingende und hoch angesehene Nachfahren:

    Der Heunisch ist bis jetzt sicherlich Elternteil von sechsundsiebzig Rebsorten. Unter anderem ist er Elternteil gemeinsam mit dem Spätburgunder von Chardonais, also der Sorte, aus der der Beaujolais gekeltert wird, und ferner dann auch Riesling.

    Nördlich und südlich von Heidelberg, im Stadtteil Handschuhsheim zum Beispiel, sichtete Andreas Jung uralte, schlecht zugängliche Südwestlagen. Da müsste doch etwas Besonderes zu finden sein, meinte der Rebenforscher. Die Umweltbedingungen jedenfalls stimmten:

    Das sind alles so kleinräumige, sehr naturnahe Gebiete, wenn man so will, kleinstrukturiert, nicht flurbereinigt vor allem. Man kommt auch schlecht hin mit dem Auto und so. Man muss viel mit der Handarbeit noch machen. Und das sind alles Weinberge, die dazu dienten, für die Selbstversorgung, also für den Eigenbedarf Wein zu produzieren, wo die Leute auch ihren Wein tatsächlich noch in eigenen Fässern selber produzieren, als Hauswein, und den dann halt übers Jahr trinken bis zum nächsten Jahrgang. /

    Doch die Idylle trügt. Der über Jahrhunderte lebendig gebliebene Heunisch, der ebenfalls seltene Blaue Elbling und der Rote Veltliner sind urplötzlich in Gefahr geraten. Andreas Jung hat im Umfeld der altehrwürdigen Sprengel eine besorgniserregende Entdeckung gemacht:

    Dass eigentlich alle Besitzer jetzt von diesen vier Weinbergen der älteren Generation angehören, es auch klar ist, dass die Kinder dieses Kulturgut oder dieses Kulturerbe ihrer Eltern nicht mehr weiterführen werden und dass in absehbarer Zeit, je nachdem, wie lange die Leute das noch bewirtschaften können, in ihrem Alter, ein Weinberg nach dem anderen ziemlich sicher brachfallen wird und dann irgendwann gerodet wird und das Ganze verloren ist.

    Andreas Jung bedauert dies - auch deshalb, weil der Heunisch auf Grund einer bestimmten Eigenschaft und wohl nur in dieser Gegend ganz aus eigener Kraft der Reblaus entkommen ist:

    In diesem Fall an der badischen Bergstrasse liegt es daran, dass die wurzelechten Reben einfach relativ tief wurzeln können in diese Gesteinsklüfte von dem biologischen Untergrund und die Reblaus natürlich nur bis zu einer gewissen Bodentiefe überhaupt vordringen kann, und alles was darunter ist, eigentlich reblausfrei ist.

    Erika Dettweiler weiß einen Weg, um diese und andere Raritäten zu retten. In Deutschland habe man nur die vermeintlich besten Stöcke selektiert, die so genannten Klone:

    Aber in Frankreich gibt es so genannte Conservatoires. Das sind Erhaltungsrebgärten, in denen bis zu sechshundert Klone à fünf bis zehn Stock pro Sorte stehen. Und so etwas wäre für Deutschland auch denkbar. Und es müsste unbedingt auch durchgeführt werden. Weil durch mehr als hundert Jahre Klonselektion ist viel von der Vielfalt, die mal ursprünglich vorhanden war, verloren gegangen.