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Weißblaues Schnupperwochenende

Wie viele andere Kommunen sucht auch die bayerische Landeshauptstadt händeringend nach Erzieherinnen und Erzieher. Denn ab 2013 gilt der Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz für unter Dreijährige. Um Bewerber an die Isar zu locken, geht München neue Wege.

Von Susanne Lettenbauer |
    Kinder toben ausgelassen auf einem Spielplatz, Drei- und Vierjährige bauen im Sandkasten Sandkuchen. Andere verkleiden sich als Prinzessin. Eine junge Frau beobachtet das Treiben.

    "Ich bin die Silke Heine, komme aus der Nähe von Leipzig und bin seit 1.1. in München in der Einrichtung Ursbergerstraße."

    Vor einem Jahr schloss Silke Heine in Leipzig ihre dreijährige Ausbildung zur Kindererzieherin ab. Sie bewarb sich auf einige Stellen in Sachsen. Bekam aber nur zeitlich befristete Angebote.

    "n Leipzig oder Sachsen allgemein sind die Perspektiven nicht so groß wie hier. Man hat sich erstmal heimatnah beworben, aber wenn man dann keine Beschäftigung bekommt oder nur geringfügig beschäftigt, schaut man doch weiter."

    Im Internet entdeckte die 23-Jährige zufällig eine Anzeige der Stadt München. Erzieherinnen und Erzieher aus ganz Deutschland werden dort gezielt zu Schnupperwochenenden in die bayerische Landeshauptstadt eingeladen:

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    Wer sich auf das Schnupperwochenende einlässt, den erwarten eine kostenlose Stadtführung, Gutscheine für die großen Kaufhäuser und danach der Biergartenbesuch. Ab November will die Stadt auch die Fahrt- und Hotelkosten übernehmen, sagt die zuständige Bürgermeisterin, Christine Strobl. Eine Offerte mit Hintergedanken, denn den Frauen und Männern werden auch Kindergärten und Kinderhorte gezeigt und gezielt Arbeitsplätze offeriert.

    München sucht händeringend nach Erzieherinnen und Erziehern. Der Grund: Der gesetzliche Anspruch auf Betreuung für unter Dreijährige ab dem Jahr 2013. Noch hinkt die bayerische Landeshauptstadt wie viele andere westdeutsche Kommunen den gesetzlichen Vorgaben meilenweit hinterher. Um einer drohenden Klagewelle zu entgehen, seien bereits etliche hundert Millionen in den Ausbau des Betreuungsangebotes geflossen, sagt Bürgermeisterin Strobl. Genaue Zahlen gibt es nicht, aber alle Projekte in diesem Zusammenhang würden sofort genehmigt:

    "Also, wir haben da keine Obergrenze. Wir haben einen Stadtratsbeschluss, dass wir uns nicht an bestimmte Prozentzahlen orientieren, sondern ausbauen, bis der Bedarf gedeckt ist."

    1500 offene Stellen muss die Stadt München bis 2015 besetzen, 1000 für Kindererzieherinnen und 500 für Kinderpflegerinnen. Die hohe Fluktuation von 12,8 Prozent noch gar nicht eingerechnet. Derzeit sind von 300 noch 70 Stellen frei.

    Die Idee mit den Schnupperwochenenden hatte die Leiterin der Abteilung Kindertageseinrichtungen im Bildungsreferat, Elisabeth Hartl-Grötsch. Die 1,4-Millionen-Stadt ist beliebt bei Prominenten und Touristen – doch als Wohnort teuer. Für die Stadt als Arbeitgeber eine Herausforderung, für die Elisabeth Hartl-Grötsch, Lösungen parat hat:

    "Zum einen bieten wir Wohnungen, die im öffentlichen Dienst stehen, also sogenannte Dienstwohnungen, das heißt nicht, dass jetzt jede Erzieherin eine Villa bekommt, aber dass sie eine Wohnmöglichkeit in kurzer Zeit erhält. Das Zweite ist, dass der Mietmarkt nach wie vor so organisiert ist, dass Vermieter gerne Mieter, Mieterinnen nehmen mit einem festen Einkommen."

    Das Startgehalt von 2500 Euro Brutto gibt es für die Erzieherinnen mit München-Zuschlag von 110 Euro, das Ticket für den öffentlichen Nahverkehr wird subventioniert, das eigene Kind erhält über Kontingentschein sofort einen Kitaplatz, und auch an die Altersabsicherung ist gedacht. Wer will, kann sich problemlos weiterbilden lassen bis zur Führungskraft, freut sich die Neumünchnerin Silke Heine:

    "Man kann sich hier sehr gut weiterbilden, man kann beruflich auch aufsteigen, und das finde ich gut, dass da nicht all zu viele Wege gefordert sind."

    München wirbt offensiv mit der schnellen Aussicht auf einen gut bezahlten Führungsposten, sagt Bildungsexpertin Hartl-Grötsch. Ein seltenes Angebot, denn für Leitungsfunktionen wäre normalerweise ein Pädagogikstudium zwingend.

    "Wir haben eine Funktionsstelle, die heißt 'stellvertretende Leiterin', die ist am Haus, das haben andere Bundesländer nicht so."

    Um bis 2013 die offenen Personalstellen besetzen zu können, hat sich Elisabeth Hartl-Grötsch weitere Maßnahmen einfallen lassen: Sie wirbt um 'Grundschullehrerinnen für die Kitas' und sie hat sich das Programm '40+' ausgedacht. Das soll Frauen ansprechen, die nach der Kinderpause wieder zurückkehren wollen in ihren erlernten Beruf. Oder die sich innerhalb von drei Jahren umschulen lassen wollen zur Erzieherin. Ehemalige Beschäftigte der Drogeriemarktkette Schlecker dürfen sich gerne angesprochen fühlen, sagt sie:

    "Wir nehmen alle, die Erzieherinnen oder Kinderpflegerinnen waren, und die bekommen bei uns ein Berufseinsteigerprogramm. Die werden nicht ins kalte Wasser geworfen, sondern sie werden begleitet, damit sie den Anforderungen von heute gewachsen sind."

    Auch die Leipzigerin Silke Heine wollte die Einladung zum Schnupperwochenende im vergangenen Herbst annehmen. Doch daraus wurde nichts. Noch bevor sie sich auf den Weg machte, hatte sie bereits den Termin für ein Bewerbungsgespräch im Briefkasten. Sie stellte sich gemeinsam mit einer Mitbewerberin im Bildungsreferat an der Bayerstrasse vor und hatte den Job ab Januar 2012 - in Vollzeit und unbefristet.