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Weiße Tücher, blauer Dunst

Den Rauchern geht es an den Kragen. Überall Verbote und Warnhinweise. Doch damit nicht genug: Die EU plant eine weitere Verschärfung der Gesetze. Burkhard Müller-Ullrich über eine Last, die früher gar nicht so lasterhaft war.

Von Burkhard Müller-Ullrich |
    Unsere Kindeskinder werden mal staunen, in was für einer abenteuerlich lasterhaften Epoche wir gelebt haben. Wir können noch erzählen von Aschenbechern, die auf Restauranttischen standen, von Leuten, die sogar zwischen den Gängen einer Mahlzeit eine Zigarette rauchten, und von dicken Zigarren, die nach dem Dessert gereicht wurden. Wir tranken auch noch richtigen Wein, der ja ab dem Jahr 2025 sukzessive verboten wurde: erst für Personen unter siebzig, später dann für alle.

    Ganz schlimm war das damals weitverbreitete Passivtrinken, bei dem einem der Kellner ständig nachschenkte, wenn man nicht blitzschnell die Hand übers Glas hielt und gegen weitere Zufuhr aktiv protestierte. Das ebenfalls beliebte Passivrauchen war zwar noch gefährlicher, aber auch schwieriger, weil man erstens beim Passivrauchen leicht erwischt wurde und zweitens weil die Zigarettenindustrie oft an den Mikropartikeln aus Ruß und Teer sparte, die man zum Passivrauchen nun mal braucht.

    Das Passivrauchen war aber noch gar nichts gegen das Konjunktivrauchen. Denn wenn es ums Rauchen geht, ist schon die bloße Möglichkeit äußerst gesundheitsschädlich; es gibt wissenschaftliche Untersuchungen, die belegen, dass bereits das Wort Zigarette krebserregend ist, ebenso wie das Bild. Deswegen wurde im Jahr 2005 dem Philosophen Jean-Paul Sartre auf einem Ausstellungsplakat der französischen Nationalbibliothek allen Ernstes die Zigarette wegretouchiert; das Foto des Philosophen drohte sonst gegen das Anti-Tabak-Gesetz zu verstoßen.

    Inzwischen werden alle Gemälde in allen Museen und sämtliche Filme in sämtlichen Archiven darauf hin durchgesehen, ob sie Darstellungen von Zigaretten, Weingläsern oder fettigen Speisen enthalten, und zwar europaweit. Denn der Gesundheitstotalitarismus schreitet unaufhaltsam voran. Passivrauchen ist die neue Klimakatstrophe: eine durch nichts bewiesene Behauptung, mit der sich jede Menge Macht ausüben lässt. Und während es beim Klima großer Klimmzüge bedarf, um die Menschen zu Schuldigen zu machen, hat man es bei Rauchern leichter. Also auf sie mit Gebrüll!

    Als der französische Diplomat Jean Nicot – nach dem später das Nikotin benannt wurde – vor 451 Jahren die ersten Tabaksamen von Lissabon an den Hof nach Paris schickte, verbanden sich mit der Wunderpflanze die tollsten Hoffnungen. Tabak galt als Heilmittel gegen die verschiedensten Beschwerden, und der Tabakkonsum war allemal ein Privileg der Reichen. Im 19. Jahrhundert kam in Englands Upper Class ein extra Kleidungsstück in Mode, das man beim Rauchen nach dem Dinner in festlicher Gesellschaft tragen konnte: das "smoking jacket" – das später zum "Smoking" wurde.

    Da war die soziale Diversifizierung des Rauchens längst im Gang. Denn für die Statusbestimmung kam und kommt es nicht mehr darauf an, dass man raucht, sondern wie. Soldaten, Arbeiter und Bauern haben sich stets auf einem anderen Niveau durch die Kulturgeschichte gequalmt als die Unternehmerkarikaturen mit Zigarre. Die Ikonographie des Rauchens gehört überhaupt zu den subtilsten Begleiterscheinungen des gesellschaftlichen Wandels, und es ist erstaunlich, wie wenig davon in den aktuellen Debatten anklingt. Denn selbstverständlich wusste jeder Raucher, schon bevor die entsprechenden Warnungstexte auf die Packungen gedruckt wurden, dass der Genuss riskant ist. Genau darum geht es nämlich: Der Rauchgenuss liegt wenigstens teilweise in der Ostentation von Coolness gegenüber dem damit verbundenen Risiko. Eine garantiert unschädliche Zigarette verlöre diesen Reiz der Ambivalenz von gut und schlecht. Die reklameträchtige Assoziation von Freiheit und Abenteuer würde sich niemals einstellen.

    Nun sollen solche Assoziationen durch neue Gesetze bekämpft werden. Die EU-Kommission plant, den Zigarettenmarken jede Individualität zu nehmen. Sie sollen gleich aussehen, gleich schmecken und gleichzeitig teuer sein und wertlos erscheinen. Es ist ein weiterer Angriff der Politik auf die Ästhetik; es geht um die bewusste Verhässlichung unserer Lebenswelt – selbstverständlich im Namen der Gesundheit und der Volkswirtschaft, wobei die Verknüpfung dieser beiden Argumente ein amüsantes Paradox erzeugt: Wenn nämlich die Nichtraucher darüber Klage führen, dass die Raucher die Krankenkassen belasten, so können sich genauso gut die Raucher darüber beschweren, dass die längerlebigen Nichtraucher die Rentenkassen belasten.