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Weiße Stadt am Schwarzen Meer

Mit ihren Stränden, leckeren Fischrestaurants und guten Weinen lockte die rumänische Königsresidenz Bálcic in den 20er und 30er Jahren Sonnenhungrige an. Bulgaren, Türken und Roma trafen sich in dem pittoresken Ort, der heute nur noch selten von Touristen besucht wird.

Von Grit Friederich |
    Schon Mihail Sebastian, ein jüdischer Schriftsteller aus Bukarest, liebte das Leben am Meer, die Bootsfahrten, die Streifzüge zu den pittoresken Behausungen der Zigeuner und Tartaren in den Vierteln am Rande von Balcíc. Und nicht zuletzt die einfachen Fischgerichte in den zahlreichen Strandrestaurants.

    Bin seit gestern hier. Meine Unterkunft, Villa Paruseff, ist das Haus eines armen Bulgaren, fast eine Baracke. Die Wellen reichen fast bis zu mir. Ein Garten. Liegestühle und das weite Meer vor mit.

    Ich befinde mich in der Mitte der Meeresbucht. Bálcic hat etwas, das mich trunken macht, mich auflöst, völlig auseinander nimmt. Ich möchte mich auf die Erde legen, die Arme weit ausgebreitet, und sagen: Das wars, weiter gehe ich nicht.


    Mihail Sebastian fuhr damals nicht allein in den kleinen Ort am Meer, der sich auf einigen buckligen weißen Kalkfelsen erstreckt: Daher und von den vielen einstöckigen weißgetünchten Häusern auch der Name von der weißen Stadt am Meer. Sebastian wurde ans schwarz Meer von seinem guten Freund Ioan Comsa begleitet. Bis heute hütet der 94-Jährige seine Erinnerungen an Bálcic wie einen Schatz.

    "Ich weiß nicht mehr so genau, wie wir damals nach Bálcic gelangt sind. Von Constanza sind wir mit einem Autobus gefahren, bis heute gibt es keine Zugverbindungen dorthin. Mir hat es dort ausgesprochen gut gefallen. Nicht nur die Landschaft, auch die Menschen. Das war vor dem Krieg. Wir waren sehr jung damals. Wir haben in einem sehr komfortablen Privatquartier gewohnt, und ich habe noch Fotos aus dem alten Bálcic. Dieser Ort hatte hier in Bukarest einen außergewöhnlichen Ruf. Und weil ich immer gern ans Meer gefahren bin, fuhr ich auch nach Bálcic."

    Balcìc zog in den zwanziger und dreißiger Jahren viele Künstler an. Die Kleinstadt bot zahlreiche Motive. Dort lebten Bulgaren, Türken, Roma, ein Völkergemisch. Man ging Fischen oder diskutierte über die neuesten literarischen oder politischen Skandale in Bukarest. Man war fast im Ausland, in der Süddobrudsha, die heute wieder zu Bulgarien gehört - und fühlte sich doch zuhause, denn in den Gassen von Bálcic hörte man damals viel Rumänisch.

    Doch das Leben der Künstler spielte sich vor den Mauern der königlichen Residenz ab. Den Park um die Villen der rumänischen Königin Maria durfte bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges kein Normalsterblicher betreten. Dann wurde er verstaatlicht, renoviert und zu einer touristischen Attraktion für die man Eintritt zahlt.

    Heute sitzt die 81-jährige Malerin Silvia Kambir aus Bukarest im Schatten alter Bäume neben einem Brunnen und malt eine königliche Villa aus Natursteinen erbaut, die von prächtigen Blumen umrankt ist.

    "Diesen Ort hier nennt man den Garten der weinenden Bäume. Es ist hier alles sehr gut gepflegt, die Bulgarien achten sehr drauf, dass nirgendwo ein Unkraut sprießt, sie waschen sogar die Steine mit Waschmittel ab. Das wäre bei uns nicht so, die Bulgaren sind großartige Gärtner. Die rumänische Königin hat diese Schönheit schaffen lassen und die Bulgaren leben davon und verdienen daran. Doch immer reden sie in den höchsten Tönen über die Königin, über das was sie für Bulgarien getan hat. Man kann hier viele Bildbände kaufen mit der Königin."

    Neben einem künstlich angelegten Wasserfall liegt das Touristikbüro des Parks. Man kann hier in sechs der neun Villen auch Zimmer oder Apartments mieten. Insgesamt 120 Betten hat der Dvoretza - das heißt auf Bulgarisch Palast.

