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Weißheiten des Máximo Lider

Die Zeiten, in denen Fidel Castro endlose Reden hielt, sind vorbei. Der kubanische Herrscher hat sich aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. Zu seinem 83. Geburtstag fasst ein neues Lexikon die Erkenntnisse des kubanischen Revolutionärs zusammen.

Von Peter B. Schumann |
    "Die Menschen machen nicht die Geschichte. Subjektive Faktoren können die großen Ereignisse vorantreiben oder verzögern, sogar in relativ langen Zeiträumen, aber sie sind nicht der entscheidende Faktor und können auch nicht das endgültige Resultat verhindern."

    Fidel Castro im Februar 2003 auf einer internationalen Konferenz in Havanna. Eine für ihn erstaunliche Erkenntnis, wurde uns doch immer der Eindruck vermittelt, dass die Kubanische Revolution vor allem das Werk dieses einen Menschen war und dass sein "subjektives" Einwirken auf die Politik bis heute "der entscheidende Faktor" ist für den Aufschwung und für den Niedergang dieses großen Projekts. Nachlesen lässt sich das Zitat im "Lexikon des Denkens von Fidel Castro", das rechtzeitig zu seinem heutigen Geburtstag in dem kleinen Staatsverlag Editora Política erschienen ist. Auf 340 Seiten sind, unter fast 2000 Stichworten geordnet, solche Sentenzen und Gedankensplitter versammelt. Sie beginnen mit A wie acero, das heißt Stahl:

    "Nichts, das auf Pfeilern aus Stahl errichtet ist, wird jemals zusammenstürzen können."

    Und enden mit dem Buchstaben V wie vocación, das heißt Berufung:

    "Man muss in einem bestimmten Augenblick und in vielen Augenblicken des Lebens die Berufung vergessen, um der Pflicht zu folgen."

    Solche Lebensweisheiten des "Comandante en jefe" stammen aus dessen zahllosen Reden und weniger zahlreichen Interviews der letzten 50 Jahre. Und 30 Jahre lang hat der kubanische Wissenschaftler Salomón Susi Sarfati, Professor an der Akademie der Kommunistischen Jugend, die fidelistische Rhetorik erforscht, um nun endlich dieses Werk vorzulegen. Dort heißt es unter dem Begriff ‚Kraft’:

    "Um mehr Kraft zu besitzen, muss man Kräfte sammeln."

    Von einer gewissen Banalität sind mitunter die Worte des großen Vorsitzenden. Sie nehmen übrigens den geringsten Teil des Bandes ein. Sehr viel mehr Raum beanspruchen die Quellenhinweise.

    "Rede, gehalten in der Schlusssitzung auf der VII. Iberoamerikanischen Gipfelkonferenz der Staats- und Regierungschefs in Oporto, Portugal, am 18. Oktober 1998. Granma, La Habana, 23. Oktober 1998, Seite 5."

    In extenso notiert der Herausgeber jeden Beleg, damit der Wissbegierige den Kontext studieren – und niemand Salomón Susi Sarfati nachsagen kann, er habe womöglich missverständlich zitiert. Denn dieses Lexikon bietet – nach dem Parteiorgan ‚Granma’ – nichts weniger als -

    "ein Instrumentarium von höchstem Wert für die ideologische Debatte in der Welt von heute und für die Aufgaben beim Aufbau des Sozialismus in unserem Land."

    Fidel Castro wird auf seinen alten Tage ganz schön vermarktet. "Hundert Stunden mit Fidel", ein voluminöser Gesprächsmarathon von Ignacio Ramonet, war noch von erhöhtem Erkenntniswert. Bei Castros eigener Studie über den "Frieden in Kolumbien "fragten sich manche Kommentatoren bereits: Hat der Mann nicht mit Kuba genug am Hut? In dem Band "So ist Fidel "gerann dessen Leben bereits zur Anekdote. Nun wird sein Gedankengebäude gar zersplittert, in Zitate zerlegt, damit für alle Ewigkeit seine Parteigänger stets das richtige Wort finden. Sie strömten vergangenen Samstag unter die Arkaden des staatlichen Buch-Instituts. Innerhalb weniger Stunden waren 700 der 2.000 aufgelegten Exemplare verkauft, und viele erhielten – trotz endlosen Wartens – kein einziges Werk. Ein Blogger fragte sich daraufhin im Internet:

    "Was wird der Comandante wohl dazu sagen? Er verkauft sich wie warme Semmeln, und noch nicht einmal dabei klappt die Versorgung."

    Ein weiterer Schritt zur Mythologisierung von Fidel Castro ist getan. Ob das "Lexikon seines Denkens "jemals die Zitatfähigkeit der roten Mao-Bibel erreicht, darf allerdings bezweifelt werden angesichts von Weisheiten wie dieser:

    "Gold, Gold, Gold. Dies ist die Philosophie des Imperialismus!"