    Die Originaleinrichtung ist nur im Sommersitz der König Maria enthalten. Das weiße Haus wurde in landestypischer Architektur direkt am Meer errichtet, über dem Flachdach erhebt sich ein Minarett als Blickfang. In Sichtweite steht eine kleine orthodoxe Kirche aus Backstein und ein Wassertempel der Bahai. Königin Maria war Bahai und glaubte trotzdem an das Verbindende in den Religionen. Sie baute einen Sommersitz nach ihren Wünschen und von bescheidenem Ausmaß. Die Architektur war perfekt an die Landschaft angepasst und forderte keinesfalls mit Prunk heraus. In Bálcic gab es schon damals größere Villen. In einigen königlichen Wohnhäusern werden heute Souvenirs verkauft, laden Restaurants und ein Cafe zu leckeren bulgarischen Speisen ein. Die junge Bulgarin Ani Svavcheva Koleva betreibt einen Weinladen.

    "Ich bin die Sommeliere von Königin Maria. Meine Familie lebt seit 250 Jahren in Bálcic. Wir sind Weinhändler. Es gab hier wirklich einmal einen Weinkeller und in diesen Räumen lebte ein Sohn von Königin Maria, er hieß Nicolas und ihre Tochter Ileana. Dieser Wein hier Dimiat kommt aus der Region, sie ist sehr berühmt für den Eiswein. Ich hatte diese Idee und das Kulturministerium hat mich unterstützt, sie haben mir diese Villa zur Verfügung gestellt. Und wir haben alles arrangiert und jetzt kommen alle Touristen hierher zur kostenlosen Weinverkostung. Sie kaufen aber nur, wenn sie wirklich wollen. Für uns ist wichtiger, dass wir der ganzen Welt zeigen, wie exzellent bulgarischer Wein ist."

    Wenn man den kühlen Weinkeller verlässt und den Blick weg vom Meer bergauf wendet, dann sieht man eine riesige Kakteensammlung, die größte in ganz Bulgarien. Denn der Park ist nicht nur ein museales Zentrum, das bis heute vom Glanz der rumänischen Königsfamilie lebt, hier gibt es einen attraktiven botanischen Garten, wie der junge Direktor Danail Pavlov erklärt:
    "Unser Garten ist berühmt für seine Sammlung großer Kakteen und anderer Sukkulenten. Einzelne Exemplare hier sind zwischen vier und sechs Metern hoch. Der Botanische Garten wurde 1954 vom Botaniker und Professor der Sofioter Universität Dakiov Danov gegründet. Mehr als 3000 Pflanzenarten wachsen hier, sie gehören zu 85 Pflanzenfamilien und demonstrieren eine unglaubliche Vielfalt."

    Über 100.000 Touristen, vor allem aus dem nahen Badeort Varna, besuchen den Botanischen Garten und den ehemaligen Sommersitz der Königin Maria Jahr für Jahr, Tendenz steigend. Nicht nur an den seltenen Regentagen am Schwarzen Meer drängen sich die Reisebusse vor den Toren des weitläufigen Parks. Zwar werden in der Altstadt fleißig Fassaden saniert und Pensionen gebaut, von einer planvollen und nachhaltigen Tourismusentwicklung sei man aber noch weit entfernt, bedauert Danail Pavlov.

    "Es gibt hier keine Kanalisation und das ist ein großes Problem, auch wegen der Böden und der Gesundheit der Leute hier. Es gibt zwar keine Industrie, aber die Hotels und den Hafen, da entstehen Umweltverschmutzungen. Ich hoffe aber, dass die Probleme in Bulgarien und Rumänien nicht von der EU sondern von den Ländern selber gelöst werden, darum lebe und arbeite ich hier immer noch in Bulgarien. Und emigriere nicht, um dann Pizza zu backen oder zu verkaufen."

    In den engen Straßen der kleinen Hafenstadt am Meer läuft das Leben aber eher in ruhigen Bahnen. Massentourismus findet woanders statt. Große Hotels gibt es bisher nur wenige. Dafür viele private Quartiere. In der Nähe von Balcíc, am Kap Kaliakra und in Ikrene gen Norden locken die schönsten Strände der nördlichen bulgarischen Schwarzmeerküste. Doch es gibt noch viel zu tun, bis das kleine Balcíc - die weiße Stadt am Meer, wie sie der rumänische Schriftsteller Mihail Sebastian in seinen Tagebüchern beschrieben hat - wieder zu altem Glanz erwacht.